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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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sind keineswegs gesonnen, ihr Licht unter den Scheffel zu stellen, wenn
sie es auch, nach der Beschaffenheit ihrer und anderer Augen , lieber etwas
gedämpft durch die geschliffene Glasglocke des conventionellen Ausdrucks leuch¬
ten, als in den flackernden Blitzen naturwüchsiger Ungenirthett sprühen lassen.

Darin leistet das Tagebuch das möglichste und wer die Eigenart seines
Herausgebers aus seinen zahlreichen literarischen Producten kennt, wird sich
sagen, daß er und der Verfasser auch darin einander zum Verwechseln ähnlich
sind, wie Leibgeber und Siebenkäs. Denn an diese Kraftgestalten des deutschen
Humors einer schönern Vergangenheit wird man unwillkürlich auf jeder Seite
erinnert, wie wir hoffen, nicht zur Unehre für ihre Nachbilder. Es sind
keine revenants, sondern Menschen von Fleisch und Blut, vielleicht etwas
zu derb und laut für andere Deutsche, aber, wer das helle oder grelle
Leben in unserm Südwesten kennt, namentlich wo und wenn der Schoppen
kreist, den heimeln solche Töne recht gemüthlich an und er fragt nicht viel
darnach, ob sie dem ästhetischen Decorum von 1872 oder 73 ganz genau
entsprechen.

Denn wer sollte z. B. nicht aus vollstem Herzen sich über die burleske
Drastik und die schneidige Wahrheit ergötzen, womit der zukünftige Kreuzzug
gegen Deutschland geschildert ist, der Schwarzen und Rothen, der Jesuiten, der
blauweißen, rothblauen, weißgelben, grünweißen und anderen "Spittclgänger"
der "blaßröthlichen verschämten Demokraten," der "kosmopolitischen Strömer
und Strolche", die nach 1870 vor Aerger und Verdruß scharlachroth anliefen
und den Franzosen, den Polen, den Czechen, den Walachen, kurz allen Fein¬
den ihres Vaterlandes bis zu den Lappen und Samojeden Hofiren gehen --
"Da wimmelt es tiefschwarz von urbajuwarischen Hieseln und tirolisch-glau¬
benseinigen Kilkröpfen. Da wuselt es dunkelroth von Brüdern und Schwe¬
stern des gemeinsamen Schlaraffen- und Luderlebens. -- Monsieur Thiers
wird die gegen Deutschland bestimmte Kreuzzugsarmee als Oberstratege leiten
und Citoyen Gambetta wird sie als repuplikanischer Feldpatcr-Kapuziner
fanatisiren. Der Herr Reichskanzler mag die Augen wachsam aufthun" --
woran er es, setzen wir hinzu, niemals hat fehlen lassen. -- "Er hat den
ehrenwerthen Muth gehabt, der heiligen Dreifaltigkeit Dummheit, Lüge und
Bosheit den Krieg zu erklären und dieser Krieg wird schwer zu führen sein.
Das Narrenwort von der freien Kirche im freien Staate hat ja auch solche libe¬
rale Köpfe, die man für etwas solider konstruirt gehalten hätte, divpelig und
duselig gemacht so dippelig und duselig, daß sie, wo es sich darum handelt,
der römischen Schlange auf den Kopf zu treten, zu Gunsten der armen, ver¬
folgten Schlange mit den Erzfeinden Deutschlands gemeinsame Sache machen.
Und diese abstraktesten aller Abstraktoren schmeicheln sich Realpolitiker zu sein
und alle staatsmännische Weisheit mit Berliner Löffeln gefressen zu haben.


sind keineswegs gesonnen, ihr Licht unter den Scheffel zu stellen, wenn
sie es auch, nach der Beschaffenheit ihrer und anderer Augen , lieber etwas
gedämpft durch die geschliffene Glasglocke des conventionellen Ausdrucks leuch¬
ten, als in den flackernden Blitzen naturwüchsiger Ungenirthett sprühen lassen.

Darin leistet das Tagebuch das möglichste und wer die Eigenart seines
Herausgebers aus seinen zahlreichen literarischen Producten kennt, wird sich
sagen, daß er und der Verfasser auch darin einander zum Verwechseln ähnlich
sind, wie Leibgeber und Siebenkäs. Denn an diese Kraftgestalten des deutschen
Humors einer schönern Vergangenheit wird man unwillkürlich auf jeder Seite
erinnert, wie wir hoffen, nicht zur Unehre für ihre Nachbilder. Es sind
keine revenants, sondern Menschen von Fleisch und Blut, vielleicht etwas
zu derb und laut für andere Deutsche, aber, wer das helle oder grelle
Leben in unserm Südwesten kennt, namentlich wo und wenn der Schoppen
kreist, den heimeln solche Töne recht gemüthlich an und er fragt nicht viel
darnach, ob sie dem ästhetischen Decorum von 1872 oder 73 ganz genau
entsprechen.

Denn wer sollte z. B. nicht aus vollstem Herzen sich über die burleske
Drastik und die schneidige Wahrheit ergötzen, womit der zukünftige Kreuzzug
gegen Deutschland geschildert ist, der Schwarzen und Rothen, der Jesuiten, der
blauweißen, rothblauen, weißgelben, grünweißen und anderen „Spittclgänger"
der „blaßröthlichen verschämten Demokraten," der „kosmopolitischen Strömer
und Strolche", die nach 1870 vor Aerger und Verdruß scharlachroth anliefen
und den Franzosen, den Polen, den Czechen, den Walachen, kurz allen Fein¬
den ihres Vaterlandes bis zu den Lappen und Samojeden Hofiren gehen —
„Da wimmelt es tiefschwarz von urbajuwarischen Hieseln und tirolisch-glau¬
benseinigen Kilkröpfen. Da wuselt es dunkelroth von Brüdern und Schwe¬
stern des gemeinsamen Schlaraffen- und Luderlebens. — Monsieur Thiers
wird die gegen Deutschland bestimmte Kreuzzugsarmee als Oberstratege leiten
und Citoyen Gambetta wird sie als repuplikanischer Feldpatcr-Kapuziner
fanatisiren. Der Herr Reichskanzler mag die Augen wachsam aufthun" —
woran er es, setzen wir hinzu, niemals hat fehlen lassen. — „Er hat den
ehrenwerthen Muth gehabt, der heiligen Dreifaltigkeit Dummheit, Lüge und
Bosheit den Krieg zu erklären und dieser Krieg wird schwer zu führen sein.
Das Narrenwort von der freien Kirche im freien Staate hat ja auch solche libe¬
rale Köpfe, die man für etwas solider konstruirt gehalten hätte, divpelig und
duselig gemacht so dippelig und duselig, daß sie, wo es sich darum handelt,
der römischen Schlange auf den Kopf zu treten, zu Gunsten der armen, ver¬
folgten Schlange mit den Erzfeinden Deutschlands gemeinsame Sache machen.
Und diese abstraktesten aller Abstraktoren schmeicheln sich Realpolitiker zu sein
und alle staatsmännische Weisheit mit Berliner Löffeln gefressen zu haben.


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[0509] sind keineswegs gesonnen, ihr Licht unter den Scheffel zu stellen, wenn sie es auch, nach der Beschaffenheit ihrer und anderer Augen , lieber etwas gedämpft durch die geschliffene Glasglocke des conventionellen Ausdrucks leuch¬ ten, als in den flackernden Blitzen naturwüchsiger Ungenirthett sprühen lassen. Darin leistet das Tagebuch das möglichste und wer die Eigenart seines Herausgebers aus seinen zahlreichen literarischen Producten kennt, wird sich sagen, daß er und der Verfasser auch darin einander zum Verwechseln ähnlich sind, wie Leibgeber und Siebenkäs. Denn an diese Kraftgestalten des deutschen Humors einer schönern Vergangenheit wird man unwillkürlich auf jeder Seite erinnert, wie wir hoffen, nicht zur Unehre für ihre Nachbilder. Es sind keine revenants, sondern Menschen von Fleisch und Blut, vielleicht etwas zu derb und laut für andere Deutsche, aber, wer das helle oder grelle Leben in unserm Südwesten kennt, namentlich wo und wenn der Schoppen kreist, den heimeln solche Töne recht gemüthlich an und er fragt nicht viel darnach, ob sie dem ästhetischen Decorum von 1872 oder 73 ganz genau entsprechen. Denn wer sollte z. B. nicht aus vollstem Herzen sich über die burleske Drastik und die schneidige Wahrheit ergötzen, womit der zukünftige Kreuzzug gegen Deutschland geschildert ist, der Schwarzen und Rothen, der Jesuiten, der blauweißen, rothblauen, weißgelben, grünweißen und anderen „Spittclgänger" der „blaßröthlichen verschämten Demokraten," der „kosmopolitischen Strömer und Strolche", die nach 1870 vor Aerger und Verdruß scharlachroth anliefen und den Franzosen, den Polen, den Czechen, den Walachen, kurz allen Fein¬ den ihres Vaterlandes bis zu den Lappen und Samojeden Hofiren gehen — „Da wimmelt es tiefschwarz von urbajuwarischen Hieseln und tirolisch-glau¬ benseinigen Kilkröpfen. Da wuselt es dunkelroth von Brüdern und Schwe¬ stern des gemeinsamen Schlaraffen- und Luderlebens. — Monsieur Thiers wird die gegen Deutschland bestimmte Kreuzzugsarmee als Oberstratege leiten und Citoyen Gambetta wird sie als repuplikanischer Feldpatcr-Kapuziner fanatisiren. Der Herr Reichskanzler mag die Augen wachsam aufthun" — woran er es, setzen wir hinzu, niemals hat fehlen lassen. — „Er hat den ehrenwerthen Muth gehabt, der heiligen Dreifaltigkeit Dummheit, Lüge und Bosheit den Krieg zu erklären und dieser Krieg wird schwer zu führen sein. Das Narrenwort von der freien Kirche im freien Staate hat ja auch solche libe¬ rale Köpfe, die man für etwas solider konstruirt gehalten hätte, divpelig und duselig gemacht so dippelig und duselig, daß sie, wo es sich darum handelt, der römischen Schlange auf den Kopf zu treten, zu Gunsten der armen, ver¬ folgten Schlange mit den Erzfeinden Deutschlands gemeinsame Sache machen. Und diese abstraktesten aller Abstraktoren schmeicheln sich Realpolitiker zu sein und alle staatsmännische Weisheit mit Berliner Löffeln gefressen zu haben.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/509>, abgerufen am 24.08.2024.