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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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lichten Kirche muß der Staat auf dem weltlichen Boden Schranken ziehen,
damit sie nicht dem Druck der Weltlichkeit erliege, damit sie die feindliche
Weltlichkeit nicht ungerecht reize und derjenigen Weltlichkeit, die sie in sich
selbst trägt, nicht unterliege.

Herr von Manteuffel schüttelte den Kops zu der Aeußerung des Fürsten
Bismark, daß der Kampf sei zwischen Priesterherrschaft und Königsherrschaft.
Als kurzsichtiger und engherziger Konservativer hält er Priester und König,
auch den weltlichen, herrschsüchtigen Priester, für natürliche untrennbare Bun¬
desgenossen. Er fürchtet seinerseits das Gespenst des Proletariats. Aber
man muß ein so schlechter Logiker sein wie Herr von Manteuffel, um die
Alternative aufzustellen: Proletariat oder Königthum. Das Proletariat hat
in der Geschichte überall die Monarchie erzeugt, wo sie noch nicht bestand.
Das Proletariat vermag sich blos sporadisch zu organisiren. Im Umkreise
des ganzen Staates kann es seine Wünsche nur mittelst der Monarchie er¬
reichen, sofern sie überhaupt erreichbar sind. Diese Monarchie kann unter
Umständen eine andere sein. als die hergebrachte, wenn die letztere sich
ihren Pflichten entzöge. Eine solche Möglichkeit wird aber Herr von Man¬
teuffel bei uns nimmermehr voraussetzen. Die phantastischen Forderungen des
Proletariats aber stürzen keine Monarchie, die ihre Pflicht nicht versäumt.

Die Verfassungsänderung ist auch vom Herrenhaus genehmigt worden.
Am 14. März hat das Herrenhaus auch das Diätengesetz nach der Annahme
des Abgeordnetenhauses genehmigt.

Wir wenden uns nun zur Berathung der zweiten kirchlichen Vorlage durch
das Abgeordnetenhaus, welche in den Sitzungen vom 14. und 15. März an¬
gefangen und zu Ende geführt wurde. Die Vorlage betrifft die kirchliche
Disciplinargewalt und die Errichtung eines königlichen Gerichtshofes für
kirchliche Angelegenheiten. Der Zweck des Gesetzes läßt sich unter folgenden
drei Punkten zusammenfassen. Materiell werden der kirchlichen Disciplinarge¬
walt gewisse Schranken gezogen; formell wird derselben ein geregeltes Auf-
sichts- und Einspruchsrecht des Staates auferlegt; zur Garantie dieses Rechtes
werden eine Reihe von Strafen und ein staatlicher Gerichtshof für kirchliche
Angelegenheiten eingesetzt.

Man möchte bedauern, daß die öffentliche Aufmerksamkeit gegenwärtig ^
so überhäuft ist mit bedeutungsvollen Gegenständen der mannigfaltigsten Art
und dadurch so zerstreut. Halb bewußtlos müssen wir die wichtigsten Schritte
thun. Die Verhandlung über dieses Disciplinargesetz wird außer den engbe-
theiligten Kreisen die meisten gebildeten Deutschen kaum langer beschäftigen,
als der flüchtige-Blick über den Sitzungsbericht ihnen Zeit kostet. Und doch
könnte unsere Nation an diesem Gesetz recht inne werden, welcher Unfug und
welche Gefahr darin gelegen hat, daß ein fremder Herrscher die schwersten leib¬
lichen und geistigen Strafen über deutsche Behörden verhängen konnte, die


lichten Kirche muß der Staat auf dem weltlichen Boden Schranken ziehen,
damit sie nicht dem Druck der Weltlichkeit erliege, damit sie die feindliche
Weltlichkeit nicht ungerecht reize und derjenigen Weltlichkeit, die sie in sich
selbst trägt, nicht unterliege.

Herr von Manteuffel schüttelte den Kops zu der Aeußerung des Fürsten
Bismark, daß der Kampf sei zwischen Priesterherrschaft und Königsherrschaft.
Als kurzsichtiger und engherziger Konservativer hält er Priester und König,
auch den weltlichen, herrschsüchtigen Priester, für natürliche untrennbare Bun¬
desgenossen. Er fürchtet seinerseits das Gespenst des Proletariats. Aber
man muß ein so schlechter Logiker sein wie Herr von Manteuffel, um die
Alternative aufzustellen: Proletariat oder Königthum. Das Proletariat hat
in der Geschichte überall die Monarchie erzeugt, wo sie noch nicht bestand.
Das Proletariat vermag sich blos sporadisch zu organisiren. Im Umkreise
des ganzen Staates kann es seine Wünsche nur mittelst der Monarchie er¬
reichen, sofern sie überhaupt erreichbar sind. Diese Monarchie kann unter
Umständen eine andere sein. als die hergebrachte, wenn die letztere sich
ihren Pflichten entzöge. Eine solche Möglichkeit wird aber Herr von Man¬
teuffel bei uns nimmermehr voraussetzen. Die phantastischen Forderungen des
Proletariats aber stürzen keine Monarchie, die ihre Pflicht nicht versäumt.

Die Verfassungsänderung ist auch vom Herrenhaus genehmigt worden.
Am 14. März hat das Herrenhaus auch das Diätengesetz nach der Annahme
des Abgeordnetenhauses genehmigt.

Wir wenden uns nun zur Berathung der zweiten kirchlichen Vorlage durch
das Abgeordnetenhaus, welche in den Sitzungen vom 14. und 15. März an¬
gefangen und zu Ende geführt wurde. Die Vorlage betrifft die kirchliche
Disciplinargewalt und die Errichtung eines königlichen Gerichtshofes für
kirchliche Angelegenheiten. Der Zweck des Gesetzes läßt sich unter folgenden
drei Punkten zusammenfassen. Materiell werden der kirchlichen Disciplinarge¬
walt gewisse Schranken gezogen; formell wird derselben ein geregeltes Auf-
sichts- und Einspruchsrecht des Staates auferlegt; zur Garantie dieses Rechtes
werden eine Reihe von Strafen und ein staatlicher Gerichtshof für kirchliche
Angelegenheiten eingesetzt.

Man möchte bedauern, daß die öffentliche Aufmerksamkeit gegenwärtig ^
so überhäuft ist mit bedeutungsvollen Gegenständen der mannigfaltigsten Art
und dadurch so zerstreut. Halb bewußtlos müssen wir die wichtigsten Schritte
thun. Die Verhandlung über dieses Disciplinargesetz wird außer den engbe-
theiligten Kreisen die meisten gebildeten Deutschen kaum langer beschäftigen,
als der flüchtige-Blick über den Sitzungsbericht ihnen Zeit kostet. Und doch
könnte unsere Nation an diesem Gesetz recht inne werden, welcher Unfug und
welche Gefahr darin gelegen hat, daß ein fremder Herrscher die schwersten leib¬
lichen und geistigen Strafen über deutsche Behörden verhängen konnte, die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/483>, abgerufen am 24.08.2024.