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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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gie, am frühen Morgen Kaffee zu bereiten, der die Erschöpften zu neuem
Leben weckte. Er hatte auch am 3. Januar, als das furchtbare Schrauben
des Eises ihn bei der Reparatur des Kaffeekessels überraschte, ausgerufen:
"wenn die Scholle doch solange halten wollte, bis ich meinen Kessel fertig
hätte, Ich möchte doch gern noch Thee für den Abend kochen, damit wir
vor dem Abzug was Warmes hätten". Fünf Nächte mußten Alle nun in
den Böten schlafen. Das Haus mußte verlassen, ein neues gebaut werden,
in welchem aber nur für 6 Mann Platz war. Die Andern mußten abwech¬
selnd in den Böten schlafen. Das Schlimmste war gleichwohl überstanden.
Denn als eine der wichtigsten Ursachen der gewaltigen Eisschraubungen.
welche die Hansamänner so oft an den Rand des Todes geführt, war neben
der Spnngfluth der Umstand anzusehen, daß sie während dieser Zeit in der
Meerenge zwischen Island und Grönland trieben, wo sich das von der
Strömung fortgeführte Eis, zumal bei dem östlichen Vorspringen der grön¬
ländischen Küste in zahlreichen Kaps, mehr und mehr zusammenschieben muß.
Diese Bewegung reichte in ihrer größten Stärke bis Kap Dan, wo die Küste
bedeutend nach Westen zurückweicht und zugleich im Osten die Schranke von
Island wegfällt, dadurch aber die Eisstopfung aufhört.

Auch wir können deshalb die ferneren Schicksale unsrer Helden kürzer be¬
richten, als die Tage ihrer schwersten Noth. Der Februar war durchweg
schön, die Scholle blieb ungeschmälert. Schon begann die Sonne 17 Grad
hoch im Meridian, merklich zu wirken. Prachtvolle Nordlichter erhellen die
Nächte; wie die Blätter eines Fächers oder einer Blume entrollen sich die
Lichtgarben über das Firmament hin. Merkwürdig war die Zahmheit der
Thiere, die den Schollenbewohnern ihren Besuch abstatteten, namentlich der
Füchse, die sich sogar ruhig streicheln ließen. Dasselbe wurde später bei
Schneeammern und Hänflingen beobachtet. Der März war schneereich und
bot wenig heitere Tage. Am 4. erschien am fernen Horizont durch leuchten¬
den Eisblink der Kolberger-Heide-Gletscher. Von da bis hinab nach Kap
Moesting eine ununterbrochene Reihe von Gletschern, zwischen denen thurm¬
artige Felsen etwa 3000 Fuß hoch aufragten. Am 29. befand man sich auf
der Höhe von Nukarbik, wo Graah von 1829 bis 1830 überwintert hatte.
Auch unsern Nordpolfahrern war hier ein unfreiwilliger Aufenthalt von etwa
4 Wochen beschieden, da Strömung, Ebbe und Fluth ihr Eisfeld so lange
im Kreise trieben, während weiter draußen im Meer das Eis unaufhaltsam
nach Süden drängte. Hier ward das Osterfest als ein rechtes Auferstehungs¬
fest freudig, und bereits in milderer Temperatur, gefeiert. Am zweiten Oster-
tag erlöste sie ein Nordsturm aus der Bucht und trieb sie wieder flott gen
Süden. In drei Wochen (bis v. Mai) gelangten sie bis auf 61° 4' nördlicher
Breite, also schon beinahe auf die Breite von Bergen. Diese Fahrt ging


gie, am frühen Morgen Kaffee zu bereiten, der die Erschöpften zu neuem
Leben weckte. Er hatte auch am 3. Januar, als das furchtbare Schrauben
des Eises ihn bei der Reparatur des Kaffeekessels überraschte, ausgerufen:
„wenn die Scholle doch solange halten wollte, bis ich meinen Kessel fertig
hätte, Ich möchte doch gern noch Thee für den Abend kochen, damit wir
vor dem Abzug was Warmes hätten". Fünf Nächte mußten Alle nun in
den Böten schlafen. Das Haus mußte verlassen, ein neues gebaut werden,
in welchem aber nur für 6 Mann Platz war. Die Andern mußten abwech¬
selnd in den Böten schlafen. Das Schlimmste war gleichwohl überstanden.
Denn als eine der wichtigsten Ursachen der gewaltigen Eisschraubungen.
welche die Hansamänner so oft an den Rand des Todes geführt, war neben
der Spnngfluth der Umstand anzusehen, daß sie während dieser Zeit in der
Meerenge zwischen Island und Grönland trieben, wo sich das von der
Strömung fortgeführte Eis, zumal bei dem östlichen Vorspringen der grön¬
ländischen Küste in zahlreichen Kaps, mehr und mehr zusammenschieben muß.
Diese Bewegung reichte in ihrer größten Stärke bis Kap Dan, wo die Küste
bedeutend nach Westen zurückweicht und zugleich im Osten die Schranke von
Island wegfällt, dadurch aber die Eisstopfung aufhört.

Auch wir können deshalb die ferneren Schicksale unsrer Helden kürzer be¬
richten, als die Tage ihrer schwersten Noth. Der Februar war durchweg
schön, die Scholle blieb ungeschmälert. Schon begann die Sonne 17 Grad
hoch im Meridian, merklich zu wirken. Prachtvolle Nordlichter erhellen die
Nächte; wie die Blätter eines Fächers oder einer Blume entrollen sich die
Lichtgarben über das Firmament hin. Merkwürdig war die Zahmheit der
Thiere, die den Schollenbewohnern ihren Besuch abstatteten, namentlich der
Füchse, die sich sogar ruhig streicheln ließen. Dasselbe wurde später bei
Schneeammern und Hänflingen beobachtet. Der März war schneereich und
bot wenig heitere Tage. Am 4. erschien am fernen Horizont durch leuchten¬
den Eisblink der Kolberger-Heide-Gletscher. Von da bis hinab nach Kap
Moesting eine ununterbrochene Reihe von Gletschern, zwischen denen thurm¬
artige Felsen etwa 3000 Fuß hoch aufragten. Am 29. befand man sich auf
der Höhe von Nukarbik, wo Graah von 1829 bis 1830 überwintert hatte.
Auch unsern Nordpolfahrern war hier ein unfreiwilliger Aufenthalt von etwa
4 Wochen beschieden, da Strömung, Ebbe und Fluth ihr Eisfeld so lange
im Kreise trieben, während weiter draußen im Meer das Eis unaufhaltsam
nach Süden drängte. Hier ward das Osterfest als ein rechtes Auferstehungs¬
fest freudig, und bereits in milderer Temperatur, gefeiert. Am zweiten Oster-
tag erlöste sie ein Nordsturm aus der Bucht und trieb sie wieder flott gen
Süden. In drei Wochen (bis v. Mai) gelangten sie bis auf 61° 4' nördlicher
Breite, also schon beinahe auf die Breite von Bergen. Diese Fahrt ging


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/470>, abgerufen am 24.08.2024.