Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

um dieselben dann im Wasser anzugreifen. Mehrere Stunden vergingen, ehe
zehn Mann, mit Hülfe eines kräftigen Flaschenzuges das Walroß aus dem
Wasser gezogen hatten. Und nun erst das Abbälgen, während das Ganze
bei 23° Kälte zu einer steinharten Masse gefroren war! Aber der Lohn so
vieler Mühe war reich. Unter der Haut saß eine drei Zoll starke Speckschicht,
welche sehr willkommenes Brennmaterial lieferte. Die Zunge schmeckte vor¬
trefflich. An demselben Abend fühlte sich Meister Petz durch den Walro߬
speck angezogen. Drei Schüsse wurden aufs Ungefähr gegen ihn abgegeben.
Am andern Morgen fand man ihn, wie schlafend, aber todt, etwa 100
Schritte weiter im Schnee liegen. Es war ein großes prachtvolles Thier.
Der schöne ausdrucksvolle Kopf ruhte auf den Vordertatzen, die rothen Bluts¬
tropfen stachen scharf ab von dem reinen Schneeweiß des Felles. Seine 4
Schinken, ein delicater Braten für eine Reihe von Sonntagen, wogen an
200 Pfd. Das Fell lieferte weiteren Schneeschutz für die leckenden Stellen
des Daches. Einige Tage später hatte sich Meister Petz, mit den Vorder¬
tatzen sich auflehnend, den im "Bismark" lagernden Proviant beschnüffelt.
Aber Bismarck hatte sich auch hier unnahbar gezeigt. Der Bär war durch
das ausgespannte, steifgefrorne Segeltuch "reingefallen". Erschreckt über
diese Behandlung, hatte er das Weite gesucht.

Langsam aber stetig trieb das Eisfeld nach Süden. Am 3. November
hatte es schon die Liverpool-Küste passtrt, und war bis zum Scoresby-Sund
gelangt. Das Eis hatte seit dem Untergang der Hansa nicht wieder ge¬
schraubt. Je nach Ebbe, Fluth und Strömung kam das Eisfeld der Küste näher
oder ferner. Seit dem 10. November bis zum 22. war die rotirende Bewegung
des Feldes so langsam, daß es sich erst einmal um sich selbst gedreht hatte.
Vom 2. -- 4. November trieb man an Scoresby-Sund vorbei, am 14. No¬
vember bei Cap Barclay, später bei Cap Dan. Dann folgte in einer Ent¬
fernung einer deutschen Meile ein unbekanntes Land, das sogenannte Egede's
Land. Leider war die Mannschaft, als sie der Küste am nächsten war, in
größter Lebensgefahr, so daß sie nicht ruhig beobachten konnte. November
und December vergingen ohne besonderes Ereigniß., Am 18. December mit
der Vollmond-Springfluth wieder Eisschrauben, das in der Nacht vom 20.
zu 21. den Berg Sinai wegriß. So kam Weihnachten heran, unter Stürmen
und heftigen Schneewehen, aber dennoch waren Alle in der Stimmung, es
froh zu feiern -- auf einer grönländischen Eisscholle! Während die Andern
spazieren gingen, hatten die Steuerleute den Christbaum, aus Tannenholz
und Besenreisern kunstvoll hergestellt und mit Papierketten und selbstgebackenen
Lebkuchen behängen. Die Lichter lieferte ein von Dr. Laube gesparter Wachs¬
stock. Professor Hochstetter hatte für Weihnachten eine Blechkiste gestiftet, die
nun geöffnet wurde und viel zu lachen gab. Die darin enthaltenen Pfeifen,


um dieselben dann im Wasser anzugreifen. Mehrere Stunden vergingen, ehe
zehn Mann, mit Hülfe eines kräftigen Flaschenzuges das Walroß aus dem
Wasser gezogen hatten. Und nun erst das Abbälgen, während das Ganze
bei 23° Kälte zu einer steinharten Masse gefroren war! Aber der Lohn so
vieler Mühe war reich. Unter der Haut saß eine drei Zoll starke Speckschicht,
welche sehr willkommenes Brennmaterial lieferte. Die Zunge schmeckte vor¬
trefflich. An demselben Abend fühlte sich Meister Petz durch den Walro߬
speck angezogen. Drei Schüsse wurden aufs Ungefähr gegen ihn abgegeben.
Am andern Morgen fand man ihn, wie schlafend, aber todt, etwa 100
Schritte weiter im Schnee liegen. Es war ein großes prachtvolles Thier.
Der schöne ausdrucksvolle Kopf ruhte auf den Vordertatzen, die rothen Bluts¬
tropfen stachen scharf ab von dem reinen Schneeweiß des Felles. Seine 4
Schinken, ein delicater Braten für eine Reihe von Sonntagen, wogen an
200 Pfd. Das Fell lieferte weiteren Schneeschutz für die leckenden Stellen
des Daches. Einige Tage später hatte sich Meister Petz, mit den Vorder¬
tatzen sich auflehnend, den im „Bismark" lagernden Proviant beschnüffelt.
Aber Bismarck hatte sich auch hier unnahbar gezeigt. Der Bär war durch
das ausgespannte, steifgefrorne Segeltuch „reingefallen". Erschreckt über
diese Behandlung, hatte er das Weite gesucht.

Langsam aber stetig trieb das Eisfeld nach Süden. Am 3. November
hatte es schon die Liverpool-Küste passtrt, und war bis zum Scoresby-Sund
gelangt. Das Eis hatte seit dem Untergang der Hansa nicht wieder ge¬
schraubt. Je nach Ebbe, Fluth und Strömung kam das Eisfeld der Küste näher
oder ferner. Seit dem 10. November bis zum 22. war die rotirende Bewegung
des Feldes so langsam, daß es sich erst einmal um sich selbst gedreht hatte.
Vom 2. — 4. November trieb man an Scoresby-Sund vorbei, am 14. No¬
vember bei Cap Barclay, später bei Cap Dan. Dann folgte in einer Ent¬
fernung einer deutschen Meile ein unbekanntes Land, das sogenannte Egede's
Land. Leider war die Mannschaft, als sie der Küste am nächsten war, in
größter Lebensgefahr, so daß sie nicht ruhig beobachten konnte. November
und December vergingen ohne besonderes Ereigniß., Am 18. December mit
der Vollmond-Springfluth wieder Eisschrauben, das in der Nacht vom 20.
zu 21. den Berg Sinai wegriß. So kam Weihnachten heran, unter Stürmen
und heftigen Schneewehen, aber dennoch waren Alle in der Stimmung, es
froh zu feiern — auf einer grönländischen Eisscholle! Während die Andern
spazieren gingen, hatten die Steuerleute den Christbaum, aus Tannenholz
und Besenreisern kunstvoll hergestellt und mit Papierketten und selbstgebackenen
Lebkuchen behängen. Die Lichter lieferte ein von Dr. Laube gesparter Wachs¬
stock. Professor Hochstetter hatte für Weihnachten eine Blechkiste gestiftet, die
nun geöffnet wurde und viel zu lachen gab. Die darin enthaltenen Pfeifen,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0467" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/129459"/>
          <p xml:id="ID_1478" prev="#ID_1477"> um dieselben dann im Wasser anzugreifen. Mehrere Stunden vergingen, ehe<lb/>
zehn Mann, mit Hülfe eines kräftigen Flaschenzuges das Walroß aus dem<lb/>
Wasser gezogen hatten. Und nun erst das Abbälgen, während das Ganze<lb/>
bei 23° Kälte zu einer steinharten Masse gefroren war! Aber der Lohn so<lb/>
vieler Mühe war reich. Unter der Haut saß eine drei Zoll starke Speckschicht,<lb/>
welche sehr willkommenes Brennmaterial lieferte. Die Zunge schmeckte vor¬<lb/>
trefflich. An demselben Abend fühlte sich Meister Petz durch den Walro߬<lb/>
speck angezogen. Drei Schüsse wurden aufs Ungefähr gegen ihn abgegeben.<lb/>
Am andern Morgen fand man ihn, wie schlafend, aber todt, etwa 100<lb/>
Schritte weiter im Schnee liegen. Es war ein großes prachtvolles Thier.<lb/>
Der schöne ausdrucksvolle Kopf ruhte auf den Vordertatzen, die rothen Bluts¬<lb/>
tropfen stachen scharf ab von dem reinen Schneeweiß des Felles. Seine 4<lb/>
Schinken, ein delicater Braten für eine Reihe von Sonntagen, wogen an<lb/>
200 Pfd. Das Fell lieferte weiteren Schneeschutz für die leckenden Stellen<lb/>
des Daches. Einige Tage später hatte sich Meister Petz, mit den Vorder¬<lb/>
tatzen sich auflehnend, den im &#x201E;Bismark" lagernden Proviant beschnüffelt.<lb/>
Aber Bismarck hatte sich auch hier unnahbar gezeigt. Der Bär war durch<lb/>
das ausgespannte, steifgefrorne Segeltuch &#x201E;reingefallen". Erschreckt über<lb/>
diese Behandlung, hatte er das Weite gesucht.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1479" next="#ID_1480"> Langsam aber stetig trieb das Eisfeld nach Süden. Am 3. November<lb/>
hatte es schon die Liverpool-Küste passtrt, und war bis zum Scoresby-Sund<lb/>
gelangt. Das Eis hatte seit dem Untergang der Hansa nicht wieder ge¬<lb/>
schraubt. Je nach Ebbe, Fluth und Strömung kam das Eisfeld der Küste näher<lb/>
oder ferner. Seit dem 10. November bis zum 22. war die rotirende Bewegung<lb/>
des Feldes so langsam, daß es sich erst einmal um sich selbst gedreht hatte.<lb/>
Vom 2. &#x2014; 4. November trieb man an Scoresby-Sund vorbei, am 14. No¬<lb/>
vember bei Cap Barclay, später bei Cap Dan. Dann folgte in einer Ent¬<lb/>
fernung einer deutschen Meile ein unbekanntes Land, das sogenannte Egede's<lb/>
Land. Leider war die Mannschaft, als sie der Küste am nächsten war, in<lb/>
größter Lebensgefahr, so daß sie nicht ruhig beobachten konnte. November<lb/>
und December vergingen ohne besonderes Ereigniß., Am 18. December mit<lb/>
der Vollmond-Springfluth wieder Eisschrauben, das in der Nacht vom 20.<lb/>
zu 21. den Berg Sinai wegriß. So kam Weihnachten heran, unter Stürmen<lb/>
und heftigen Schneewehen, aber dennoch waren Alle in der Stimmung, es<lb/>
froh zu feiern &#x2014; auf einer grönländischen Eisscholle! Während die Andern<lb/>
spazieren gingen, hatten die Steuerleute den Christbaum, aus Tannenholz<lb/>
und Besenreisern kunstvoll hergestellt und mit Papierketten und selbstgebackenen<lb/>
Lebkuchen behängen. Die Lichter lieferte ein von Dr. Laube gesparter Wachs¬<lb/>
stock. Professor Hochstetter hatte für Weihnachten eine Blechkiste gestiftet, die<lb/>
nun geöffnet wurde und viel zu lachen gab.  Die darin enthaltenen Pfeifen,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0467] um dieselben dann im Wasser anzugreifen. Mehrere Stunden vergingen, ehe zehn Mann, mit Hülfe eines kräftigen Flaschenzuges das Walroß aus dem Wasser gezogen hatten. Und nun erst das Abbälgen, während das Ganze bei 23° Kälte zu einer steinharten Masse gefroren war! Aber der Lohn so vieler Mühe war reich. Unter der Haut saß eine drei Zoll starke Speckschicht, welche sehr willkommenes Brennmaterial lieferte. Die Zunge schmeckte vor¬ trefflich. An demselben Abend fühlte sich Meister Petz durch den Walro߬ speck angezogen. Drei Schüsse wurden aufs Ungefähr gegen ihn abgegeben. Am andern Morgen fand man ihn, wie schlafend, aber todt, etwa 100 Schritte weiter im Schnee liegen. Es war ein großes prachtvolles Thier. Der schöne ausdrucksvolle Kopf ruhte auf den Vordertatzen, die rothen Bluts¬ tropfen stachen scharf ab von dem reinen Schneeweiß des Felles. Seine 4 Schinken, ein delicater Braten für eine Reihe von Sonntagen, wogen an 200 Pfd. Das Fell lieferte weiteren Schneeschutz für die leckenden Stellen des Daches. Einige Tage später hatte sich Meister Petz, mit den Vorder¬ tatzen sich auflehnend, den im „Bismark" lagernden Proviant beschnüffelt. Aber Bismarck hatte sich auch hier unnahbar gezeigt. Der Bär war durch das ausgespannte, steifgefrorne Segeltuch „reingefallen". Erschreckt über diese Behandlung, hatte er das Weite gesucht. Langsam aber stetig trieb das Eisfeld nach Süden. Am 3. November hatte es schon die Liverpool-Küste passtrt, und war bis zum Scoresby-Sund gelangt. Das Eis hatte seit dem Untergang der Hansa nicht wieder ge¬ schraubt. Je nach Ebbe, Fluth und Strömung kam das Eisfeld der Küste näher oder ferner. Seit dem 10. November bis zum 22. war die rotirende Bewegung des Feldes so langsam, daß es sich erst einmal um sich selbst gedreht hatte. Vom 2. — 4. November trieb man an Scoresby-Sund vorbei, am 14. No¬ vember bei Cap Barclay, später bei Cap Dan. Dann folgte in einer Ent¬ fernung einer deutschen Meile ein unbekanntes Land, das sogenannte Egede's Land. Leider war die Mannschaft, als sie der Küste am nächsten war, in größter Lebensgefahr, so daß sie nicht ruhig beobachten konnte. November und December vergingen ohne besonderes Ereigniß., Am 18. December mit der Vollmond-Springfluth wieder Eisschrauben, das in der Nacht vom 20. zu 21. den Berg Sinai wegriß. So kam Weihnachten heran, unter Stürmen und heftigen Schneewehen, aber dennoch waren Alle in der Stimmung, es froh zu feiern — auf einer grönländischen Eisscholle! Während die Andern spazieren gingen, hatten die Steuerleute den Christbaum, aus Tannenholz und Besenreisern kunstvoll hergestellt und mit Papierketten und selbstgebackenen Lebkuchen behängen. Die Lichter lieferte ein von Dr. Laube gesparter Wachs¬ stock. Professor Hochstetter hatte für Weihnachten eine Blechkiste gestiftet, die nun geöffnet wurde und viel zu lachen gab. Die darin enthaltenen Pfeifen,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/467
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/467>, abgerufen am 24.08.2024.