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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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verschüttete, und das junge Eis von der Hansa losbrach, so daß Meeres¬
wasser zwischen Eis und Schnee durchdrang. Der heftige Nordsturm warf
das Schiff plötzlich unter rasselnden Gräusch nach Steuerbordseite. Nur mit
Anstrengung aller Kräfte an den Tauen und Eisankern, konnte das Abtreiben
des Schiffes vom Eisfeld gehindert werden. Am 13. wieder klares, ruhiges
Wetter, man sah sich 16 Seemeilen nordöstlich von der Liverpool-Küste, die
als steiles zackiges Felsengebirge, nur spärlich mit Schnee bedeckt, erschien. In
der Zeit vom 5. -- 14. October waren in der gewaltigen Triftströmung 72
Seemeilen nach Südsüdwest zurückgelegt. Dabei 14 bis 16" Kälte in der
Nacht. Raben, einmal eine Möve und ein Falke die einzigen Zeichen thieri¬
rischen Lebens. Am 18. früh halb 8 Uhr begann die Katastrophe. In
nächster Nähe des Schiffes begann das Eis zu schrauben und zu pressen. In
geregelter Zeitfolge, wie durch einen gleichmäßigen Wellenschlag hervorgerufen,
dröhnte und knallte, quitschte und pfiff es unter dem Eise. Bald klang es
wie das Knarren von Thüren, bald wieder wie ein Durcheinander vieler
Menschenstimmen, bald endlich wieder wie das Bremsen eines Bahnzuges.
Offenbar hatte sich das Eisfeld im Treiben gedreht und drängte nun stärker
an das Küsteneis an. Die beiden vor dem Schiffe gelagerten Eisstücke zitterten
heftig, die Masten schwankten und dem Steuermann oben war es oft, als
ob jemand ihm nachstiege. Dabei entstanden auf dem Felde lange und tiefe
Spalten, so daß das Whaleboot längsseit des Schiffs in Sicherheit gebracht
werden mußte. Eifrig wurde bei dem klaren Wetter des Nachmittags und
Abends für beide Fälle gesorgt: Ueberwinterung im Kohlenhause oder Ver¬
bleiben im Schiffe. Der neunzehnte October ließ diese Wahl nicht mehr.

Nordnordweststurm, Schneegestöber und Eispressungen begannen den
Tag. Die Luft war düster und dick, die etwa eine deutsche Meile entfernte
Küste nicht zu sehen. Um Mittag hatten die herannahenden hochaufgeschro¬
benen Eismassen das junge Eis an der Steuerseite des Schiffes aufgebrochen
und drängten hart an den Außenbord an. Das Schiff hob sich nach vorn,
wurde an weiterer Hebung durch die hohen Eisblöcke gehindert und mußte
daher die volle Wucht der Pressungen aushalten. Noch' war es dicht, wie
eine Peilung der Pumpen ergab. Kurz vor 1 Uhr sprangen die Decksnähte
mittschiffs. Die Mannschaft nahm in einer angstvollen Pause ihren Mittags¬
imbiß an Deck -- unter Deck war es schon zu unheimlich. Da schoben sich
viele mächtige Eisblöcke unter den Bug des Schiffes. Etwa siebenzehn Fuß
hoch wurde die Hansa auf das Eis geschroben. Es war ein schauerlich schönes
Schauspiel. Nur hob sich leider der Hintere Theil des Schiffes nicht mit. Der
Steven hatte den furchtbarsten Druck auszuhalten. Um 5 Uhr wich das Eis
zurück, das Schieben der Schollen ließ nach, um sechs Uhr etwa konnte das
Schiff in das freie Wasser gleiten. Es fanden sich 17 Zoll Wasser in dem-


verschüttete, und das junge Eis von der Hansa losbrach, so daß Meeres¬
wasser zwischen Eis und Schnee durchdrang. Der heftige Nordsturm warf
das Schiff plötzlich unter rasselnden Gräusch nach Steuerbordseite. Nur mit
Anstrengung aller Kräfte an den Tauen und Eisankern, konnte das Abtreiben
des Schiffes vom Eisfeld gehindert werden. Am 13. wieder klares, ruhiges
Wetter, man sah sich 16 Seemeilen nordöstlich von der Liverpool-Küste, die
als steiles zackiges Felsengebirge, nur spärlich mit Schnee bedeckt, erschien. In
der Zeit vom 5. — 14. October waren in der gewaltigen Triftströmung 72
Seemeilen nach Südsüdwest zurückgelegt. Dabei 14 bis 16" Kälte in der
Nacht. Raben, einmal eine Möve und ein Falke die einzigen Zeichen thieri¬
rischen Lebens. Am 18. früh halb 8 Uhr begann die Katastrophe. In
nächster Nähe des Schiffes begann das Eis zu schrauben und zu pressen. In
geregelter Zeitfolge, wie durch einen gleichmäßigen Wellenschlag hervorgerufen,
dröhnte und knallte, quitschte und pfiff es unter dem Eise. Bald klang es
wie das Knarren von Thüren, bald wieder wie ein Durcheinander vieler
Menschenstimmen, bald endlich wieder wie das Bremsen eines Bahnzuges.
Offenbar hatte sich das Eisfeld im Treiben gedreht und drängte nun stärker
an das Küsteneis an. Die beiden vor dem Schiffe gelagerten Eisstücke zitterten
heftig, die Masten schwankten und dem Steuermann oben war es oft, als
ob jemand ihm nachstiege. Dabei entstanden auf dem Felde lange und tiefe
Spalten, so daß das Whaleboot längsseit des Schiffs in Sicherheit gebracht
werden mußte. Eifrig wurde bei dem klaren Wetter des Nachmittags und
Abends für beide Fälle gesorgt: Ueberwinterung im Kohlenhause oder Ver¬
bleiben im Schiffe. Der neunzehnte October ließ diese Wahl nicht mehr.

Nordnordweststurm, Schneegestöber und Eispressungen begannen den
Tag. Die Luft war düster und dick, die etwa eine deutsche Meile entfernte
Küste nicht zu sehen. Um Mittag hatten die herannahenden hochaufgeschro¬
benen Eismassen das junge Eis an der Steuerseite des Schiffes aufgebrochen
und drängten hart an den Außenbord an. Das Schiff hob sich nach vorn,
wurde an weiterer Hebung durch die hohen Eisblöcke gehindert und mußte
daher die volle Wucht der Pressungen aushalten. Noch' war es dicht, wie
eine Peilung der Pumpen ergab. Kurz vor 1 Uhr sprangen die Decksnähte
mittschiffs. Die Mannschaft nahm in einer angstvollen Pause ihren Mittags¬
imbiß an Deck — unter Deck war es schon zu unheimlich. Da schoben sich
viele mächtige Eisblöcke unter den Bug des Schiffes. Etwa siebenzehn Fuß
hoch wurde die Hansa auf das Eis geschroben. Es war ein schauerlich schönes
Schauspiel. Nur hob sich leider der Hintere Theil des Schiffes nicht mit. Der
Steven hatte den furchtbarsten Druck auszuhalten. Um 5 Uhr wich das Eis
zurück, das Schieben der Schollen ließ nach, um sechs Uhr etwa konnte das
Schiff in das freie Wasser gleiten. Es fanden sich 17 Zoll Wasser in dem-


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[0464] verschüttete, und das junge Eis von der Hansa losbrach, so daß Meeres¬ wasser zwischen Eis und Schnee durchdrang. Der heftige Nordsturm warf das Schiff plötzlich unter rasselnden Gräusch nach Steuerbordseite. Nur mit Anstrengung aller Kräfte an den Tauen und Eisankern, konnte das Abtreiben des Schiffes vom Eisfeld gehindert werden. Am 13. wieder klares, ruhiges Wetter, man sah sich 16 Seemeilen nordöstlich von der Liverpool-Küste, die als steiles zackiges Felsengebirge, nur spärlich mit Schnee bedeckt, erschien. In der Zeit vom 5. — 14. October waren in der gewaltigen Triftströmung 72 Seemeilen nach Südsüdwest zurückgelegt. Dabei 14 bis 16" Kälte in der Nacht. Raben, einmal eine Möve und ein Falke die einzigen Zeichen thieri¬ rischen Lebens. Am 18. früh halb 8 Uhr begann die Katastrophe. In nächster Nähe des Schiffes begann das Eis zu schrauben und zu pressen. In geregelter Zeitfolge, wie durch einen gleichmäßigen Wellenschlag hervorgerufen, dröhnte und knallte, quitschte und pfiff es unter dem Eise. Bald klang es wie das Knarren von Thüren, bald wieder wie ein Durcheinander vieler Menschenstimmen, bald endlich wieder wie das Bremsen eines Bahnzuges. Offenbar hatte sich das Eisfeld im Treiben gedreht und drängte nun stärker an das Küsteneis an. Die beiden vor dem Schiffe gelagerten Eisstücke zitterten heftig, die Masten schwankten und dem Steuermann oben war es oft, als ob jemand ihm nachstiege. Dabei entstanden auf dem Felde lange und tiefe Spalten, so daß das Whaleboot längsseit des Schiffs in Sicherheit gebracht werden mußte. Eifrig wurde bei dem klaren Wetter des Nachmittags und Abends für beide Fälle gesorgt: Ueberwinterung im Kohlenhause oder Ver¬ bleiben im Schiffe. Der neunzehnte October ließ diese Wahl nicht mehr. Nordnordweststurm, Schneegestöber und Eispressungen begannen den Tag. Die Luft war düster und dick, die etwa eine deutsche Meile entfernte Küste nicht zu sehen. Um Mittag hatten die herannahenden hochaufgeschro¬ benen Eismassen das junge Eis an der Steuerseite des Schiffes aufgebrochen und drängten hart an den Außenbord an. Das Schiff hob sich nach vorn, wurde an weiterer Hebung durch die hohen Eisblöcke gehindert und mußte daher die volle Wucht der Pressungen aushalten. Noch' war es dicht, wie eine Peilung der Pumpen ergab. Kurz vor 1 Uhr sprangen die Decksnähte mittschiffs. Die Mannschaft nahm in einer angstvollen Pause ihren Mittags¬ imbiß an Deck — unter Deck war es schon zu unheimlich. Da schoben sich viele mächtige Eisblöcke unter den Bug des Schiffes. Etwa siebenzehn Fuß hoch wurde die Hansa auf das Eis geschroben. Es war ein schauerlich schönes Schauspiel. Nur hob sich leider der Hintere Theil des Schiffes nicht mit. Der Steven hatte den furchtbarsten Druck auszuhalten. Um 5 Uhr wich das Eis zurück, das Schieben der Schollen ließ nach, um sechs Uhr etwa konnte das Schiff in das freie Wasser gleiten. Es fanden sich 17 Zoll Wasser in dem-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/464>, abgerufen am 24.08.2024.