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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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Deutschland errungen, nur Gewinn und gar keinen Verlust davon getragen
hat. Kann es für diese Thatsache einen Sprechenderer Beweis geben, als
wenn Jemand sich nach Kräften bemüht, allerlei Nachtheile ausfindig zu
machen, und keine einzigen findet; wenn vielmehr bei näherem Zusehen nur
immer mehr Bordseite ans Licht treten?

Sehen wir ein wenig zu, was die Börsenzeitung findet, wenn sie den
Schaden Europas von Deutschlands Siegen aufsucht. Wir erblicken da ein
ganzes Register. Von Deutschlands Siegen kommt der Börsenzeitung zufolge die
Herabdrückung der Slaven in Oesterreich, die Parteinahme Deutschlands und
Oesterreichs gegen die nationalen Bestrebungen der Bulgaren und für die Herr¬
schaft der griechischen Kirche, die Germanisirung Posens, die definitive Ab¬
reißung Schleswigs von Dänemark, die Bedrohung der Zukunft Belgiens
und Hollands, vor Allem aber die Aufrichtung eines bis an die Zähne ge¬
rüsteten Militärstaats, der ganz Europa zwingt, sich durch Rüstungen zu
erschöpfen. Hier wollen wir einstweilen inne halten. Aber nur einstweilen.
Denn die Börsenzeitung hat ein zweites Register bereit, welches die be¬
sonderen Nachtheile enthält, die aus den deutschen Siegen für England
erwachsen sind.

Jetzt zu Register 1. "Durch Deutschlands Siege sind die Slaven in
Oesterreich herabgedrückt worden." Wen trifft eigentlich dieser Nachtheil?
Wenn man von Europa spricht, meint man doch vorzugsweise die europäi¬
schen Regierungen. Sollte es für die österreichische Regierung so unangenehm
sein, wenn die separatistischen Bestrebungen der Tschechen in Böhmen, der
Südslaven in Ungarn, und der Polen in Galizien einigermaßen entmuthigt
worden wären? Und glaubt die Börsenzeitung, daß das wiener Cabinet von
Deutschland gezwungen wird, den Bestrebungen der österreichischen Slaven in
höherem Maße entgegenzutreten, als dasselbe im Interesse der Monarchie für
gut befindet? Es würde interessant sein, über diesen Punkt die Aeußerung
der Börsenzeitung zu vernehmen. Einstweilen finden wir die Besorgniß des
Blattes für das Wohl Oesterreichs zwar sehr beruhigend, aber nicht sehr be¬
gründet. -- "Die Parteinahme Deutschlands und Oesterreichs gegen die natio¬
nalen Bestrebungen der Bulgaren." Aber wo ist von solcher Parteinahme je
ein Wort berichtet worden? Bis die Börsenzeitung die Thatsachen anführt,
auf die sie ihre Klage stützt, glauben wir nicht ein Wort davon. -- "Die Ger¬
manisirung Posens". Wünscht vielleicht die Börsenzeitung, daß Preußen die
polnische Nationalität begünstigt? Ist das Blatt vielleicht gesonnen, densel¬
ben Weg für Rußland zu empfehlen? Wir vermuthen das Gegentheil.
Wenn aber für Rußland die Auflösung der polnischen Nationalität empfeh¬
lenswert!" sein sollte, so möge uns die Börsenzeitung doch sagen, für welchen
Zweck das kleine Stück dieser Nationalität, das auf dem Boden Preußens


Deutschland errungen, nur Gewinn und gar keinen Verlust davon getragen
hat. Kann es für diese Thatsache einen Sprechenderer Beweis geben, als
wenn Jemand sich nach Kräften bemüht, allerlei Nachtheile ausfindig zu
machen, und keine einzigen findet; wenn vielmehr bei näherem Zusehen nur
immer mehr Bordseite ans Licht treten?

Sehen wir ein wenig zu, was die Börsenzeitung findet, wenn sie den
Schaden Europas von Deutschlands Siegen aufsucht. Wir erblicken da ein
ganzes Register. Von Deutschlands Siegen kommt der Börsenzeitung zufolge die
Herabdrückung der Slaven in Oesterreich, die Parteinahme Deutschlands und
Oesterreichs gegen die nationalen Bestrebungen der Bulgaren und für die Herr¬
schaft der griechischen Kirche, die Germanisirung Posens, die definitive Ab¬
reißung Schleswigs von Dänemark, die Bedrohung der Zukunft Belgiens
und Hollands, vor Allem aber die Aufrichtung eines bis an die Zähne ge¬
rüsteten Militärstaats, der ganz Europa zwingt, sich durch Rüstungen zu
erschöpfen. Hier wollen wir einstweilen inne halten. Aber nur einstweilen.
Denn die Börsenzeitung hat ein zweites Register bereit, welches die be¬
sonderen Nachtheile enthält, die aus den deutschen Siegen für England
erwachsen sind.

Jetzt zu Register 1. „Durch Deutschlands Siege sind die Slaven in
Oesterreich herabgedrückt worden." Wen trifft eigentlich dieser Nachtheil?
Wenn man von Europa spricht, meint man doch vorzugsweise die europäi¬
schen Regierungen. Sollte es für die österreichische Regierung so unangenehm
sein, wenn die separatistischen Bestrebungen der Tschechen in Böhmen, der
Südslaven in Ungarn, und der Polen in Galizien einigermaßen entmuthigt
worden wären? Und glaubt die Börsenzeitung, daß das wiener Cabinet von
Deutschland gezwungen wird, den Bestrebungen der österreichischen Slaven in
höherem Maße entgegenzutreten, als dasselbe im Interesse der Monarchie für
gut befindet? Es würde interessant sein, über diesen Punkt die Aeußerung
der Börsenzeitung zu vernehmen. Einstweilen finden wir die Besorgniß des
Blattes für das Wohl Oesterreichs zwar sehr beruhigend, aber nicht sehr be¬
gründet. — „Die Parteinahme Deutschlands und Oesterreichs gegen die natio¬
nalen Bestrebungen der Bulgaren." Aber wo ist von solcher Parteinahme je
ein Wort berichtet worden? Bis die Börsenzeitung die Thatsachen anführt,
auf die sie ihre Klage stützt, glauben wir nicht ein Wort davon. — „Die Ger¬
manisirung Posens". Wünscht vielleicht die Börsenzeitung, daß Preußen die
polnische Nationalität begünstigt? Ist das Blatt vielleicht gesonnen, densel¬
ben Weg für Rußland zu empfehlen? Wir vermuthen das Gegentheil.
Wenn aber für Rußland die Auflösung der polnischen Nationalität empfeh¬
lenswert!» sein sollte, so möge uns die Börsenzeitung doch sagen, für welchen
Zweck das kleine Stück dieser Nationalität, das auf dem Boden Preußens


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[0444] Deutschland errungen, nur Gewinn und gar keinen Verlust davon getragen hat. Kann es für diese Thatsache einen Sprechenderer Beweis geben, als wenn Jemand sich nach Kräften bemüht, allerlei Nachtheile ausfindig zu machen, und keine einzigen findet; wenn vielmehr bei näherem Zusehen nur immer mehr Bordseite ans Licht treten? Sehen wir ein wenig zu, was die Börsenzeitung findet, wenn sie den Schaden Europas von Deutschlands Siegen aufsucht. Wir erblicken da ein ganzes Register. Von Deutschlands Siegen kommt der Börsenzeitung zufolge die Herabdrückung der Slaven in Oesterreich, die Parteinahme Deutschlands und Oesterreichs gegen die nationalen Bestrebungen der Bulgaren und für die Herr¬ schaft der griechischen Kirche, die Germanisirung Posens, die definitive Ab¬ reißung Schleswigs von Dänemark, die Bedrohung der Zukunft Belgiens und Hollands, vor Allem aber die Aufrichtung eines bis an die Zähne ge¬ rüsteten Militärstaats, der ganz Europa zwingt, sich durch Rüstungen zu erschöpfen. Hier wollen wir einstweilen inne halten. Aber nur einstweilen. Denn die Börsenzeitung hat ein zweites Register bereit, welches die be¬ sonderen Nachtheile enthält, die aus den deutschen Siegen für England erwachsen sind. Jetzt zu Register 1. „Durch Deutschlands Siege sind die Slaven in Oesterreich herabgedrückt worden." Wen trifft eigentlich dieser Nachtheil? Wenn man von Europa spricht, meint man doch vorzugsweise die europäi¬ schen Regierungen. Sollte es für die österreichische Regierung so unangenehm sein, wenn die separatistischen Bestrebungen der Tschechen in Böhmen, der Südslaven in Ungarn, und der Polen in Galizien einigermaßen entmuthigt worden wären? Und glaubt die Börsenzeitung, daß das wiener Cabinet von Deutschland gezwungen wird, den Bestrebungen der österreichischen Slaven in höherem Maße entgegenzutreten, als dasselbe im Interesse der Monarchie für gut befindet? Es würde interessant sein, über diesen Punkt die Aeußerung der Börsenzeitung zu vernehmen. Einstweilen finden wir die Besorgniß des Blattes für das Wohl Oesterreichs zwar sehr beruhigend, aber nicht sehr be¬ gründet. — „Die Parteinahme Deutschlands und Oesterreichs gegen die natio¬ nalen Bestrebungen der Bulgaren." Aber wo ist von solcher Parteinahme je ein Wort berichtet worden? Bis die Börsenzeitung die Thatsachen anführt, auf die sie ihre Klage stützt, glauben wir nicht ein Wort davon. — „Die Ger¬ manisirung Posens". Wünscht vielleicht die Börsenzeitung, daß Preußen die polnische Nationalität begünstigt? Ist das Blatt vielleicht gesonnen, densel¬ ben Weg für Rußland zu empfehlen? Wir vermuthen das Gegentheil. Wenn aber für Rußland die Auflösung der polnischen Nationalität empfeh¬ lenswert!» sein sollte, so möge uns die Börsenzeitung doch sagen, für welchen Zweck das kleine Stück dieser Nationalität, das auf dem Boden Preußens

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/444>, abgerufen am 22.07.2024.