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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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daß an dem Tage, wo Berlin auf die Schlachtsteuer als Gemeindeabgabe ver¬
zichtet, das Einkommen unter 300 Thlr. von jeder Steuer entlastet wird.
Unter dieser Voraussetzung läge in dem besprochenen Paragraphen eine par¬
tielle Wohlthat, die nur der Ausdehnung auf das ganze Land im geeigneten
Moment bedürfte.

Am 3. März wurde das Diätengesetz angenommen, welches die Diäten
der Abgeordneten für den Tag von 3 Thlr. auf 5 Thlr., und ebenso die
Reiseentschädigung nicht unbeträchtlich erhöht. Wir wollen auf die Verwerf¬
lichkeit dieser Einrichtung jetzt nicht wieder zurückzukommen. Unser ganzer
buntscheckiger Parlamentarismus muß so unerträglich werden, daß die gesammte
Nation über kurz oder lang seine Vereinfachung gebieterisch fordern wird.
Dann wird es Zeit sein, die Diätenfrage nochmals in Erwägung zu ziehen.
Herr Windhorst tritt neuerdings als Popularitätsbewerber auf. So sprach
er denn dießmal für die Diäten.

Am 6. März kam ein Antrag des Abgeordneten Bernards zur Berathung,
die Stempelsteuer von Kalendern, Zeitungen, Zeitschriften und Anzeigeblättern
nicht mehr zu erheben. Und siehe da, Herr Windhorst trat als Freund der
Presse auf und sekundirte dem Antrag. Ich glaube nicht, daß dieß im In¬
teresse der ultramontanen Presse geschah, ich glaube vielmehr, der Redner
wollte feurige Kohlen auf die Häupter der liberalen Presse sammeln.

Die ablehnende Haltung der Regierung, welche in den Darlegungen des
Ministers des Innern und des Finanzministers Ausdruck fand, hat viel Mi߬
stimmung erregt. Am Regierungstisch sagt man: "die Steuer ist nicht drückend,
und wir dürfen bei der Beseitigung von Einnahmen das Tempo nicht allzu¬
rasch nehmen." Die Aufhebung der Steuer soll also nur vertagt, nicht ver¬
sagt werden. Darf ich eine Vermuthung wagen, so will die Regierung die
Zeitungssteuer darum jetzt beibehalten, um bei der zusammenhängenden Pre߬
gesetzgebung, welche unternommen werden muß, sobald Zeit und Kräfte zu
dem Werke da sind, eine Compensation in Händen zu haben für zu stellende
Gegenforderungen. Die Unbequemlichkeit und sonstigen Nachtheile dieser
Steuer will ich nicht in Abrede stellen. Aber es ist doch sentimental, wenn
man immerfort hören muß, die Presse sei ein reines Institut der Culturaus-
brütung und Tugendbeförderung. Es liegt vielmehr in der Natur der Sache,
daß in der Presse alle guten und schlechten Bestrebungen ihren Schauplatz
finden, und auf dem Markte gewinnen die schlechten Bestrebungen leicht die
Oberhand. In freien Ländern tritt die Tendenz hervor, aus der Presse ein
gemeingefährliches Gewerbe zu machen. Der Steuerdruck ist gegen diese Ten¬
denz nur eine schlechte Waffe, und die allerschlechteste sind die Präventivma߬
regeln jeder Art. Aber die patriotische und ernste Presse sollte nicht aus dem
Auge verlieren, welche schwere Aufgabe die Herstellung einer zweckmäßigen
deutschen Preßgesetzgebung ist, und sollte, dieß erwägend, es der Regierung


daß an dem Tage, wo Berlin auf die Schlachtsteuer als Gemeindeabgabe ver¬
zichtet, das Einkommen unter 300 Thlr. von jeder Steuer entlastet wird.
Unter dieser Voraussetzung läge in dem besprochenen Paragraphen eine par¬
tielle Wohlthat, die nur der Ausdehnung auf das ganze Land im geeigneten
Moment bedürfte.

Am 3. März wurde das Diätengesetz angenommen, welches die Diäten
der Abgeordneten für den Tag von 3 Thlr. auf 5 Thlr., und ebenso die
Reiseentschädigung nicht unbeträchtlich erhöht. Wir wollen auf die Verwerf¬
lichkeit dieser Einrichtung jetzt nicht wieder zurückzukommen. Unser ganzer
buntscheckiger Parlamentarismus muß so unerträglich werden, daß die gesammte
Nation über kurz oder lang seine Vereinfachung gebieterisch fordern wird.
Dann wird es Zeit sein, die Diätenfrage nochmals in Erwägung zu ziehen.
Herr Windhorst tritt neuerdings als Popularitätsbewerber auf. So sprach
er denn dießmal für die Diäten.

Am 6. März kam ein Antrag des Abgeordneten Bernards zur Berathung,
die Stempelsteuer von Kalendern, Zeitungen, Zeitschriften und Anzeigeblättern
nicht mehr zu erheben. Und siehe da, Herr Windhorst trat als Freund der
Presse auf und sekundirte dem Antrag. Ich glaube nicht, daß dieß im In¬
teresse der ultramontanen Presse geschah, ich glaube vielmehr, der Redner
wollte feurige Kohlen auf die Häupter der liberalen Presse sammeln.

Die ablehnende Haltung der Regierung, welche in den Darlegungen des
Ministers des Innern und des Finanzministers Ausdruck fand, hat viel Mi߬
stimmung erregt. Am Regierungstisch sagt man: „die Steuer ist nicht drückend,
und wir dürfen bei der Beseitigung von Einnahmen das Tempo nicht allzu¬
rasch nehmen." Die Aufhebung der Steuer soll also nur vertagt, nicht ver¬
sagt werden. Darf ich eine Vermuthung wagen, so will die Regierung die
Zeitungssteuer darum jetzt beibehalten, um bei der zusammenhängenden Pre߬
gesetzgebung, welche unternommen werden muß, sobald Zeit und Kräfte zu
dem Werke da sind, eine Compensation in Händen zu haben für zu stellende
Gegenforderungen. Die Unbequemlichkeit und sonstigen Nachtheile dieser
Steuer will ich nicht in Abrede stellen. Aber es ist doch sentimental, wenn
man immerfort hören muß, die Presse sei ein reines Institut der Culturaus-
brütung und Tugendbeförderung. Es liegt vielmehr in der Natur der Sache,
daß in der Presse alle guten und schlechten Bestrebungen ihren Schauplatz
finden, und auf dem Markte gewinnen die schlechten Bestrebungen leicht die
Oberhand. In freien Ländern tritt die Tendenz hervor, aus der Presse ein
gemeingefährliches Gewerbe zu machen. Der Steuerdruck ist gegen diese Ten¬
denz nur eine schlechte Waffe, und die allerschlechteste sind die Präventivma߬
regeln jeder Art. Aber die patriotische und ernste Presse sollte nicht aus dem
Auge verlieren, welche schwere Aufgabe die Herstellung einer zweckmäßigen
deutschen Preßgesetzgebung ist, und sollte, dieß erwägend, es der Regierung


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[0442] daß an dem Tage, wo Berlin auf die Schlachtsteuer als Gemeindeabgabe ver¬ zichtet, das Einkommen unter 300 Thlr. von jeder Steuer entlastet wird. Unter dieser Voraussetzung läge in dem besprochenen Paragraphen eine par¬ tielle Wohlthat, die nur der Ausdehnung auf das ganze Land im geeigneten Moment bedürfte. Am 3. März wurde das Diätengesetz angenommen, welches die Diäten der Abgeordneten für den Tag von 3 Thlr. auf 5 Thlr., und ebenso die Reiseentschädigung nicht unbeträchtlich erhöht. Wir wollen auf die Verwerf¬ lichkeit dieser Einrichtung jetzt nicht wieder zurückzukommen. Unser ganzer buntscheckiger Parlamentarismus muß so unerträglich werden, daß die gesammte Nation über kurz oder lang seine Vereinfachung gebieterisch fordern wird. Dann wird es Zeit sein, die Diätenfrage nochmals in Erwägung zu ziehen. Herr Windhorst tritt neuerdings als Popularitätsbewerber auf. So sprach er denn dießmal für die Diäten. Am 6. März kam ein Antrag des Abgeordneten Bernards zur Berathung, die Stempelsteuer von Kalendern, Zeitungen, Zeitschriften und Anzeigeblättern nicht mehr zu erheben. Und siehe da, Herr Windhorst trat als Freund der Presse auf und sekundirte dem Antrag. Ich glaube nicht, daß dieß im In¬ teresse der ultramontanen Presse geschah, ich glaube vielmehr, der Redner wollte feurige Kohlen auf die Häupter der liberalen Presse sammeln. Die ablehnende Haltung der Regierung, welche in den Darlegungen des Ministers des Innern und des Finanzministers Ausdruck fand, hat viel Mi߬ stimmung erregt. Am Regierungstisch sagt man: „die Steuer ist nicht drückend, und wir dürfen bei der Beseitigung von Einnahmen das Tempo nicht allzu¬ rasch nehmen." Die Aufhebung der Steuer soll also nur vertagt, nicht ver¬ sagt werden. Darf ich eine Vermuthung wagen, so will die Regierung die Zeitungssteuer darum jetzt beibehalten, um bei der zusammenhängenden Pre߬ gesetzgebung, welche unternommen werden muß, sobald Zeit und Kräfte zu dem Werke da sind, eine Compensation in Händen zu haben für zu stellende Gegenforderungen. Die Unbequemlichkeit und sonstigen Nachtheile dieser Steuer will ich nicht in Abrede stellen. Aber es ist doch sentimental, wenn man immerfort hören muß, die Presse sei ein reines Institut der Culturaus- brütung und Tugendbeförderung. Es liegt vielmehr in der Natur der Sache, daß in der Presse alle guten und schlechten Bestrebungen ihren Schauplatz finden, und auf dem Markte gewinnen die schlechten Bestrebungen leicht die Oberhand. In freien Ländern tritt die Tendenz hervor, aus der Presse ein gemeingefährliches Gewerbe zu machen. Der Steuerdruck ist gegen diese Ten¬ denz nur eine schlechte Waffe, und die allerschlechteste sind die Präventivma߬ regeln jeder Art. Aber die patriotische und ernste Presse sollte nicht aus dem Auge verlieren, welche schwere Aufgabe die Herstellung einer zweckmäßigen deutschen Preßgesetzgebung ist, und sollte, dieß erwägend, es der Regierung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/442>, abgerufen am 25.08.2024.