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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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welches kaum durch die Herbstnebel zu dringen vermochte, vortrefflich geeignet,
Reflexe, wie sie Jacob Ruysdael in seinen niederländischen Landschaften
mit so großer Meisterschaft wiedergiebt, aus dem Spiel der Wolken und
Schatten hervorzurufen und das Panorama der alten flandrischen Handels¬
metropole, deren Thürme vor unseren Blicken aufstiegen, in wunderbaren
Dissolving Views zu vervielfältigen. Dort die Pfeilspitze des Thurms der
Notre Dame, einer der herrlichsten gothischen Kathedralen in den Süd¬
niederlanden, scheint gen Himmel zu streben, nicht weit davon ragen die
Thürme von Se. Charles und Se. Jaques hervor; an der Südseite la¬
gern die breiten Wälle und Werke des neuen Forts; am Schcldeufer
dehnen sich die Hafenbassins und Quais aus. von einem mächtigen Halbkreis
von Häusern und Dächern eingefaßt. Dazwischen strecken zahlreiche stattliche
Masten ihre Nam und Spieren in die Lüfte, während den Strom kleinere
Böte oder schnelle Dampfer beleben, deren Rauch auf Augenblicke die Aus¬
sicht hindert. Bon den Schiffen ertönt die einförmige, aber nicht unharmo¬
nische Musik des A-Hol der Theerjacken, welche die Schiffsladung löschen hel¬
fen. Unser Dampfer landete an einem der Werfte in der Nähe des Arsenals,
und wir hatten Muße genug, die neuen Eindrücke behaglich aufzunehmen.
Hier an den Quais van Dyck und Jordaens, Namen, welche an
die herrlichste Kunstblüthe der flandrischen Malerschule erinnern, drängt sich
vielgestaltig das charakteristische Gewühl der Hafenstadt. Die breiten roth¬
braunen Physiognomien der Sackträger, die Südwester der Matrosen, welche
zwischen Kasseeballen, indischer Baumwolle, australischer Wolle, oder Petro¬
leum-Fässern von mächtiger Größe auftauchen, sodann oben auf Deck die in
graue Gummiröcke eingehüllten Schiffsführer, deren Commandoruf das Ver¬
ladegeschäft beherrscht, endlich die Staffage einheimischer Dienstleute in selt¬
samen Gruppen und Costümen. -- Alles dieß gewährt ein Ensemble, wie es
im Binnenlande schwerlich in so malerischer Mannigfaltigkeit sich darbietet.
Man fühlt beim Anblick dieses rastlosen Schaffens, daß hier eine mächtige
Ader des Weltverkehrs pulsirt. In der That ist der Handel Antwerpens,
der freilich um die Mitte des 16. Jahrhunderts seinen Höhepunkt erreicht
hatte, von da ab bis 1790 fort und fort gesunken war und erst nach 1830
sich neu beleben konnte, wieder in erfreulichem Aufschwünge begriffen. 4000
Schiffe laufen jährlich aus und ein; darunter viele von großer Fahrt, d. h.
von Indien, Südamerika und Australien. Dennoch fehlt dem Seehandel
Antwerpens ein wichtiger Lebensnerv: die zum Theil von Napoleon I. erbauten
Hafenbassins sind unzureichend, und das Fahrwasser der Scheide entbehrt der
genügenden Vertiefung, weßhalb sehr große Seeschiffe auf der Rhede des hol¬
ländischen Hafens Vliessingen bleiben müssen, der an der Scheldemündung
günstiger gelegen ist, als Antwerpen. Die Holländer sind im Wasser- und


welches kaum durch die Herbstnebel zu dringen vermochte, vortrefflich geeignet,
Reflexe, wie sie Jacob Ruysdael in seinen niederländischen Landschaften
mit so großer Meisterschaft wiedergiebt, aus dem Spiel der Wolken und
Schatten hervorzurufen und das Panorama der alten flandrischen Handels¬
metropole, deren Thürme vor unseren Blicken aufstiegen, in wunderbaren
Dissolving Views zu vervielfältigen. Dort die Pfeilspitze des Thurms der
Notre Dame, einer der herrlichsten gothischen Kathedralen in den Süd¬
niederlanden, scheint gen Himmel zu streben, nicht weit davon ragen die
Thürme von Se. Charles und Se. Jaques hervor; an der Südseite la¬
gern die breiten Wälle und Werke des neuen Forts; am Schcldeufer
dehnen sich die Hafenbassins und Quais aus. von einem mächtigen Halbkreis
von Häusern und Dächern eingefaßt. Dazwischen strecken zahlreiche stattliche
Masten ihre Nam und Spieren in die Lüfte, während den Strom kleinere
Böte oder schnelle Dampfer beleben, deren Rauch auf Augenblicke die Aus¬
sicht hindert. Bon den Schiffen ertönt die einförmige, aber nicht unharmo¬
nische Musik des A-Hol der Theerjacken, welche die Schiffsladung löschen hel¬
fen. Unser Dampfer landete an einem der Werfte in der Nähe des Arsenals,
und wir hatten Muße genug, die neuen Eindrücke behaglich aufzunehmen.
Hier an den Quais van Dyck und Jordaens, Namen, welche an
die herrlichste Kunstblüthe der flandrischen Malerschule erinnern, drängt sich
vielgestaltig das charakteristische Gewühl der Hafenstadt. Die breiten roth¬
braunen Physiognomien der Sackträger, die Südwester der Matrosen, welche
zwischen Kasseeballen, indischer Baumwolle, australischer Wolle, oder Petro¬
leum-Fässern von mächtiger Größe auftauchen, sodann oben auf Deck die in
graue Gummiröcke eingehüllten Schiffsführer, deren Commandoruf das Ver¬
ladegeschäft beherrscht, endlich die Staffage einheimischer Dienstleute in selt¬
samen Gruppen und Costümen. — Alles dieß gewährt ein Ensemble, wie es
im Binnenlande schwerlich in so malerischer Mannigfaltigkeit sich darbietet.
Man fühlt beim Anblick dieses rastlosen Schaffens, daß hier eine mächtige
Ader des Weltverkehrs pulsirt. In der That ist der Handel Antwerpens,
der freilich um die Mitte des 16. Jahrhunderts seinen Höhepunkt erreicht
hatte, von da ab bis 1790 fort und fort gesunken war und erst nach 1830
sich neu beleben konnte, wieder in erfreulichem Aufschwünge begriffen. 4000
Schiffe laufen jährlich aus und ein; darunter viele von großer Fahrt, d. h.
von Indien, Südamerika und Australien. Dennoch fehlt dem Seehandel
Antwerpens ein wichtiger Lebensnerv: die zum Theil von Napoleon I. erbauten
Hafenbassins sind unzureichend, und das Fahrwasser der Scheide entbehrt der
genügenden Vertiefung, weßhalb sehr große Seeschiffe auf der Rhede des hol¬
ländischen Hafens Vliessingen bleiben müssen, der an der Scheldemündung
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/430>, abgerufen am 25.08.2024.