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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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des 3. Mai war Albert nach Genz, zu dem Sommeraufenthalt des Herzogs
berufen, dessen Befinden keine Spur einer Krankheit verrieth. Die vertrau¬
liche Frage: "Was giebt es Neues, lieber Albert?" hatte ihm Veranlassung
gegeben, die Klagen des Landes seinem Fürsten zu bekennen, die drückende
Noth der Unterthanen im Neu-Cöthenschen Antheile, welche wegen rückstän¬
diger Naturalgefälle Execution bekommen hätten, zu einer Zeit, wo sie für
sich selbst kein Brot und als Futter für ihr Vieh nur das halb vermoderte
Stroh von ihren Strohdächern hätten. Der Herzog entgegnete: "Aber mein
Gott, davon weiß ich ja kein Wort, und ich will durchaus nicht, daß meine
Unterhalten auf irgend eine Weise gedrückt werden sollen!" Er ließ sich so¬
gleich die von den Unterthanen schuldigen Reste berechnen, erklärte dieselben
von seinem Etat bezahlen zu wollen, und wies Albert an, am folgenden
Morgen zu Dabelow zu gehen, diesem den eben gefaßten Beschluß bekannt
zu machen und ihm zu versichern, daß der Herzog mit der aufgelegten Execution
äußerst unzufrieden sei. Sein Zorn lenkte sich jedoch alsbald von Dabelow ab
zu den Ständen. "An Allem diesen sind die Stände schuld," sagte er, "sie wollen
eine allgemeine Unzufriedenheit bewirken, und der Freiherr von Dabelow hat mir
erst gestern noch die härtesten Maßregeln gegen dieselben anempfohlen. Auch
sollen sie in einigen Tagen der rückständigen Naturalgefälle halber, welche die
Pächter noch schuldig sind, Execution erhalten; denn es ist nicht zum Aus¬
halten!" Albert hielt dem Herzoge vor, daß diese Maßregeln gegen die Stände
Wohl nicht zulässig, auch nicht verdient seien, der Herzog erwiederte jedoch: "Aber
mein Gott, Dabelow muß doch wohl so etwas wissen, und wäre ich schänd¬
lich betrogen, wenn er mir Dinge riethe, die mir und meinem Lande offenbar
nachtheilig werden müssen."

Der Herzog wurde sichtbar unruhig. Auch Albert hatte noch nicht sein
ganzes Herz ausgeschüttet. Er hatte von dem Gerücht vernommen, daß dem¬
nächst auf Beschwerde der Stände wieder eine sächsische Commission nach
Cöthen kommen werde, und glaubte, daß es deren nicht bedürfe, wenn der
Herzog von seinen Rechten aus dem mit den Ständen abgeschlossenen Ver¬
trage, den auch Albert für drückend und unausführbar hielt, Nachlasse be¬
willige. Der Herzog drang in ihn, ihm Alles, was er bei Albert noch im
Hintergrunde sah, offenherzig vorzutragen. Albert that das und sagte Alles,
was er gehört hatte; aber der Herzog glaubte es nicht. Die Commission,
sagte er, komme nur wegen einer Regulirung der Grundsteuer; so habe ihm
Dabelow gesagt, und von einer Beschwerde der Stände wisse er Nichts. Al¬
bert versprach, am folgenden Tage nähere Erkundigungen einzuziehen, und
schied vom Herzoge mit dessen Auftrage, auch den Domänenpächtern die ein¬
geleitete Execution abnehmen zu lassen.

Am andern Morgen überzeugte sich Albert durch Erkundigungen bei dem


des 3. Mai war Albert nach Genz, zu dem Sommeraufenthalt des Herzogs
berufen, dessen Befinden keine Spur einer Krankheit verrieth. Die vertrau¬
liche Frage: „Was giebt es Neues, lieber Albert?" hatte ihm Veranlassung
gegeben, die Klagen des Landes seinem Fürsten zu bekennen, die drückende
Noth der Unterthanen im Neu-Cöthenschen Antheile, welche wegen rückstän¬
diger Naturalgefälle Execution bekommen hätten, zu einer Zeit, wo sie für
sich selbst kein Brot und als Futter für ihr Vieh nur das halb vermoderte
Stroh von ihren Strohdächern hätten. Der Herzog entgegnete: „Aber mein
Gott, davon weiß ich ja kein Wort, und ich will durchaus nicht, daß meine
Unterhalten auf irgend eine Weise gedrückt werden sollen!" Er ließ sich so¬
gleich die von den Unterthanen schuldigen Reste berechnen, erklärte dieselben
von seinem Etat bezahlen zu wollen, und wies Albert an, am folgenden
Morgen zu Dabelow zu gehen, diesem den eben gefaßten Beschluß bekannt
zu machen und ihm zu versichern, daß der Herzog mit der aufgelegten Execution
äußerst unzufrieden sei. Sein Zorn lenkte sich jedoch alsbald von Dabelow ab
zu den Ständen. „An Allem diesen sind die Stände schuld," sagte er, „sie wollen
eine allgemeine Unzufriedenheit bewirken, und der Freiherr von Dabelow hat mir
erst gestern noch die härtesten Maßregeln gegen dieselben anempfohlen. Auch
sollen sie in einigen Tagen der rückständigen Naturalgefälle halber, welche die
Pächter noch schuldig sind, Execution erhalten; denn es ist nicht zum Aus¬
halten!" Albert hielt dem Herzoge vor, daß diese Maßregeln gegen die Stände
Wohl nicht zulässig, auch nicht verdient seien, der Herzog erwiederte jedoch: „Aber
mein Gott, Dabelow muß doch wohl so etwas wissen, und wäre ich schänd¬
lich betrogen, wenn er mir Dinge riethe, die mir und meinem Lande offenbar
nachtheilig werden müssen."

Der Herzog wurde sichtbar unruhig. Auch Albert hatte noch nicht sein
ganzes Herz ausgeschüttet. Er hatte von dem Gerücht vernommen, daß dem¬
nächst auf Beschwerde der Stände wieder eine sächsische Commission nach
Cöthen kommen werde, und glaubte, daß es deren nicht bedürfe, wenn der
Herzog von seinen Rechten aus dem mit den Ständen abgeschlossenen Ver¬
trage, den auch Albert für drückend und unausführbar hielt, Nachlasse be¬
willige. Der Herzog drang in ihn, ihm Alles, was er bei Albert noch im
Hintergrunde sah, offenherzig vorzutragen. Albert that das und sagte Alles,
was er gehört hatte; aber der Herzog glaubte es nicht. Die Commission,
sagte er, komme nur wegen einer Regulirung der Grundsteuer; so habe ihm
Dabelow gesagt, und von einer Beschwerde der Stände wisse er Nichts. Al¬
bert versprach, am folgenden Tage nähere Erkundigungen einzuziehen, und
schied vom Herzoge mit dessen Auftrage, auch den Domänenpächtern die ein¬
geleitete Execution abnehmen zu lassen.

Am andern Morgen überzeugte sich Albert durch Erkundigungen bei dem


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[0391] des 3. Mai war Albert nach Genz, zu dem Sommeraufenthalt des Herzogs berufen, dessen Befinden keine Spur einer Krankheit verrieth. Die vertrau¬ liche Frage: „Was giebt es Neues, lieber Albert?" hatte ihm Veranlassung gegeben, die Klagen des Landes seinem Fürsten zu bekennen, die drückende Noth der Unterthanen im Neu-Cöthenschen Antheile, welche wegen rückstän¬ diger Naturalgefälle Execution bekommen hätten, zu einer Zeit, wo sie für sich selbst kein Brot und als Futter für ihr Vieh nur das halb vermoderte Stroh von ihren Strohdächern hätten. Der Herzog entgegnete: „Aber mein Gott, davon weiß ich ja kein Wort, und ich will durchaus nicht, daß meine Unterhalten auf irgend eine Weise gedrückt werden sollen!" Er ließ sich so¬ gleich die von den Unterthanen schuldigen Reste berechnen, erklärte dieselben von seinem Etat bezahlen zu wollen, und wies Albert an, am folgenden Morgen zu Dabelow zu gehen, diesem den eben gefaßten Beschluß bekannt zu machen und ihm zu versichern, daß der Herzog mit der aufgelegten Execution äußerst unzufrieden sei. Sein Zorn lenkte sich jedoch alsbald von Dabelow ab zu den Ständen. „An Allem diesen sind die Stände schuld," sagte er, „sie wollen eine allgemeine Unzufriedenheit bewirken, und der Freiherr von Dabelow hat mir erst gestern noch die härtesten Maßregeln gegen dieselben anempfohlen. Auch sollen sie in einigen Tagen der rückständigen Naturalgefälle halber, welche die Pächter noch schuldig sind, Execution erhalten; denn es ist nicht zum Aus¬ halten!" Albert hielt dem Herzoge vor, daß diese Maßregeln gegen die Stände Wohl nicht zulässig, auch nicht verdient seien, der Herzog erwiederte jedoch: „Aber mein Gott, Dabelow muß doch wohl so etwas wissen, und wäre ich schänd¬ lich betrogen, wenn er mir Dinge riethe, die mir und meinem Lande offenbar nachtheilig werden müssen." Der Herzog wurde sichtbar unruhig. Auch Albert hatte noch nicht sein ganzes Herz ausgeschüttet. Er hatte von dem Gerücht vernommen, daß dem¬ nächst auf Beschwerde der Stände wieder eine sächsische Commission nach Cöthen kommen werde, und glaubte, daß es deren nicht bedürfe, wenn der Herzog von seinen Rechten aus dem mit den Ständen abgeschlossenen Ver¬ trage, den auch Albert für drückend und unausführbar hielt, Nachlasse be¬ willige. Der Herzog drang in ihn, ihm Alles, was er bei Albert noch im Hintergrunde sah, offenherzig vorzutragen. Albert that das und sagte Alles, was er gehört hatte; aber der Herzog glaubte es nicht. Die Commission, sagte er, komme nur wegen einer Regulirung der Grundsteuer; so habe ihm Dabelow gesagt, und von einer Beschwerde der Stände wisse er Nichts. Al¬ bert versprach, am folgenden Tage nähere Erkundigungen einzuziehen, und schied vom Herzoge mit dessen Auftrage, auch den Domänenpächtern die ein¬ geleitete Execution abnehmen zu lassen. Am andern Morgen überzeugte sich Albert durch Erkundigungen bei dem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/391>, abgerufen am 24.08.2024.