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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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So hätten wir denn von unsern kirchlichen Würdenträgern den Einen über
die Grenze geschafft, dem Andern auf nächsten Ostermontag seine bischöfliche
Wohnung aufgesagt. Nun darf man aber im Ausland ja nicht denken, daß
wir uns etwa auf diese raschen Maßregeln viel zu gute thun. Wir sind uns
vielmehr ganz genau bewußt, daß wir am Anfang einer ganzen Reihe von
rechtlichen Schwierigkeiten und kirchlichen Verwicklungen stehen. Was wir bis¬
her gethan, war bloße Nothwehr. Wir benutzen aber "die bischoflose, die
fröhliche Zeit" als Mittel zu einem höhern Zweck, zur Umgestaltung des bis¬
herigen Verhältnisses zwischen Bischof und Diöcesangeistlichkeit. Dasselbe war
fast unmerklich in immer größere Abhängigkeit des ersteren ausgeartet. Schon
auf die Bildung des Klerus haben die Bischöfe einen viel größern Einfluß,
als vor fünfzig Jahren; auch von Censuren und Beförderungen wird ein aus¬
giebigerer Gebrauch gemacht; dazu ist in den letzten vierzig Jahren so mancher
Streit zwischen einem Kanton und dem Bischof auf dem Rücken derjenigen
Priester ausgetragen worden, welche während desselben treu zur Negierung ge¬
halten hatten. Da begreift er sich denn leicht, warum zumal die jüngere
Geistlichkeit im Bischof ihren einzigen Rückhalt suchte und fand. Dieß muß
nun anders werden; sonst bringen wir diese Klerisei nimmermehr zum Ge¬
horsam unter das Staatsgesetz. Deßhalb waren es sehr wohlgezielte Schläge,
daß Solothurn die periodische Wiederwahl der Geistlichen bei sich einführte, und
Genf die Wahl derselben ganz in die Hand der Gemeinden zu legen beschloß.
Thurgau besitzt letztere Einrichtung ebenfalls, Aargau und Baselland beide und
diesen zwei wird auch Bern nächstens folgen. Nicht umsonst setzt die katho¬
lische Geistlichkeit gegen diese Maßregeln Himmel und Hölle in Bewegung, wie
in Solothurn und Genf; die Herrn wissen eben, daß sie dann nicht mehr die
unumschränkten Herrn ihrer Gemeinden sein werden, sondern mit den An¬
forderungen und Interessen der Bevölkerungen viel vorsichtiger rechnen müssen.

Doch auch die Bildung der katholischen Geistlichen muß eine andere, zu¬
gleich religiösere und nationalare, werden. Unsere jungen Theologen empfangen
ihre erste und letzte Bildung in engen schweizerischen Anstalten, in denen die
Lehre von der Kirche die von Gott ersetzt; dazwischen werden dann die meisten
auf einige Zeit wohlverpackt an die gesinnungsgenössigen Hochschulen des
Auslandes, neuestens am liebsten Oesterreichs, Italiens und Frankreichs, ver¬
sandt. Es ist daher unsere nächste Sorge, sei's an der Hochschule von Bern,
sei's an der künftigen eidgenössischen unsern Katholiken eine Theologische Fakul¬
tät zu gründen. Bereits sind einleitende Schritte gethan.

Allein diese Maßregeln sind bloße Vorpostengefechte und besitzen für sich
allein durchaus keine nachhaltige Kraft, so lange nicht die Hauptheeresmacht
gegen die Hierarchie ins Feuer geht: das sind die Gemeinden. Diesen und
keinen andern Sinn besitzt für uns Schweizer die altkatholische Bewegung.


So hätten wir denn von unsern kirchlichen Würdenträgern den Einen über
die Grenze geschafft, dem Andern auf nächsten Ostermontag seine bischöfliche
Wohnung aufgesagt. Nun darf man aber im Ausland ja nicht denken, daß
wir uns etwa auf diese raschen Maßregeln viel zu gute thun. Wir sind uns
vielmehr ganz genau bewußt, daß wir am Anfang einer ganzen Reihe von
rechtlichen Schwierigkeiten und kirchlichen Verwicklungen stehen. Was wir bis¬
her gethan, war bloße Nothwehr. Wir benutzen aber „die bischoflose, die
fröhliche Zeit" als Mittel zu einem höhern Zweck, zur Umgestaltung des bis¬
herigen Verhältnisses zwischen Bischof und Diöcesangeistlichkeit. Dasselbe war
fast unmerklich in immer größere Abhängigkeit des ersteren ausgeartet. Schon
auf die Bildung des Klerus haben die Bischöfe einen viel größern Einfluß,
als vor fünfzig Jahren; auch von Censuren und Beförderungen wird ein aus¬
giebigerer Gebrauch gemacht; dazu ist in den letzten vierzig Jahren so mancher
Streit zwischen einem Kanton und dem Bischof auf dem Rücken derjenigen
Priester ausgetragen worden, welche während desselben treu zur Negierung ge¬
halten hatten. Da begreift er sich denn leicht, warum zumal die jüngere
Geistlichkeit im Bischof ihren einzigen Rückhalt suchte und fand. Dieß muß
nun anders werden; sonst bringen wir diese Klerisei nimmermehr zum Ge¬
horsam unter das Staatsgesetz. Deßhalb waren es sehr wohlgezielte Schläge,
daß Solothurn die periodische Wiederwahl der Geistlichen bei sich einführte, und
Genf die Wahl derselben ganz in die Hand der Gemeinden zu legen beschloß.
Thurgau besitzt letztere Einrichtung ebenfalls, Aargau und Baselland beide und
diesen zwei wird auch Bern nächstens folgen. Nicht umsonst setzt die katho¬
lische Geistlichkeit gegen diese Maßregeln Himmel und Hölle in Bewegung, wie
in Solothurn und Genf; die Herrn wissen eben, daß sie dann nicht mehr die
unumschränkten Herrn ihrer Gemeinden sein werden, sondern mit den An¬
forderungen und Interessen der Bevölkerungen viel vorsichtiger rechnen müssen.

Doch auch die Bildung der katholischen Geistlichen muß eine andere, zu¬
gleich religiösere und nationalare, werden. Unsere jungen Theologen empfangen
ihre erste und letzte Bildung in engen schweizerischen Anstalten, in denen die
Lehre von der Kirche die von Gott ersetzt; dazwischen werden dann die meisten
auf einige Zeit wohlverpackt an die gesinnungsgenössigen Hochschulen des
Auslandes, neuestens am liebsten Oesterreichs, Italiens und Frankreichs, ver¬
sandt. Es ist daher unsere nächste Sorge, sei's an der Hochschule von Bern,
sei's an der künftigen eidgenössischen unsern Katholiken eine Theologische Fakul¬
tät zu gründen. Bereits sind einleitende Schritte gethan.

Allein diese Maßregeln sind bloße Vorpostengefechte und besitzen für sich
allein durchaus keine nachhaltige Kraft, so lange nicht die Hauptheeresmacht
gegen die Hierarchie ins Feuer geht: das sind die Gemeinden. Diesen und
keinen andern Sinn besitzt für uns Schweizer die altkatholische Bewegung.


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[0364] So hätten wir denn von unsern kirchlichen Würdenträgern den Einen über die Grenze geschafft, dem Andern auf nächsten Ostermontag seine bischöfliche Wohnung aufgesagt. Nun darf man aber im Ausland ja nicht denken, daß wir uns etwa auf diese raschen Maßregeln viel zu gute thun. Wir sind uns vielmehr ganz genau bewußt, daß wir am Anfang einer ganzen Reihe von rechtlichen Schwierigkeiten und kirchlichen Verwicklungen stehen. Was wir bis¬ her gethan, war bloße Nothwehr. Wir benutzen aber „die bischoflose, die fröhliche Zeit" als Mittel zu einem höhern Zweck, zur Umgestaltung des bis¬ herigen Verhältnisses zwischen Bischof und Diöcesangeistlichkeit. Dasselbe war fast unmerklich in immer größere Abhängigkeit des ersteren ausgeartet. Schon auf die Bildung des Klerus haben die Bischöfe einen viel größern Einfluß, als vor fünfzig Jahren; auch von Censuren und Beförderungen wird ein aus¬ giebigerer Gebrauch gemacht; dazu ist in den letzten vierzig Jahren so mancher Streit zwischen einem Kanton und dem Bischof auf dem Rücken derjenigen Priester ausgetragen worden, welche während desselben treu zur Negierung ge¬ halten hatten. Da begreift er sich denn leicht, warum zumal die jüngere Geistlichkeit im Bischof ihren einzigen Rückhalt suchte und fand. Dieß muß nun anders werden; sonst bringen wir diese Klerisei nimmermehr zum Ge¬ horsam unter das Staatsgesetz. Deßhalb waren es sehr wohlgezielte Schläge, daß Solothurn die periodische Wiederwahl der Geistlichen bei sich einführte, und Genf die Wahl derselben ganz in die Hand der Gemeinden zu legen beschloß. Thurgau besitzt letztere Einrichtung ebenfalls, Aargau und Baselland beide und diesen zwei wird auch Bern nächstens folgen. Nicht umsonst setzt die katho¬ lische Geistlichkeit gegen diese Maßregeln Himmel und Hölle in Bewegung, wie in Solothurn und Genf; die Herrn wissen eben, daß sie dann nicht mehr die unumschränkten Herrn ihrer Gemeinden sein werden, sondern mit den An¬ forderungen und Interessen der Bevölkerungen viel vorsichtiger rechnen müssen. Doch auch die Bildung der katholischen Geistlichen muß eine andere, zu¬ gleich religiösere und nationalare, werden. Unsere jungen Theologen empfangen ihre erste und letzte Bildung in engen schweizerischen Anstalten, in denen die Lehre von der Kirche die von Gott ersetzt; dazwischen werden dann die meisten auf einige Zeit wohlverpackt an die gesinnungsgenössigen Hochschulen des Auslandes, neuestens am liebsten Oesterreichs, Italiens und Frankreichs, ver¬ sandt. Es ist daher unsere nächste Sorge, sei's an der Hochschule von Bern, sei's an der künftigen eidgenössischen unsern Katholiken eine Theologische Fakul¬ tät zu gründen. Bereits sind einleitende Schritte gethan. Allein diese Maßregeln sind bloße Vorpostengefechte und besitzen für sich allein durchaus keine nachhaltige Kraft, so lange nicht die Hauptheeresmacht gegen die Hierarchie ins Feuer geht: das sind die Gemeinden. Diesen und keinen andern Sinn besitzt für uns Schweizer die altkatholische Bewegung.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/364>, abgerufen am 22.07.2024.