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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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4 Mitgliedern bestehenden Behörde, dem Finanz collegium mit einem
Ministers pudlio (dem Finanz-Procureur) untergeordnet zu werden.

Ein Edict vom 29, Mai 1811 hatte das Consistorium, welches mit
der Landesregierung vereinigt gewesen war, aufgehoben und ein neues, aus
einem Tribunalsrichter (Baensch) als Vorsitzenden, einem Superintendenten
und einem Diaconus bestehendes Consistorium eingesetzt, dessen Wirkungs¬
kreis sich lediglich auf die Aufsicht, Disciplin und Sitteneensur über die Geist¬
lichen und Kirchendiener, die Erammation der Kandidaten beschränkte und
gesondert hiervon eine Schuld irection, bestehend aus dem Präfecten als
Vorsitzenden, dem Tribunalrichter, dem Diaconus sowie dem Rector der refor-
mirten Schule in Cöthen.

Darauf ward eine sehr umfangreiche Notariatsordnung publicirt.
Hiernach wurde die gesammte freiwillige Gerichtsbarkeit aus der Hand der
Gerichte in die der Notare gelegt, die auf Lebenszeit ernannt wurden; jeder
Notar mußte eine Caution von 600 Thlr. bestellen, und die Disciplin über
die Notare übte der mit dem Titel eines Generalnotars und Decans
versehene Notar des Landdistricts Cöthen resp, die Gesammtheit der Notare.

Ueberhaupt betreffen die meisten Gesetze jener Zeit die Justizverfassung
des Landes, welche theils den constituirenden Edicten gemäß noch fertig ein¬
gerichtet, theils je nach der Erfahrung von einigen Monaten wieder umgestaltet
werden mußte. Die Justiz war ja auch das einzige Feld, auf welchem Herr
von Dabelow einigermaßen heimisch war, und seinen Experimenten also ganz
besonders preisgegeben.

Wir übergehen die französisch-cöthensche Organisation des Jnstanzenzugs
und der Behördenfolge, verweilen dagegen bei einer erwähnenswerthen Eigen¬
thümlichkeit, die noch für die Geschworenengerichte eingeführt wurde. Der
Staatsminister selbst sollte als grana jugs das Präsidium des Assisenhofs
führen, jedoch mit der Bestimmung, daß er bei Abfassung des Erkenntnisses
nicht mitwirken, vielmehr nach erfolgtem Ausspruch der Geschworenen aus dem
Plenum der übrigen Richter einen Präsidenten ernennen sollte. 14 Tage nach
dem Erscheinen dieser Verordnung mochte jedoch der Mauä juZs und Staats¬
minister wohl eingesehen haben, entweder, daß diese Bestimmung mit der
erstrebten "Unabhängigkeit der Justiz in den Augen der Welt" nicht zu ver¬
einigen sei, oder daß sie ihm viele Mühe verursache, genug, es wurde eine
Abänderung dahin getroffen, daß der gr-me! juM, wenn er die Audienz soweit
geleitet, daß die Instruction der Sache ihren Anfang zu nehmen habe, einen
Präsidenten zum Behuf der Instruction der Sache ernennen, nach beendeter
Instruction aber selbst das Resume vortragen und schließlich nach Ertheilung
des Geschworenenverdicts den besondern Präsidenten für die Urtheilsfindung
ernennen solle. Als Regel wurde hierbei hingestellt, daß zum Präsidenten


Grenzboten l> 1873. 44

4 Mitgliedern bestehenden Behörde, dem Finanz collegium mit einem
Ministers pudlio (dem Finanz-Procureur) untergeordnet zu werden.

Ein Edict vom 29, Mai 1811 hatte das Consistorium, welches mit
der Landesregierung vereinigt gewesen war, aufgehoben und ein neues, aus
einem Tribunalsrichter (Baensch) als Vorsitzenden, einem Superintendenten
und einem Diaconus bestehendes Consistorium eingesetzt, dessen Wirkungs¬
kreis sich lediglich auf die Aufsicht, Disciplin und Sitteneensur über die Geist¬
lichen und Kirchendiener, die Erammation der Kandidaten beschränkte und
gesondert hiervon eine Schuld irection, bestehend aus dem Präfecten als
Vorsitzenden, dem Tribunalrichter, dem Diaconus sowie dem Rector der refor-
mirten Schule in Cöthen.

Darauf ward eine sehr umfangreiche Notariatsordnung publicirt.
Hiernach wurde die gesammte freiwillige Gerichtsbarkeit aus der Hand der
Gerichte in die der Notare gelegt, die auf Lebenszeit ernannt wurden; jeder
Notar mußte eine Caution von 600 Thlr. bestellen, und die Disciplin über
die Notare übte der mit dem Titel eines Generalnotars und Decans
versehene Notar des Landdistricts Cöthen resp, die Gesammtheit der Notare.

Ueberhaupt betreffen die meisten Gesetze jener Zeit die Justizverfassung
des Landes, welche theils den constituirenden Edicten gemäß noch fertig ein¬
gerichtet, theils je nach der Erfahrung von einigen Monaten wieder umgestaltet
werden mußte. Die Justiz war ja auch das einzige Feld, auf welchem Herr
von Dabelow einigermaßen heimisch war, und seinen Experimenten also ganz
besonders preisgegeben.

Wir übergehen die französisch-cöthensche Organisation des Jnstanzenzugs
und der Behördenfolge, verweilen dagegen bei einer erwähnenswerthen Eigen¬
thümlichkeit, die noch für die Geschworenengerichte eingeführt wurde. Der
Staatsminister selbst sollte als grana jugs das Präsidium des Assisenhofs
führen, jedoch mit der Bestimmung, daß er bei Abfassung des Erkenntnisses
nicht mitwirken, vielmehr nach erfolgtem Ausspruch der Geschworenen aus dem
Plenum der übrigen Richter einen Präsidenten ernennen sollte. 14 Tage nach
dem Erscheinen dieser Verordnung mochte jedoch der Mauä juZs und Staats¬
minister wohl eingesehen haben, entweder, daß diese Bestimmung mit der
erstrebten „Unabhängigkeit der Justiz in den Augen der Welt" nicht zu ver¬
einigen sei, oder daß sie ihm viele Mühe verursache, genug, es wurde eine
Abänderung dahin getroffen, daß der gr-me! juM, wenn er die Audienz soweit
geleitet, daß die Instruction der Sache ihren Anfang zu nehmen habe, einen
Präsidenten zum Behuf der Instruction der Sache ernennen, nach beendeter
Instruction aber selbst das Resume vortragen und schließlich nach Ertheilung
des Geschworenenverdicts den besondern Präsidenten für die Urtheilsfindung
ernennen solle. Als Regel wurde hierbei hingestellt, daß zum Präsidenten


Grenzboten l> 1873. 44
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/353>, abgerufen am 02.10.2024.