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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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licher geworden, die Regierung aber, welche die bezüglichen Postulate vertrat, war
um so mehr genöthigt, den geistlichen Standpunkt anzugreifen. Jeden¬
falls aber konnte der Staat bei dieser Gelegenheit aufs neue gewahren, was
er zu erwarten hätte, wenn er den Ultramontanen die Macht überließe und
daran kann der baierische Staat nicht oft genug erinnert werden. Den Be¬
schlüssen, die der Landrath gefaßt hat, werden Wünsche und Anträge angereiht,
welche lediglich auf dessen eigener Initiative, nicht auf den Positionen der Ne¬
gierung beruhen, und auch diese sind von demselben freisinnigen und nationalen
Geiste erfüllt.

Wenn es sich in der Sphäre, von welcher wir soeben gesprochen, wesent¬
lich um den niederen Unterricht gehandelt hat, so sind indessen auch in den
akademischen Kreisen Münchens brennende Fragen hervorgewachsen. Die eine
derselben die durch ihre endlose Verschleppung beinahe zur Seeschlange ge¬
worden ist, ist die Besetzung des Lehrstuhls, den Dr. von Haneberg, der jetzige
Bischof von Speyer, in der theologischen Fakultät zu München inne hatte.
Bekanntlich war zu dessen Nachfolger durch Senatsbeschluß Prof. Himpel in
Tübingen berufen, der es aber vorzog abzulehnen, statt sich mit dem Ordina¬
riat München in Conflikt zu setzen; seitdem kam die theologische Fakultät auf
ihren früheren Wunsch zurück, daß der Lycealprofessor Grimm in Regensburg
die fragliche Stelle erhalten solle. Allein, ob der Senat, in welchem die vier
übrigen Fakultäten mitzusprechen haben, sich diesem Votum anschließt und ob
die Staatsregierung Lust trägt, die erste Hochschule des Landes abermals zum
Zielpunkt klerikaler Parteigelüste zu machen, bleibt eine andere Frage. Schlimm
genug ist es jedenfalls, daß man mit der Antwort so lange säumt, und da¬
durch den Schein erregt, als sei eine wissenschaftliche Fakultät des Staates ein
Asyl klerikaler Interessen.

Eine zweite brennende Frage, die sich aber wohl rascher entscheiden dürfte
und höchst wahrscheinlich bereits gelöst ist, wenn diese Zeilen an Ihre Leser
gelangen, ist die Berufung Pettenkofer's nach Wien. Dieselbe berührt zwar
Primär die Universität, zu deren berühmtesten Lehrern der Genannte zählt,
aber weiterhin auch die Staatsverwaltung, da Pettenkofer ein Mitglied und
Wohl die Seele des obersten Medicinalcollegiums in Baiern ist, und da seine
Wirksamkeit für die praktische Gesundheitspflege fast noch tiefer greift als seine
akademische Thätigkeit. Unter diesem Gesichtspunkt hat es sich auch die Ge¬
meindevertretung zur Pflicht gemacht, sein Verbleiben mit allen nur möglichen
Mitteln zu erwirken, indem ihm der Magistrat sofort das Ehrenbürgerrecht
verlieh und durch eine Deputation beim Minister des Innern, wie beim Cul¬
tusministerium die erforderlichen Schritte zu seiner Erhaltung that. Sieht
man den Fall von dieser administrativen Seite an, so findet man zugleich die
Erklärung, warum Herr von Pettenkofer so geneigt ist, dem Rufe nach Wien


Grenzboten 1873. I. ^

licher geworden, die Regierung aber, welche die bezüglichen Postulate vertrat, war
um so mehr genöthigt, den geistlichen Standpunkt anzugreifen. Jeden¬
falls aber konnte der Staat bei dieser Gelegenheit aufs neue gewahren, was
er zu erwarten hätte, wenn er den Ultramontanen die Macht überließe und
daran kann der baierische Staat nicht oft genug erinnert werden. Den Be¬
schlüssen, die der Landrath gefaßt hat, werden Wünsche und Anträge angereiht,
welche lediglich auf dessen eigener Initiative, nicht auf den Positionen der Ne¬
gierung beruhen, und auch diese sind von demselben freisinnigen und nationalen
Geiste erfüllt.

Wenn es sich in der Sphäre, von welcher wir soeben gesprochen, wesent¬
lich um den niederen Unterricht gehandelt hat, so sind indessen auch in den
akademischen Kreisen Münchens brennende Fragen hervorgewachsen. Die eine
derselben die durch ihre endlose Verschleppung beinahe zur Seeschlange ge¬
worden ist, ist die Besetzung des Lehrstuhls, den Dr. von Haneberg, der jetzige
Bischof von Speyer, in der theologischen Fakultät zu München inne hatte.
Bekanntlich war zu dessen Nachfolger durch Senatsbeschluß Prof. Himpel in
Tübingen berufen, der es aber vorzog abzulehnen, statt sich mit dem Ordina¬
riat München in Conflikt zu setzen; seitdem kam die theologische Fakultät auf
ihren früheren Wunsch zurück, daß der Lycealprofessor Grimm in Regensburg
die fragliche Stelle erhalten solle. Allein, ob der Senat, in welchem die vier
übrigen Fakultäten mitzusprechen haben, sich diesem Votum anschließt und ob
die Staatsregierung Lust trägt, die erste Hochschule des Landes abermals zum
Zielpunkt klerikaler Parteigelüste zu machen, bleibt eine andere Frage. Schlimm
genug ist es jedenfalls, daß man mit der Antwort so lange säumt, und da¬
durch den Schein erregt, als sei eine wissenschaftliche Fakultät des Staates ein
Asyl klerikaler Interessen.

Eine zweite brennende Frage, die sich aber wohl rascher entscheiden dürfte
und höchst wahrscheinlich bereits gelöst ist, wenn diese Zeilen an Ihre Leser
gelangen, ist die Berufung Pettenkofer's nach Wien. Dieselbe berührt zwar
Primär die Universität, zu deren berühmtesten Lehrern der Genannte zählt,
aber weiterhin auch die Staatsverwaltung, da Pettenkofer ein Mitglied und
Wohl die Seele des obersten Medicinalcollegiums in Baiern ist, und da seine
Wirksamkeit für die praktische Gesundheitspflege fast noch tiefer greift als seine
akademische Thätigkeit. Unter diesem Gesichtspunkt hat es sich auch die Ge¬
meindevertretung zur Pflicht gemacht, sein Verbleiben mit allen nur möglichen
Mitteln zu erwirken, indem ihm der Magistrat sofort das Ehrenbürgerrecht
verlieh und durch eine Deputation beim Minister des Innern, wie beim Cul¬
tusministerium die erforderlichen Schritte zu seiner Erhaltung that. Sieht
man den Fall von dieser administrativen Seite an, so findet man zugleich die
Erklärung, warum Herr von Pettenkofer so geneigt ist, dem Rufe nach Wien


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/33>, abgerufen am 26.06.2024.