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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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Also wie gesagt, alle die Ressorts die ich im ersten Artikel habe Revue
Passtren lassen, befinden sich fortwährend in einem Zustand der Ungewißheit,
wenn nicht Betreffs ihres Seins oder Nichtseins, so doch rücksichtlich des Um¬
fangs und der realen Geltung ihrer Machtbefugnis ihrer Rechte und Pflichten.
Und daher mag es wohl kommen, daß auch deren Vorstände in ihrem Auf¬
treten öfters bald eine gewisse Gereiztheit, bald eine gewisse Unsicherheit ver¬
rathen und nur die klügeren darunter sich allmählig in das Unvermeidliche
schicken und nach dem weisen Spruche handeln taire boime mirs ü. irmu-
VÄI8 jöN.

Ungleich besser daran sind in dieser Hinsicht die Vorstände der im Ein¬
gange dieses Artikels genannten beiden Ressorts, die des Innern und des
Kultus und öffentlichen Unterrichts. Eine Centralisation der Gesetzgebung
oder Verwaltung auf dem Gebiete des Gemeindewesens oder der Polizei ist
nicht so leicht zu erwarten, noch weniger zu wünschen. Die Stellung des
Staats zu den verschiedenen Kirchen- und Religionsgesellschaften (als worauf
sich dermalen je mehr und mehr die Competenz des Kultusministeriums be¬
schränkt) könnte zwar möglicherweise, nach gewissen, allgemeinen Grundzügen
wenigstens vom Reiche aus normirt werden und beim ehevorigen und vorigen
Reichstag beim sog. Kanzelparagraphen und beim Jesuitengesetz, schien es, als
ob die Reichsgewalten wirklich diese Angelegenheit an sich ziehen wollten.
Zur Zeit hat man diesen Weg wieder verlassen -- sonst wäre Preußen schwer¬
lich auf eigne Hand mit so tiefeinschneidender Kirchengesetzen vorgegangen --
ob man aber nicht früher oder später darauf wird zurückkommen, vielleicht
zurückkommen müssen, ist eine andere Frage. Auch beim Unterrichtswesen hat
bereits die Reichscompetenz -- sonderbarerweise von einem diesem friedlichen
Kulturgebiete scheinbar sehr fernliegenden, dem militärischen, aus -- manche
ziemlich eingreifende Diversionen in die Selbständigkeit der Einzelstaaten ge¬
macht. Indeß wird doch hier das Meiste, und mit gutem Bedacht der freien
und mannigfaltigen Entwickelung in den Theilen überlassen bleiben, zumal
auf dem wichtigen Gebiete des Volkschulwesens.

Gerade aus diesem Gebiete des Volksschulwesens nun hat der sächsische
Kultus- und Unterrichtsminister, und gerade auf dem Gebiete des Gemeinde¬
lebens -- dies Wort in jenem weiten Sinne verstanden, wo es alle Kreise
der sog. Selbstregierung des Volks auch über die Localgemeinde hinaus, um¬
faßt -- hat der sächsische Minister des Innern bei dem neuesten, jetzt zu Ende
gehenden Landtage eine ausgiebige Thätigkeit entfaltet, freilich beide mit sehr
verschiedenem Erfolge. Der Minister des Innern legte den Kammern eine
ganze Reihe von Gesetzen vor, die in ihrer Gesammtheit eine Neugestaltung
des Staats- und Gemeindelebens, der Centralverwaltung und der Selbstver¬
waltung des Volks nach allen Richtungen hin und durch alle concentrischen


Also wie gesagt, alle die Ressorts die ich im ersten Artikel habe Revue
Passtren lassen, befinden sich fortwährend in einem Zustand der Ungewißheit,
wenn nicht Betreffs ihres Seins oder Nichtseins, so doch rücksichtlich des Um¬
fangs und der realen Geltung ihrer Machtbefugnis ihrer Rechte und Pflichten.
Und daher mag es wohl kommen, daß auch deren Vorstände in ihrem Auf¬
treten öfters bald eine gewisse Gereiztheit, bald eine gewisse Unsicherheit ver¬
rathen und nur die klügeren darunter sich allmählig in das Unvermeidliche
schicken und nach dem weisen Spruche handeln taire boime mirs ü. irmu-
VÄI8 jöN.

Ungleich besser daran sind in dieser Hinsicht die Vorstände der im Ein¬
gange dieses Artikels genannten beiden Ressorts, die des Innern und des
Kultus und öffentlichen Unterrichts. Eine Centralisation der Gesetzgebung
oder Verwaltung auf dem Gebiete des Gemeindewesens oder der Polizei ist
nicht so leicht zu erwarten, noch weniger zu wünschen. Die Stellung des
Staats zu den verschiedenen Kirchen- und Religionsgesellschaften (als worauf
sich dermalen je mehr und mehr die Competenz des Kultusministeriums be¬
schränkt) könnte zwar möglicherweise, nach gewissen, allgemeinen Grundzügen
wenigstens vom Reiche aus normirt werden und beim ehevorigen und vorigen
Reichstag beim sog. Kanzelparagraphen und beim Jesuitengesetz, schien es, als
ob die Reichsgewalten wirklich diese Angelegenheit an sich ziehen wollten.
Zur Zeit hat man diesen Weg wieder verlassen — sonst wäre Preußen schwer¬
lich auf eigne Hand mit so tiefeinschneidender Kirchengesetzen vorgegangen —
ob man aber nicht früher oder später darauf wird zurückkommen, vielleicht
zurückkommen müssen, ist eine andere Frage. Auch beim Unterrichtswesen hat
bereits die Reichscompetenz — sonderbarerweise von einem diesem friedlichen
Kulturgebiete scheinbar sehr fernliegenden, dem militärischen, aus — manche
ziemlich eingreifende Diversionen in die Selbständigkeit der Einzelstaaten ge¬
macht. Indeß wird doch hier das Meiste, und mit gutem Bedacht der freien
und mannigfaltigen Entwickelung in den Theilen überlassen bleiben, zumal
auf dem wichtigen Gebiete des Volkschulwesens.

Gerade aus diesem Gebiete des Volksschulwesens nun hat der sächsische
Kultus- und Unterrichtsminister, und gerade auf dem Gebiete des Gemeinde¬
lebens — dies Wort in jenem weiten Sinne verstanden, wo es alle Kreise
der sog. Selbstregierung des Volks auch über die Localgemeinde hinaus, um¬
faßt — hat der sächsische Minister des Innern bei dem neuesten, jetzt zu Ende
gehenden Landtage eine ausgiebige Thätigkeit entfaltet, freilich beide mit sehr
verschiedenem Erfolge. Der Minister des Innern legte den Kammern eine
ganze Reihe von Gesetzen vor, die in ihrer Gesammtheit eine Neugestaltung
des Staats- und Gemeindelebens, der Centralverwaltung und der Selbstver¬
waltung des Volks nach allen Richtungen hin und durch alle concentrischen


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[0319] Also wie gesagt, alle die Ressorts die ich im ersten Artikel habe Revue Passtren lassen, befinden sich fortwährend in einem Zustand der Ungewißheit, wenn nicht Betreffs ihres Seins oder Nichtseins, so doch rücksichtlich des Um¬ fangs und der realen Geltung ihrer Machtbefugnis ihrer Rechte und Pflichten. Und daher mag es wohl kommen, daß auch deren Vorstände in ihrem Auf¬ treten öfters bald eine gewisse Gereiztheit, bald eine gewisse Unsicherheit ver¬ rathen und nur die klügeren darunter sich allmählig in das Unvermeidliche schicken und nach dem weisen Spruche handeln taire boime mirs ü. irmu- VÄI8 jöN. Ungleich besser daran sind in dieser Hinsicht die Vorstände der im Ein¬ gange dieses Artikels genannten beiden Ressorts, die des Innern und des Kultus und öffentlichen Unterrichts. Eine Centralisation der Gesetzgebung oder Verwaltung auf dem Gebiete des Gemeindewesens oder der Polizei ist nicht so leicht zu erwarten, noch weniger zu wünschen. Die Stellung des Staats zu den verschiedenen Kirchen- und Religionsgesellschaften (als worauf sich dermalen je mehr und mehr die Competenz des Kultusministeriums be¬ schränkt) könnte zwar möglicherweise, nach gewissen, allgemeinen Grundzügen wenigstens vom Reiche aus normirt werden und beim ehevorigen und vorigen Reichstag beim sog. Kanzelparagraphen und beim Jesuitengesetz, schien es, als ob die Reichsgewalten wirklich diese Angelegenheit an sich ziehen wollten. Zur Zeit hat man diesen Weg wieder verlassen — sonst wäre Preußen schwer¬ lich auf eigne Hand mit so tiefeinschneidender Kirchengesetzen vorgegangen — ob man aber nicht früher oder später darauf wird zurückkommen, vielleicht zurückkommen müssen, ist eine andere Frage. Auch beim Unterrichtswesen hat bereits die Reichscompetenz — sonderbarerweise von einem diesem friedlichen Kulturgebiete scheinbar sehr fernliegenden, dem militärischen, aus — manche ziemlich eingreifende Diversionen in die Selbständigkeit der Einzelstaaten ge¬ macht. Indeß wird doch hier das Meiste, und mit gutem Bedacht der freien und mannigfaltigen Entwickelung in den Theilen überlassen bleiben, zumal auf dem wichtigen Gebiete des Volkschulwesens. Gerade aus diesem Gebiete des Volksschulwesens nun hat der sächsische Kultus- und Unterrichtsminister, und gerade auf dem Gebiete des Gemeinde¬ lebens — dies Wort in jenem weiten Sinne verstanden, wo es alle Kreise der sog. Selbstregierung des Volks auch über die Localgemeinde hinaus, um¬ faßt — hat der sächsische Minister des Innern bei dem neuesten, jetzt zu Ende gehenden Landtage eine ausgiebige Thätigkeit entfaltet, freilich beide mit sehr verschiedenem Erfolge. Der Minister des Innern legte den Kammern eine ganze Reihe von Gesetzen vor, die in ihrer Gesammtheit eine Neugestaltung des Staats- und Gemeindelebens, der Centralverwaltung und der Selbstver¬ waltung des Volks nach allen Richtungen hin und durch alle concentrischen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/319>, abgerufen am 24.08.2024.