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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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lung, deren Zweck eine möglichst innige Verbindung des Weines init der
"äoge" ist, nicht durch die Hände zweier Arbeiter, so liegt dieß einem beson¬
dern Manne ob, welcher die Flasche sofort nach vollendetem Verschluß einer
Aufeinanderfolge heftiger Durchrüttelungen unterwirft.

Die Flaschen mit Wein, welche, nachdem sie dieses bewegte Leben durch¬
gemacht haben, endlich den Zustand der Reife erreichen, werden nun nach
einem andern Theile des Etablissements geschafft und hier weiblichen Händen
anvertraut, um sich von denselben ihre Toilette arrangiren zu lassen. Hier
werden sie geschmackvoll mit Etiketten versehen und in einen Kopfschmuck und
Kragen gesteckt, indem man entweder ihre Korke und Hälse mit Siegellack
überzieht oder diese Körpertheile mit Staniol bekleidet, so daß sie auch an den
vornehmsten Tafeln vorstellbar werden.

Die Keller der großen Champagnerfabrikanten von Reims sind über die
historische alte Stadt in ihren schmalsten und unscheinbarsten Straßen zer¬
streut, wogegen man die von Epernay in dessen elegantesten Viertel, dem
breiten und anspruchsvollen Faubourg de la Folie gruppirt findet. Zu Reims
haben die Keller des Hauses Veuve Clicquot-Ponsardin die größte Anziehungs¬
kraft, während in Epernay der Fremde gewöhnlich die fast zwei deutsche
Meilen langen Gewölbe der Firma Most und Chandon vor Allem zu sehen
wünscht.

Der Eingang in die Keller des Hauses Clicquot, wo der Besucher wäh¬
rend einer Promenade von einer Viertelmeile drei Millionen Flaschen Sect in
verschiedenen Stadien der Entwickelung betrachten kann, liegt in einer stillen
Gasse beinahe im Herzen der Stadt und kaum einen Steinwurf von der Ka¬
thedrale. Wenige Fremde, welche die Stelle passiren, werden sich denken, daß
unter ihren Füßen Hunderte rühriger Hände unaufhörlich mit der Reinigung,
Mischung, Durchschüttelung, Verkorkung, mit der Siegelung, Etikettirung und
Verpackung Hunderttausender von Champagnerflaschen beschäftigt sind, die von
da nach allen Weltgegenden gehen.

Indem wir durch einen weiten Thorweg treten, sehen wir uns in einem
sauber gehaltenen Hofe, den einige Bäume schmücken. Links sind Ställe und
Wagenschuppen, rechts ist der Eingang in die Keller. Uns gegenüber liegt
ein bescheidenes Schlößchen, wo die Firma ihre Comptoirs hat, und dessen
kleiner Thurm einen neben einer Rebe stehenden Bacchus zeigt, der ein Glas
und eine Flasche emporhält. Wir gehen durch eine Flügelthür, steigen eine
Steintreppe hinab und befinden uns nun in einem wahren Labyrinth von
düstern unterirdischen Gängen, die in die große Kreideschicht gehauen sind,
auf welcher die Stadt liegt. Bei dem trüben Schimmer eines Dutzends von
Talgkerzen sehen wir Reihen von Arbeitern mit dem Schütteln, Stöpseln und
Mischen der Flaschen beschäftigt, die soeben die Hand des Degorgeurs ver-


Grenzbotm 187S. I. Zg

lung, deren Zweck eine möglichst innige Verbindung des Weines init der
„äoge" ist, nicht durch die Hände zweier Arbeiter, so liegt dieß einem beson¬
dern Manne ob, welcher die Flasche sofort nach vollendetem Verschluß einer
Aufeinanderfolge heftiger Durchrüttelungen unterwirft.

Die Flaschen mit Wein, welche, nachdem sie dieses bewegte Leben durch¬
gemacht haben, endlich den Zustand der Reife erreichen, werden nun nach
einem andern Theile des Etablissements geschafft und hier weiblichen Händen
anvertraut, um sich von denselben ihre Toilette arrangiren zu lassen. Hier
werden sie geschmackvoll mit Etiketten versehen und in einen Kopfschmuck und
Kragen gesteckt, indem man entweder ihre Korke und Hälse mit Siegellack
überzieht oder diese Körpertheile mit Staniol bekleidet, so daß sie auch an den
vornehmsten Tafeln vorstellbar werden.

Die Keller der großen Champagnerfabrikanten von Reims sind über die
historische alte Stadt in ihren schmalsten und unscheinbarsten Straßen zer¬
streut, wogegen man die von Epernay in dessen elegantesten Viertel, dem
breiten und anspruchsvollen Faubourg de la Folie gruppirt findet. Zu Reims
haben die Keller des Hauses Veuve Clicquot-Ponsardin die größte Anziehungs¬
kraft, während in Epernay der Fremde gewöhnlich die fast zwei deutsche
Meilen langen Gewölbe der Firma Most und Chandon vor Allem zu sehen
wünscht.

Der Eingang in die Keller des Hauses Clicquot, wo der Besucher wäh¬
rend einer Promenade von einer Viertelmeile drei Millionen Flaschen Sect in
verschiedenen Stadien der Entwickelung betrachten kann, liegt in einer stillen
Gasse beinahe im Herzen der Stadt und kaum einen Steinwurf von der Ka¬
thedrale. Wenige Fremde, welche die Stelle passiren, werden sich denken, daß
unter ihren Füßen Hunderte rühriger Hände unaufhörlich mit der Reinigung,
Mischung, Durchschüttelung, Verkorkung, mit der Siegelung, Etikettirung und
Verpackung Hunderttausender von Champagnerflaschen beschäftigt sind, die von
da nach allen Weltgegenden gehen.

Indem wir durch einen weiten Thorweg treten, sehen wir uns in einem
sauber gehaltenen Hofe, den einige Bäume schmücken. Links sind Ställe und
Wagenschuppen, rechts ist der Eingang in die Keller. Uns gegenüber liegt
ein bescheidenes Schlößchen, wo die Firma ihre Comptoirs hat, und dessen
kleiner Thurm einen neben einer Rebe stehenden Bacchus zeigt, der ein Glas
und eine Flasche emporhält. Wir gehen durch eine Flügelthür, steigen eine
Steintreppe hinab und befinden uns nun in einem wahren Labyrinth von
düstern unterirdischen Gängen, die in die große Kreideschicht gehauen sind,
auf welcher die Stadt liegt. Bei dem trüben Schimmer eines Dutzends von
Talgkerzen sehen wir Reihen von Arbeitern mit dem Schütteln, Stöpseln und
Mischen der Flaschen beschäftigt, die soeben die Hand des Degorgeurs ver-


Grenzbotm 187S. I. Zg
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/305>, abgerufen am 24.08.2024.