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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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stützen und ihm den Trost gemüthlichen Verständnisses zu geben; sie trug in
den Stunden des schwersten künstlerischen Ringens ihm muthig die Leuchte des
Ideals voran und löste so in anspruchslosester Weise die höchste Aufgabe des
liebenden Weibes.

Türschmann ist durch sein jeder Modulation fähiges Organ, durch völlige
Beherrschung' der Mimik und Gesticulation mit allen Mitteln der Technik
wunderbar ausgerüstet. Seine Hauptbedeutung aber liegt nicht hierin, nicht
in der außerordentlichen Leistungsfähigkeit des Gedächtnisses, sondern in der
geistigen Durchdringung und Ausgestaltung der Dichtungen,
in der genialen Interpretation des poetischen Gehaltes der
Dramen, in der Vorführung der idealen Einheit des Kunst¬
werkes.

Der Beifall, den Türschmann immer aufs Neue erntet, ist erfreulich,
weil er einem vom höchsten Streben erfüllten Künstler zu Theil wird; er hat
aber noch eine allgemeinere Bedeutung. Unsere Zeit ist hauptsächlich berufen
und in Anspruch genommen, practische Fragen im Völker- und Staatenleben
zu lösen und es gewinnt bisweilen den Anschein, als habe die heutige Gene¬
ration sich daran gewöhnt, den Kunstgenuß nur als mühelose Erholung von
den Anstrengungen des Werktages anzusehen. Dennoch lebt tief im Herzen
unseres Volkes ein inniger Hang zu dem Idealen und wenn wir in Türsch¬
mann einen Künstler erkennen, der diesen Hang zu nähren vor Vielen berufen
ist, so dürfen wir auch den ihm gespendeten Beifall als tief bedeutsames Zeichen
deuten, daß das Ideal nicht verstoßen sei und nur zu erscheinen brauchte, um
gewürdigt zu werden.


0. L. ?r.


Kuh Iaiern.
Zum Jahresschluß.

Die Ereignisse welche aus den letzten Wochen der bairischen Politik zu
verzeichnen sind, liefern den Beweis, daß sich die Parteiverhältnisse dieses
Landes und wohl auch die Haltung der Regierung stetig in jener Linie ent¬
wickeln, die durch die Versailler Verträge vorgezeichnet ist. Zwar schließt
die Jahresbilanz nicht mit großen Resul taten aber doch mit den günstigsten
Symptomen ab; der Vortheil, daß so manche Gefahr, welche drohte, siegreich
überwunden ward, daß so viele Besorgnisse unerfüllt geblieben sind, ist
auch nicht zu unterschätzen. Als feststehend darf man aufstellen, daß die


stützen und ihm den Trost gemüthlichen Verständnisses zu geben; sie trug in
den Stunden des schwersten künstlerischen Ringens ihm muthig die Leuchte des
Ideals voran und löste so in anspruchslosester Weise die höchste Aufgabe des
liebenden Weibes.

Türschmann ist durch sein jeder Modulation fähiges Organ, durch völlige
Beherrschung' der Mimik und Gesticulation mit allen Mitteln der Technik
wunderbar ausgerüstet. Seine Hauptbedeutung aber liegt nicht hierin, nicht
in der außerordentlichen Leistungsfähigkeit des Gedächtnisses, sondern in der
geistigen Durchdringung und Ausgestaltung der Dichtungen,
in der genialen Interpretation des poetischen Gehaltes der
Dramen, in der Vorführung der idealen Einheit des Kunst¬
werkes.

Der Beifall, den Türschmann immer aufs Neue erntet, ist erfreulich,
weil er einem vom höchsten Streben erfüllten Künstler zu Theil wird; er hat
aber noch eine allgemeinere Bedeutung. Unsere Zeit ist hauptsächlich berufen
und in Anspruch genommen, practische Fragen im Völker- und Staatenleben
zu lösen und es gewinnt bisweilen den Anschein, als habe die heutige Gene¬
ration sich daran gewöhnt, den Kunstgenuß nur als mühelose Erholung von
den Anstrengungen des Werktages anzusehen. Dennoch lebt tief im Herzen
unseres Volkes ein inniger Hang zu dem Idealen und wenn wir in Türsch¬
mann einen Künstler erkennen, der diesen Hang zu nähren vor Vielen berufen
ist, so dürfen wir auch den ihm gespendeten Beifall als tief bedeutsames Zeichen
deuten, daß das Ideal nicht verstoßen sei und nur zu erscheinen brauchte, um
gewürdigt zu werden.


0. L. ?r.


Kuh Iaiern.
Zum Jahresschluß.

Die Ereignisse welche aus den letzten Wochen der bairischen Politik zu
verzeichnen sind, liefern den Beweis, daß sich die Parteiverhältnisse dieses
Landes und wohl auch die Haltung der Regierung stetig in jener Linie ent¬
wickeln, die durch die Versailler Verträge vorgezeichnet ist. Zwar schließt
die Jahresbilanz nicht mit großen Resul taten aber doch mit den günstigsten
Symptomen ab; der Vortheil, daß so manche Gefahr, welche drohte, siegreich
überwunden ward, daß so viele Besorgnisse unerfüllt geblieben sind, ist
auch nicht zu unterschätzen. Als feststehend darf man aufstellen, daß die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/30>, abgerufen am 02.10.2024.