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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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Gottes auslegt, oder der Machtspruch einer irdischen Obrigkeit, die sich für
unfehlbar erklärt. Das Gewissen kann der Staat schonen und achten. Die
Macht, die sich zum unfehlbaren Richter auf Erden aufwirft, muß er zur An¬
erkennung seiner Gesetze zwingen, so lange sie in seinen Grenzen weilt, wenn
er nicht der Knecht dieser Macht sein will. Der Unterschied ist mit Händen
zu greifen; aber ihn mit unermüdlicher Sophistik leugnen ist das unentbehr¬
liche Kampfmittel des Ultramontanismus, weil es die Kundigen ermüdet, die
Unkundigen immer wieder verwirrt. --

In meinem vorigen Brief hatte ich der auf den Abgeordneten Laster ge¬
richteten Erwartung erwähnt, daß er seine Anklagen gegen die Handhabung
des Eisenbahncommissionswesens begründen oder zurücknehmen werde. Am 7.
Februar hat nun der Abgeordnete Laster dieser Erwartung entsprochen und
damit seinem Muthe, seiner unermüdlichen Pflichterfüllung, seiner Gerechtig¬
keitsliebe und seinem gründlichen Eifer in Erfassung der Sachen das glän¬
zendste Zeugniß ausgestellt. Der längst geachtete Name des Abgeordneten
wird von der Sitzung des 7. Februar an in dem Glänze des unvergänglichen
Verdienstes uneigennütziger Hingabe und taktvoll gewissenhafter Erfüllung
auch der schwersten Pflichten des Abgeordnetenberufes dastehen. Herr Laster
erkannte an, daß bei Heranziehung der Mißbräuche des Eisenbahnwesens nur
einzelne Persönlichkeiten des preußischen Beamtenstandes in eigennütziger und
strafbarer Weise betheiligt erschienen; daß aber der Vorwurf das Handels¬
ministerium trifft, die Unternehmungen der Eisenbahnanlagen nicht mit dem
nöthigen Scharfblick, der nöthigen Sorgfalt und Strenge überwacht zu haben.
Dadurch ist es möglich geworden, unter der Autorität der Behörden auf
Kosten des Publikums mit den Eisenbahnunternehmungen einen strafbaren
Mißbrauch zu treiben. Diesen Mißbrauch bezeichnete der Redner als das
System Stroußberg und kennzeichnete die Hauptzüge desselben wie folgt. In
irgend einem Landstrich wünschen eine Anzahl von Gemeinden und Privat¬
personen dringend eine Eisenbahn. Jetzt kommt der Speculant, verspricht
ihnen Concession und Bau; nur müssen sie ihre Ländereien billig hergeben
und gehörig Actien zeichnen, sowie den vollen Nominalwerth einzahlen. Jetzt
bringt der Speculant ein sogenanntes Baucousortium zusammen, welches
Kostenanschläge anfertigt, so hoch als nur immer möglich, dann geht der
Speculant an die Regierung, welche den Kostenanschlag vielleicht etwas
ermäßigt, aber nur unbedeutend, weil der Speculant vorstellt, daß die Bahn
sonst nicht zu Stande kommt. Nun wird ein übermäßig hohes Capital in
Actien ausgegeben. Was die Interessenten davon voll eingezahlt haben, steckt
der Speculant in die Tasche, mit den nicht eingezahlten, aber auf die Börse
zu bringenden Actien bezahlt er das Bauconsortium, welches die Bahn um
den höchsten Preis mit den geringsten Kosten so schlecht als möglich herstellt.


Gottes auslegt, oder der Machtspruch einer irdischen Obrigkeit, die sich für
unfehlbar erklärt. Das Gewissen kann der Staat schonen und achten. Die
Macht, die sich zum unfehlbaren Richter auf Erden aufwirft, muß er zur An¬
erkennung seiner Gesetze zwingen, so lange sie in seinen Grenzen weilt, wenn
er nicht der Knecht dieser Macht sein will. Der Unterschied ist mit Händen
zu greifen; aber ihn mit unermüdlicher Sophistik leugnen ist das unentbehr¬
liche Kampfmittel des Ultramontanismus, weil es die Kundigen ermüdet, die
Unkundigen immer wieder verwirrt. —

In meinem vorigen Brief hatte ich der auf den Abgeordneten Laster ge¬
richteten Erwartung erwähnt, daß er seine Anklagen gegen die Handhabung
des Eisenbahncommissionswesens begründen oder zurücknehmen werde. Am 7.
Februar hat nun der Abgeordnete Laster dieser Erwartung entsprochen und
damit seinem Muthe, seiner unermüdlichen Pflichterfüllung, seiner Gerechtig¬
keitsliebe und seinem gründlichen Eifer in Erfassung der Sachen das glän¬
zendste Zeugniß ausgestellt. Der längst geachtete Name des Abgeordneten
wird von der Sitzung des 7. Februar an in dem Glänze des unvergänglichen
Verdienstes uneigennütziger Hingabe und taktvoll gewissenhafter Erfüllung
auch der schwersten Pflichten des Abgeordnetenberufes dastehen. Herr Laster
erkannte an, daß bei Heranziehung der Mißbräuche des Eisenbahnwesens nur
einzelne Persönlichkeiten des preußischen Beamtenstandes in eigennütziger und
strafbarer Weise betheiligt erschienen; daß aber der Vorwurf das Handels¬
ministerium trifft, die Unternehmungen der Eisenbahnanlagen nicht mit dem
nöthigen Scharfblick, der nöthigen Sorgfalt und Strenge überwacht zu haben.
Dadurch ist es möglich geworden, unter der Autorität der Behörden auf
Kosten des Publikums mit den Eisenbahnunternehmungen einen strafbaren
Mißbrauch zu treiben. Diesen Mißbrauch bezeichnete der Redner als das
System Stroußberg und kennzeichnete die Hauptzüge desselben wie folgt. In
irgend einem Landstrich wünschen eine Anzahl von Gemeinden und Privat¬
personen dringend eine Eisenbahn. Jetzt kommt der Speculant, verspricht
ihnen Concession und Bau; nur müssen sie ihre Ländereien billig hergeben
und gehörig Actien zeichnen, sowie den vollen Nominalwerth einzahlen. Jetzt
bringt der Speculant ein sogenanntes Baucousortium zusammen, welches
Kostenanschläge anfertigt, so hoch als nur immer möglich, dann geht der
Speculant an die Regierung, welche den Kostenanschlag vielleicht etwas
ermäßigt, aber nur unbedeutend, weil der Speculant vorstellt, daß die Bahn
sonst nicht zu Stande kommt. Nun wird ein übermäßig hohes Capital in
Actien ausgegeben. Was die Interessenten davon voll eingezahlt haben, steckt
der Speculant in die Tasche, mit den nicht eingezahlten, aber auf die Börse
zu bringenden Actien bezahlt er das Bauconsortium, welches die Bahn um
den höchsten Preis mit den geringsten Kosten so schlecht als möglich herstellt.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/282>, abgerufen am 24.08.2024.