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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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das Bouquet des eigentlichen Champagners, sind aber keineswegs zu verachten,
da sie nicht die Quacksalberei erfahren wie die meisten wohlfeilen Sectsorten,
und da man sie in der ganzen Champagne wegen ihrer harntreibenden und
und Oeffnung schaffenden Eigenschaften sehr hoch hält.

Ehe ich die Fabrication des Schaumweins schildere, habe ich noch ein
Wort über das System der Weincultur zu sagen, welches in der Champagne
herrscht und sich wesentlich von dem in andern Weingegenden üblichen unter¬
scheidet. Sobald die Lese vorüber ist, werden die Pfähle herausgezogen und
in Haufen aufgeschichtet, so daß die untern Enden aus dem Erdreich kommen,
um nicht zu verfaulen. Diese Pfähle kosten, wenn es eichene sind, 60 Francs
das Tausend, und da die Reben, um eine Traubenernte so reich wie möglich
zu liefern, ungewöhnlich dicht neben einander gepflanzt werden, so stehen auf
einem Acker Land nicht weniger als vierundzwanzig tausend solcher Pfähle,
sodaß die Kosten, welche das Stützen der Reben macht, das Doppelte dessen,
was man beim Medoc, und das Vierfache dessen, was man beim Burgunder
darauf verwendet, betragen.

Wenn die Pfähle weggenommen sind, läßt man die Reben zusammenge¬
ringelt in einem Haufen ungestört bis zum Winter liegen, wo die Erde rings
um sie aufgelockert wird. Im Februar wird der Weinstock beschnitten und
dermaßen in die Erde gesenkt, das nur das neue Holz über dem Boden bleibt.
Da die Reben so dicht aneinander stehen, entziehen sie sich häufig die Nahrung,
und so kommt es, daß viele Stöcke eingehen. Ist dieß der Fall oder werden
bei der Lese Stöcke abgebrochen, so werden ihre Stellen durch eine Operation
ausgefüllt, die man als "redg-issomevt" bezeichnet, und die darin besteht, daß
man die Erde an einer Seite eines Stockes entfernt und die beiden untersten
Augen der beiden Hauptschößlinge, die man beim Verschneiden stehen gelassen
hat, zu diesem besondern Zwecke niedersenkt. Diese werden mit einem leichten
Dünger bedeckt und schlagen im Laufe der Zeit Wurzel, aus denen sich neue
Reben erheben. Im April oder Mai werden die Pfähle wieder in den Boden
gestoßen, und nachdem die Erde um die Wurzeln der Neben bedankt worden,
werden letztere wieder an die Pfähle gebunden, wobei man zugleich ihre Spitzen
bis zum obersten Seitenschößling abbricht, um zu verhindern, daß sie über die
als Regel aufgestellte Höhe hinauswachsen, welche gewöhnlich dreißig bis drei¬
unddreißig Zoll beträgt. Im Laufe des Sommers wird der Boden ein zweites
und ein drittes Mal bedankt, und zwar erstens, um die überflüssigen Wurzeln
zu zerstören und die Stöcke zu zwingen, sich nur von ihren tieferen Wurzeln
Nahrung zuführen zu lassen, zweitens um schädliches Unkraut in ihrer Umgebung
zu vertilgen.

In der Champagne schließt die Weinlese ohne irgend etwas von den Fest¬
lichkeiten, die sich in der Gegend, wo der Medoc wächst, erhalten haben. Da-


das Bouquet des eigentlichen Champagners, sind aber keineswegs zu verachten,
da sie nicht die Quacksalberei erfahren wie die meisten wohlfeilen Sectsorten,
und da man sie in der ganzen Champagne wegen ihrer harntreibenden und
und Oeffnung schaffenden Eigenschaften sehr hoch hält.

Ehe ich die Fabrication des Schaumweins schildere, habe ich noch ein
Wort über das System der Weincultur zu sagen, welches in der Champagne
herrscht und sich wesentlich von dem in andern Weingegenden üblichen unter¬
scheidet. Sobald die Lese vorüber ist, werden die Pfähle herausgezogen und
in Haufen aufgeschichtet, so daß die untern Enden aus dem Erdreich kommen,
um nicht zu verfaulen. Diese Pfähle kosten, wenn es eichene sind, 60 Francs
das Tausend, und da die Reben, um eine Traubenernte so reich wie möglich
zu liefern, ungewöhnlich dicht neben einander gepflanzt werden, so stehen auf
einem Acker Land nicht weniger als vierundzwanzig tausend solcher Pfähle,
sodaß die Kosten, welche das Stützen der Reben macht, das Doppelte dessen,
was man beim Medoc, und das Vierfache dessen, was man beim Burgunder
darauf verwendet, betragen.

Wenn die Pfähle weggenommen sind, läßt man die Reben zusammenge¬
ringelt in einem Haufen ungestört bis zum Winter liegen, wo die Erde rings
um sie aufgelockert wird. Im Februar wird der Weinstock beschnitten und
dermaßen in die Erde gesenkt, das nur das neue Holz über dem Boden bleibt.
Da die Reben so dicht aneinander stehen, entziehen sie sich häufig die Nahrung,
und so kommt es, daß viele Stöcke eingehen. Ist dieß der Fall oder werden
bei der Lese Stöcke abgebrochen, so werden ihre Stellen durch eine Operation
ausgefüllt, die man als „redg-issomevt" bezeichnet, und die darin besteht, daß
man die Erde an einer Seite eines Stockes entfernt und die beiden untersten
Augen der beiden Hauptschößlinge, die man beim Verschneiden stehen gelassen
hat, zu diesem besondern Zwecke niedersenkt. Diese werden mit einem leichten
Dünger bedeckt und schlagen im Laufe der Zeit Wurzel, aus denen sich neue
Reben erheben. Im April oder Mai werden die Pfähle wieder in den Boden
gestoßen, und nachdem die Erde um die Wurzeln der Neben bedankt worden,
werden letztere wieder an die Pfähle gebunden, wobei man zugleich ihre Spitzen
bis zum obersten Seitenschößling abbricht, um zu verhindern, daß sie über die
als Regel aufgestellte Höhe hinauswachsen, welche gewöhnlich dreißig bis drei¬
unddreißig Zoll beträgt. Im Laufe des Sommers wird der Boden ein zweites
und ein drittes Mal bedankt, und zwar erstens, um die überflüssigen Wurzeln
zu zerstören und die Stöcke zu zwingen, sich nur von ihren tieferen Wurzeln
Nahrung zuführen zu lassen, zweitens um schädliches Unkraut in ihrer Umgebung
zu vertilgen.

In der Champagne schließt die Weinlese ohne irgend etwas von den Fest¬
lichkeiten, die sich in der Gegend, wo der Medoc wächst, erhalten haben. Da-


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[0272] das Bouquet des eigentlichen Champagners, sind aber keineswegs zu verachten, da sie nicht die Quacksalberei erfahren wie die meisten wohlfeilen Sectsorten, und da man sie in der ganzen Champagne wegen ihrer harntreibenden und und Oeffnung schaffenden Eigenschaften sehr hoch hält. Ehe ich die Fabrication des Schaumweins schildere, habe ich noch ein Wort über das System der Weincultur zu sagen, welches in der Champagne herrscht und sich wesentlich von dem in andern Weingegenden üblichen unter¬ scheidet. Sobald die Lese vorüber ist, werden die Pfähle herausgezogen und in Haufen aufgeschichtet, so daß die untern Enden aus dem Erdreich kommen, um nicht zu verfaulen. Diese Pfähle kosten, wenn es eichene sind, 60 Francs das Tausend, und da die Reben, um eine Traubenernte so reich wie möglich zu liefern, ungewöhnlich dicht neben einander gepflanzt werden, so stehen auf einem Acker Land nicht weniger als vierundzwanzig tausend solcher Pfähle, sodaß die Kosten, welche das Stützen der Reben macht, das Doppelte dessen, was man beim Medoc, und das Vierfache dessen, was man beim Burgunder darauf verwendet, betragen. Wenn die Pfähle weggenommen sind, läßt man die Reben zusammenge¬ ringelt in einem Haufen ungestört bis zum Winter liegen, wo die Erde rings um sie aufgelockert wird. Im Februar wird der Weinstock beschnitten und dermaßen in die Erde gesenkt, das nur das neue Holz über dem Boden bleibt. Da die Reben so dicht aneinander stehen, entziehen sie sich häufig die Nahrung, und so kommt es, daß viele Stöcke eingehen. Ist dieß der Fall oder werden bei der Lese Stöcke abgebrochen, so werden ihre Stellen durch eine Operation ausgefüllt, die man als „redg-issomevt" bezeichnet, und die darin besteht, daß man die Erde an einer Seite eines Stockes entfernt und die beiden untersten Augen der beiden Hauptschößlinge, die man beim Verschneiden stehen gelassen hat, zu diesem besondern Zwecke niedersenkt. Diese werden mit einem leichten Dünger bedeckt und schlagen im Laufe der Zeit Wurzel, aus denen sich neue Reben erheben. Im April oder Mai werden die Pfähle wieder in den Boden gestoßen, und nachdem die Erde um die Wurzeln der Neben bedankt worden, werden letztere wieder an die Pfähle gebunden, wobei man zugleich ihre Spitzen bis zum obersten Seitenschößling abbricht, um zu verhindern, daß sie über die als Regel aufgestellte Höhe hinauswachsen, welche gewöhnlich dreißig bis drei¬ unddreißig Zoll beträgt. Im Laufe des Sommers wird der Boden ein zweites und ein drittes Mal bedankt, und zwar erstens, um die überflüssigen Wurzeln zu zerstören und die Stöcke zu zwingen, sich nur von ihren tieferen Wurzeln Nahrung zuführen zu lassen, zweitens um schädliches Unkraut in ihrer Umgebung zu vertilgen. In der Champagne schließt die Weinlese ohne irgend etwas von den Fest¬ lichkeiten, die sich in der Gegend, wo der Medoc wächst, erhalten haben. Da-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/272>, abgerufen am 02.10.2024.