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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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Am 31. Januar wurde derselbe Vorschlag zur Abänderung der Verfassung
zum zweiten Mal berathen. Diesmal ergriff Herr Windthorst lMeppen) das
Wort. Seine Rede enthielt aber nur eine Kette leidenschaftlicher Ausbrüche.
Bemerkenswerth war nur der wiederholt kundgegebene Wunsch nach Frieden:
vielleicht mehr als bloße Redensart, vielleicht die Ahnung, daß der heraufbe¬
schworene Kampf diesmal nicht, wie in so vielen früheren Fällen, mit der
Niederlage des Staates endigen dürste. Dieser Rede gegenüber gewann die
Ausführung des Cultusministers Dr. Falk um so größere Bedeutung, welche
darin gipfelte, daß eine Gesetzgebung wie die gegenwärtige die wahre Grund¬
lage ist für den Frieden zwischen Staat und Kirche. Wird diese Grundlage
energisch festgehalten, so wird die römische Kirche lernen, daß sie ein für alle
Mal dem Staat das Seine lassen muß. sie wird aber auch inne werden, daß
sie in dem Einfluß auf die Seelen, soweit sie von demselben Aufnahme des
ewigen Heils verlangt, nicht Dienste für einen irdischen Herrschaftszweck, un-
hemmt ist.

Der Vorschlag der Commission zur Abänderung der Verfassung ist unter
Verwerfung aller anderen Anträge in namentlicher Abstimmung mit 262 gegen
117 Stimmen angenommen worden. --

Die Rede des Fürsten Bismarck vom 2S. Januar, deren ich im vorigen
Briefe bereits Erwähnung gethan, hat in der "Prov.-Corr." vom 29. Januar
einen Commentar gefunden. Schon am 15. Dezbr. v. I. habe ich an dieser
Stelle darauf hingewiesen, daß die Reden des Fürsten Bismarck. die er bei
der Berathung der norddeutschen Bundesverfassung hielt, mit ihren Aeußer¬
ungen über die Stellung des preußischen Staats zum norddeutschen Bund
unmöglich auch maßgebend sein können für die Stellung desselben Staats
zum deutschen Reich. Die "Prov.-Corresp." eignet nun diesen Gesichtspunkt
sich ausdrücklich an. Außerdem bemerkt sie, daß die Rede vom 23. Januar
unfehlbar den Ausgangspunkt neuer Erwägungen und Gestaltungen inner¬
halb der Reichsverwaltung bilden werde.

Es kann bei diesen Erwägungen der Natur der Sache nach zunächst um
nichts Anderes sich handeln, als um die selbständige Stellung des Reichskanz¬
lers und des Reichskanzleramtes. Nach der Auffassung, welche bisher Geltung
hatte, und welche allerdings der Fürst Bismarck selbst in den mehrerwähnten
Reden bei der Berathung der norddeutschen Bundesverfassung zuerst mit allem
Nachdruck ausgesprochen, war der Reichskanzler der Untergebene, der Beauf¬
tragte des preußischen Staatsministeriums, sein specieller Jnstructor war nach
den nämlichen Reden entweder der auswärtige preußische Minister oder der
preußische Ministerpräsident: ein Unterschied, der bei der Vereinigung dieser
Aemter in Einer Person zur Zeit der betreffenden Reden nicht in's Gewicht
fiel. Seitdem Fürst Bismarck das preußische Ministerpräsidium niedergelegt.


Am 31. Januar wurde derselbe Vorschlag zur Abänderung der Verfassung
zum zweiten Mal berathen. Diesmal ergriff Herr Windthorst lMeppen) das
Wort. Seine Rede enthielt aber nur eine Kette leidenschaftlicher Ausbrüche.
Bemerkenswerth war nur der wiederholt kundgegebene Wunsch nach Frieden:
vielleicht mehr als bloße Redensart, vielleicht die Ahnung, daß der heraufbe¬
schworene Kampf diesmal nicht, wie in so vielen früheren Fällen, mit der
Niederlage des Staates endigen dürste. Dieser Rede gegenüber gewann die
Ausführung des Cultusministers Dr. Falk um so größere Bedeutung, welche
darin gipfelte, daß eine Gesetzgebung wie die gegenwärtige die wahre Grund¬
lage ist für den Frieden zwischen Staat und Kirche. Wird diese Grundlage
energisch festgehalten, so wird die römische Kirche lernen, daß sie ein für alle
Mal dem Staat das Seine lassen muß. sie wird aber auch inne werden, daß
sie in dem Einfluß auf die Seelen, soweit sie von demselben Aufnahme des
ewigen Heils verlangt, nicht Dienste für einen irdischen Herrschaftszweck, un-
hemmt ist.

Der Vorschlag der Commission zur Abänderung der Verfassung ist unter
Verwerfung aller anderen Anträge in namentlicher Abstimmung mit 262 gegen
117 Stimmen angenommen worden. —

Die Rede des Fürsten Bismarck vom 2S. Januar, deren ich im vorigen
Briefe bereits Erwähnung gethan, hat in der „Prov.-Corr." vom 29. Januar
einen Commentar gefunden. Schon am 15. Dezbr. v. I. habe ich an dieser
Stelle darauf hingewiesen, daß die Reden des Fürsten Bismarck. die er bei
der Berathung der norddeutschen Bundesverfassung hielt, mit ihren Aeußer¬
ungen über die Stellung des preußischen Staats zum norddeutschen Bund
unmöglich auch maßgebend sein können für die Stellung desselben Staats
zum deutschen Reich. Die „Prov.-Corresp." eignet nun diesen Gesichtspunkt
sich ausdrücklich an. Außerdem bemerkt sie, daß die Rede vom 23. Januar
unfehlbar den Ausgangspunkt neuer Erwägungen und Gestaltungen inner¬
halb der Reichsverwaltung bilden werde.

Es kann bei diesen Erwägungen der Natur der Sache nach zunächst um
nichts Anderes sich handeln, als um die selbständige Stellung des Reichskanz¬
lers und des Reichskanzleramtes. Nach der Auffassung, welche bisher Geltung
hatte, und welche allerdings der Fürst Bismarck selbst in den mehrerwähnten
Reden bei der Berathung der norddeutschen Bundesverfassung zuerst mit allem
Nachdruck ausgesprochen, war der Reichskanzler der Untergebene, der Beauf¬
tragte des preußischen Staatsministeriums, sein specieller Jnstructor war nach
den nämlichen Reden entweder der auswärtige preußische Minister oder der
preußische Ministerpräsident: ein Unterschied, der bei der Vereinigung dieser
Aemter in Einer Person zur Zeit der betreffenden Reden nicht in's Gewicht
fiel. Seitdem Fürst Bismarck das preußische Ministerpräsidium niedergelegt.


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[0246] Am 31. Januar wurde derselbe Vorschlag zur Abänderung der Verfassung zum zweiten Mal berathen. Diesmal ergriff Herr Windthorst lMeppen) das Wort. Seine Rede enthielt aber nur eine Kette leidenschaftlicher Ausbrüche. Bemerkenswerth war nur der wiederholt kundgegebene Wunsch nach Frieden: vielleicht mehr als bloße Redensart, vielleicht die Ahnung, daß der heraufbe¬ schworene Kampf diesmal nicht, wie in so vielen früheren Fällen, mit der Niederlage des Staates endigen dürste. Dieser Rede gegenüber gewann die Ausführung des Cultusministers Dr. Falk um so größere Bedeutung, welche darin gipfelte, daß eine Gesetzgebung wie die gegenwärtige die wahre Grund¬ lage ist für den Frieden zwischen Staat und Kirche. Wird diese Grundlage energisch festgehalten, so wird die römische Kirche lernen, daß sie ein für alle Mal dem Staat das Seine lassen muß. sie wird aber auch inne werden, daß sie in dem Einfluß auf die Seelen, soweit sie von demselben Aufnahme des ewigen Heils verlangt, nicht Dienste für einen irdischen Herrschaftszweck, un- hemmt ist. Der Vorschlag der Commission zur Abänderung der Verfassung ist unter Verwerfung aller anderen Anträge in namentlicher Abstimmung mit 262 gegen 117 Stimmen angenommen worden. — Die Rede des Fürsten Bismarck vom 2S. Januar, deren ich im vorigen Briefe bereits Erwähnung gethan, hat in der „Prov.-Corr." vom 29. Januar einen Commentar gefunden. Schon am 15. Dezbr. v. I. habe ich an dieser Stelle darauf hingewiesen, daß die Reden des Fürsten Bismarck. die er bei der Berathung der norddeutschen Bundesverfassung hielt, mit ihren Aeußer¬ ungen über die Stellung des preußischen Staats zum norddeutschen Bund unmöglich auch maßgebend sein können für die Stellung desselben Staats zum deutschen Reich. Die „Prov.-Corresp." eignet nun diesen Gesichtspunkt sich ausdrücklich an. Außerdem bemerkt sie, daß die Rede vom 23. Januar unfehlbar den Ausgangspunkt neuer Erwägungen und Gestaltungen inner¬ halb der Reichsverwaltung bilden werde. Es kann bei diesen Erwägungen der Natur der Sache nach zunächst um nichts Anderes sich handeln, als um die selbständige Stellung des Reichskanz¬ lers und des Reichskanzleramtes. Nach der Auffassung, welche bisher Geltung hatte, und welche allerdings der Fürst Bismarck selbst in den mehrerwähnten Reden bei der Berathung der norddeutschen Bundesverfassung zuerst mit allem Nachdruck ausgesprochen, war der Reichskanzler der Untergebene, der Beauf¬ tragte des preußischen Staatsministeriums, sein specieller Jnstructor war nach den nämlichen Reden entweder der auswärtige preußische Minister oder der preußische Ministerpräsident: ein Unterschied, der bei der Vereinigung dieser Aemter in Einer Person zur Zeit der betreffenden Reden nicht in's Gewicht fiel. Seitdem Fürst Bismarck das preußische Ministerpräsidium niedergelegt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/246>, abgerufen am 30.09.2024.