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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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osficiöser Schriftstellerer, um dem Lande zu demonstriren, daß die einzige Quelle
der Rechtswissenschaft für Schwaben fernerhin in den Präjudicien des Stutt¬
garter Obertribunals bestehen müsse. Laien und Juristen sind ungläubig
geworden, man gewöhnt sich mehr und mehr, eine Parallele zu ziehen zwischen
der Leipziger und Stuttgarter Jurisdiction, zwischen den Leistungen der
deutschen Rechtswissenschaft und der von der Gnade des Herrn von Mittnacht
abhängigen Stuttgarter Fachpresse. Nur unsere Demokraten und die Hof¬
partei, welche unter dem ^us civile Alles verstehen, was nicht militärischen
Charakter hat, wollen, nachdem man bereits das Militär an das Reich ver¬
loren, das Civilrecht sich als besondere Domäne reservirt halten. Der Führer
der ersteren, Oesterlen, hat vor kurzem eine gegen die Einheit des Privatrechts
und die Einsetzung eines obersten Reichsgerichtshofs tendirende Jnterpellation
an den Justizminister gerichtet, auf deren Beantwortung man um so ge¬
spannter ist, als Oesterlen bis in die neueste Zeit der Vertraute Mittnachts,
ja dessen Sprachrohr war, wenn es galt, sich mit der Volkspartei zu verstän¬
digen und man deßhalb vielfach eine Abmachung zwischen beiden über diese
Jnterpellation nicht für unmöglich hält. --

Man hält übrigens in unterrichteten Kreisen kaum für denkbar, daß
Herr v. Mittnacht trotz Oesterlen und Gen. seinen Widerstand und seine Son¬
derbündelei in Sachen der deutschen Rechtseinheit auf die Dauer fortzusetzen
im Stande sein werde. Er kennt die UnHaltbarkeit seines Standpunkts, folgt
aber zur Zeit der am Hofe herrschenden Strömung, indem er sich zugleich der
Hoffnung hinzugeben scheint, bei passender Gelegenheit ein politisches Aequi-
valent in Berlin herauszuschlagen, das sich bei Hof verwerthen ließe.

Jedenfalls ist in Folge unzähliger, seit 300 Jahren fortgesetzter princip¬
loser Flickarbeiten der Zustand unseres Privatrechts ein ganz unhaltbarer ge¬
worden, so daß neulich sogar in unserer I, Kammer von dem früheren Mi¬
nister von Linden auf das Unerträgliche dieses jetzigen Zustandes hingewiesen
wurde. Dazu kommt, daß gerade das württembergische Recht für eine gemein¬
same deutsche Codification am wenigsten Schwierigkeiten darbietet, da dasselbe
trotz aller Willkühr und Zufälligkeit im Einzelnen, durchaus auf gemeinrecht¬
licher Grundlage beruht. Andrerseits ist eine gründliche Abhilfe auf dem
Boden des Particularrechts selbst, ebenso wohl wegen des Mangels an den hierzu
befähigten Kräften (wir sagen dies aller Schönfärberei und Selbstüberhebung
der Stuttgarter Officiösen zu trotze), als wegen der Gesammtlage, in welcher
sich die Rechtsentwicklung Deutschlands zur Zeit befindet, ganz unmöglich.
Nur das Reich, welches über das Wissen und die Energie der ganzen Nation



') Die inzwischen erfolgte Beantwortung der Oesterlen'schen Jnterpellation durch Mittnacht
b D. Red. estätigt diese Ansicht.

osficiöser Schriftstellerer, um dem Lande zu demonstriren, daß die einzige Quelle
der Rechtswissenschaft für Schwaben fernerhin in den Präjudicien des Stutt¬
garter Obertribunals bestehen müsse. Laien und Juristen sind ungläubig
geworden, man gewöhnt sich mehr und mehr, eine Parallele zu ziehen zwischen
der Leipziger und Stuttgarter Jurisdiction, zwischen den Leistungen der
deutschen Rechtswissenschaft und der von der Gnade des Herrn von Mittnacht
abhängigen Stuttgarter Fachpresse. Nur unsere Demokraten und die Hof¬
partei, welche unter dem ^us civile Alles verstehen, was nicht militärischen
Charakter hat, wollen, nachdem man bereits das Militär an das Reich ver¬
loren, das Civilrecht sich als besondere Domäne reservirt halten. Der Führer
der ersteren, Oesterlen, hat vor kurzem eine gegen die Einheit des Privatrechts
und die Einsetzung eines obersten Reichsgerichtshofs tendirende Jnterpellation
an den Justizminister gerichtet, auf deren Beantwortung man um so ge¬
spannter ist, als Oesterlen bis in die neueste Zeit der Vertraute Mittnachts,
ja dessen Sprachrohr war, wenn es galt, sich mit der Volkspartei zu verstän¬
digen und man deßhalb vielfach eine Abmachung zwischen beiden über diese
Jnterpellation nicht für unmöglich hält. —

Man hält übrigens in unterrichteten Kreisen kaum für denkbar, daß
Herr v. Mittnacht trotz Oesterlen und Gen. seinen Widerstand und seine Son¬
derbündelei in Sachen der deutschen Rechtseinheit auf die Dauer fortzusetzen
im Stande sein werde. Er kennt die UnHaltbarkeit seines Standpunkts, folgt
aber zur Zeit der am Hofe herrschenden Strömung, indem er sich zugleich der
Hoffnung hinzugeben scheint, bei passender Gelegenheit ein politisches Aequi-
valent in Berlin herauszuschlagen, das sich bei Hof verwerthen ließe.

Jedenfalls ist in Folge unzähliger, seit 300 Jahren fortgesetzter princip¬
loser Flickarbeiten der Zustand unseres Privatrechts ein ganz unhaltbarer ge¬
worden, so daß neulich sogar in unserer I, Kammer von dem früheren Mi¬
nister von Linden auf das Unerträgliche dieses jetzigen Zustandes hingewiesen
wurde. Dazu kommt, daß gerade das württembergische Recht für eine gemein¬
same deutsche Codification am wenigsten Schwierigkeiten darbietet, da dasselbe
trotz aller Willkühr und Zufälligkeit im Einzelnen, durchaus auf gemeinrecht¬
licher Grundlage beruht. Andrerseits ist eine gründliche Abhilfe auf dem
Boden des Particularrechts selbst, ebenso wohl wegen des Mangels an den hierzu
befähigten Kräften (wir sagen dies aller Schönfärberei und Selbstüberhebung
der Stuttgarter Officiösen zu trotze), als wegen der Gesammtlage, in welcher
sich die Rechtsentwicklung Deutschlands zur Zeit befindet, ganz unmöglich.
Nur das Reich, welches über das Wissen und die Energie der ganzen Nation



') Die inzwischen erfolgte Beantwortung der Oesterlen'schen Jnterpellation durch Mittnacht
b D. Red. estätigt diese Ansicht.
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[0197] osficiöser Schriftstellerer, um dem Lande zu demonstriren, daß die einzige Quelle der Rechtswissenschaft für Schwaben fernerhin in den Präjudicien des Stutt¬ garter Obertribunals bestehen müsse. Laien und Juristen sind ungläubig geworden, man gewöhnt sich mehr und mehr, eine Parallele zu ziehen zwischen der Leipziger und Stuttgarter Jurisdiction, zwischen den Leistungen der deutschen Rechtswissenschaft und der von der Gnade des Herrn von Mittnacht abhängigen Stuttgarter Fachpresse. Nur unsere Demokraten und die Hof¬ partei, welche unter dem ^us civile Alles verstehen, was nicht militärischen Charakter hat, wollen, nachdem man bereits das Militär an das Reich ver¬ loren, das Civilrecht sich als besondere Domäne reservirt halten. Der Führer der ersteren, Oesterlen, hat vor kurzem eine gegen die Einheit des Privatrechts und die Einsetzung eines obersten Reichsgerichtshofs tendirende Jnterpellation an den Justizminister gerichtet, auf deren Beantwortung man um so ge¬ spannter ist, als Oesterlen bis in die neueste Zeit der Vertraute Mittnachts, ja dessen Sprachrohr war, wenn es galt, sich mit der Volkspartei zu verstän¬ digen und man deßhalb vielfach eine Abmachung zwischen beiden über diese Jnterpellation nicht für unmöglich hält. — Man hält übrigens in unterrichteten Kreisen kaum für denkbar, daß Herr v. Mittnacht trotz Oesterlen und Gen. seinen Widerstand und seine Son¬ derbündelei in Sachen der deutschen Rechtseinheit auf die Dauer fortzusetzen im Stande sein werde. Er kennt die UnHaltbarkeit seines Standpunkts, folgt aber zur Zeit der am Hofe herrschenden Strömung, indem er sich zugleich der Hoffnung hinzugeben scheint, bei passender Gelegenheit ein politisches Aequi- valent in Berlin herauszuschlagen, das sich bei Hof verwerthen ließe. Jedenfalls ist in Folge unzähliger, seit 300 Jahren fortgesetzter princip¬ loser Flickarbeiten der Zustand unseres Privatrechts ein ganz unhaltbarer ge¬ worden, so daß neulich sogar in unserer I, Kammer von dem früheren Mi¬ nister von Linden auf das Unerträgliche dieses jetzigen Zustandes hingewiesen wurde. Dazu kommt, daß gerade das württembergische Recht für eine gemein¬ same deutsche Codification am wenigsten Schwierigkeiten darbietet, da dasselbe trotz aller Willkühr und Zufälligkeit im Einzelnen, durchaus auf gemeinrecht¬ licher Grundlage beruht. Andrerseits ist eine gründliche Abhilfe auf dem Boden des Particularrechts selbst, ebenso wohl wegen des Mangels an den hierzu befähigten Kräften (wir sagen dies aller Schönfärberei und Selbstüberhebung der Stuttgarter Officiösen zu trotze), als wegen der Gesammtlage, in welcher sich die Rechtsentwicklung Deutschlands zur Zeit befindet, ganz unmöglich. Nur das Reich, welches über das Wissen und die Energie der ganzen Nation ') Die inzwischen erfolgte Beantwortung der Oesterlen'schen Jnterpellation durch Mittnacht b D. Red. estätigt diese Ansicht.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/197>, abgerufen am 24.08.2024.