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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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Perspective vor sich gesehen hat, welcher eine frappante Ähnlichkeit mit einer
"Siriusweite" nicht abzusprechen ist, wird beim Anblicke der zahlreichen Tram-
ways, welche den fashionablen Theil von Brüssel durchschneiden, in der
Erinnerung an das heimische Berlin von einem gewissen Gefühl des Neides,
außerdem aber von dumpfer Resignation heimgesucht sein, da jene Siriusweite
in Berlin vielleicht niemals durchmessen werden wird. Längs der großen
Boulevards, welche Brüssel umgeben, durch die breite Rue Royale, aus der
neuen von der Station du Midi durch die Stadt nach der Nordstation füh¬
renden Avenue -- überall sieht man die eleganten Wagen des Tramway
coursiren, den Bewohnern ein bequemes und billiges Verkehrsmittel darbietend;
selbst an Warteräumen fehlt es nicht, in welchen die Passagiere sich bis zur
Ankunft der Wagen aufhalten können. Die Bauten der guten Stadt Brüssel
scheinen von einem neuen Baron Haußmann, Pariser Angedenkens, geleitet
zu sein; denn der Boulevard, welcher in Kurzem Süd- und Nordstation ver¬
binden wird, schont selbst eine Kirche nicht, welche sich seinem Wege entgegen¬
stellt; diese Kirche wird abgebrochen und an einem anderen geeigneten Platze
neu aufgebaut, -- gewiß ein idealer Zustand des Bauwesens, bei dem ästhe¬
tische und künstlerische Anforderungen selbst über die Macht des Herkommens
den Sieg erlangen. Wiederum ergriff uns düstere Resignation, als im Gegen¬
satze zu solchen Eindrücken das längstgewohnte Bild des "Eisbocks" in
der Potsdamerstraße zu Berlin vor unserem Geiste aufstieg, jener architek¬
tonische Rest der "Steinzeit", welcher augenscheinlich nur deshalb conser-
virt wird, damit die Fremden, welche Berlin besuchen, tiefe Einblicke in die
Kultur der antediluvianischer Vergangenheit Berlins erlangen können. Noch
manches Andere regt draußen zu Vergleichen mit den heimathlichen Zuständen
und Einrichtungen an. Eine der unvermeidlichen "Passagen", d. h. glasbe¬
deckten Straßendurchgänge mit Bazars, Magazinen und großen Cafe's, wird
ja nächstens auch in Berlin eröffnet werden; wir konnten deshalb die Brüsseler
Galerie Se. Hubert mit leichterem Herzen uns ansehen, wenn auch deren
Länge (630 Fuß) die Strecke zwischen Linden und Behrenstraße weit hinter
sich läßt. Dagegen kam uns das horazische omitw mirari Romam tuaw,
welches den Freund des venusischen Dichters von seiner römischen Vorliebe
heilen sollte, wieder bei dem Anblick des Brüsseler Ng,roli6 couvert,
der prächtigen bedeckten Marktrotunde, in den Sinn; denn das Berliner Markt -
Hallen-Project wird wohl dereinst der staunenden Nachwelt das Bild eines
unerklärbarer Torso darbieten. Welch ein Gewühl von Blumen, Früchten,
Gemüse, Wild, Geflügel und anderen Marktherrlichkeiten in der Rotunde,
welche künstlerische Gruppirung der Gegenstände, die uns an Huysum's und
Hondecoeter's Stillleben im Amsterdamer Museum erinnerte! Welche
Sauberkeit, ja Eleganz in der Aufstellung! Ob wir Deutschen denn wirklich


Perspective vor sich gesehen hat, welcher eine frappante Ähnlichkeit mit einer
„Siriusweite" nicht abzusprechen ist, wird beim Anblicke der zahlreichen Tram-
ways, welche den fashionablen Theil von Brüssel durchschneiden, in der
Erinnerung an das heimische Berlin von einem gewissen Gefühl des Neides,
außerdem aber von dumpfer Resignation heimgesucht sein, da jene Siriusweite
in Berlin vielleicht niemals durchmessen werden wird. Längs der großen
Boulevards, welche Brüssel umgeben, durch die breite Rue Royale, aus der
neuen von der Station du Midi durch die Stadt nach der Nordstation füh¬
renden Avenue — überall sieht man die eleganten Wagen des Tramway
coursiren, den Bewohnern ein bequemes und billiges Verkehrsmittel darbietend;
selbst an Warteräumen fehlt es nicht, in welchen die Passagiere sich bis zur
Ankunft der Wagen aufhalten können. Die Bauten der guten Stadt Brüssel
scheinen von einem neuen Baron Haußmann, Pariser Angedenkens, geleitet
zu sein; denn der Boulevard, welcher in Kurzem Süd- und Nordstation ver¬
binden wird, schont selbst eine Kirche nicht, welche sich seinem Wege entgegen¬
stellt; diese Kirche wird abgebrochen und an einem anderen geeigneten Platze
neu aufgebaut, — gewiß ein idealer Zustand des Bauwesens, bei dem ästhe¬
tische und künstlerische Anforderungen selbst über die Macht des Herkommens
den Sieg erlangen. Wiederum ergriff uns düstere Resignation, als im Gegen¬
satze zu solchen Eindrücken das längstgewohnte Bild des „Eisbocks" in
der Potsdamerstraße zu Berlin vor unserem Geiste aufstieg, jener architek¬
tonische Rest der „Steinzeit", welcher augenscheinlich nur deshalb conser-
virt wird, damit die Fremden, welche Berlin besuchen, tiefe Einblicke in die
Kultur der antediluvianischer Vergangenheit Berlins erlangen können. Noch
manches Andere regt draußen zu Vergleichen mit den heimathlichen Zuständen
und Einrichtungen an. Eine der unvermeidlichen „Passagen", d. h. glasbe¬
deckten Straßendurchgänge mit Bazars, Magazinen und großen Cafe's, wird
ja nächstens auch in Berlin eröffnet werden; wir konnten deshalb die Brüsseler
Galerie Se. Hubert mit leichterem Herzen uns ansehen, wenn auch deren
Länge (630 Fuß) die Strecke zwischen Linden und Behrenstraße weit hinter
sich läßt. Dagegen kam uns das horazische omitw mirari Romam tuaw,
welches den Freund des venusischen Dichters von seiner römischen Vorliebe
heilen sollte, wieder bei dem Anblick des Brüsseler Ng,roli6 couvert,
der prächtigen bedeckten Marktrotunde, in den Sinn; denn das Berliner Markt -
Hallen-Project wird wohl dereinst der staunenden Nachwelt das Bild eines
unerklärbarer Torso darbieten. Welch ein Gewühl von Blumen, Früchten,
Gemüse, Wild, Geflügel und anderen Marktherrlichkeiten in der Rotunde,
welche künstlerische Gruppirung der Gegenstände, die uns an Huysum's und
Hondecoeter's Stillleben im Amsterdamer Museum erinnerte! Welche
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[0154] Perspective vor sich gesehen hat, welcher eine frappante Ähnlichkeit mit einer „Siriusweite" nicht abzusprechen ist, wird beim Anblicke der zahlreichen Tram- ways, welche den fashionablen Theil von Brüssel durchschneiden, in der Erinnerung an das heimische Berlin von einem gewissen Gefühl des Neides, außerdem aber von dumpfer Resignation heimgesucht sein, da jene Siriusweite in Berlin vielleicht niemals durchmessen werden wird. Längs der großen Boulevards, welche Brüssel umgeben, durch die breite Rue Royale, aus der neuen von der Station du Midi durch die Stadt nach der Nordstation füh¬ renden Avenue — überall sieht man die eleganten Wagen des Tramway coursiren, den Bewohnern ein bequemes und billiges Verkehrsmittel darbietend; selbst an Warteräumen fehlt es nicht, in welchen die Passagiere sich bis zur Ankunft der Wagen aufhalten können. Die Bauten der guten Stadt Brüssel scheinen von einem neuen Baron Haußmann, Pariser Angedenkens, geleitet zu sein; denn der Boulevard, welcher in Kurzem Süd- und Nordstation ver¬ binden wird, schont selbst eine Kirche nicht, welche sich seinem Wege entgegen¬ stellt; diese Kirche wird abgebrochen und an einem anderen geeigneten Platze neu aufgebaut, — gewiß ein idealer Zustand des Bauwesens, bei dem ästhe¬ tische und künstlerische Anforderungen selbst über die Macht des Herkommens den Sieg erlangen. Wiederum ergriff uns düstere Resignation, als im Gegen¬ satze zu solchen Eindrücken das längstgewohnte Bild des „Eisbocks" in der Potsdamerstraße zu Berlin vor unserem Geiste aufstieg, jener architek¬ tonische Rest der „Steinzeit", welcher augenscheinlich nur deshalb conser- virt wird, damit die Fremden, welche Berlin besuchen, tiefe Einblicke in die Kultur der antediluvianischer Vergangenheit Berlins erlangen können. Noch manches Andere regt draußen zu Vergleichen mit den heimathlichen Zuständen und Einrichtungen an. Eine der unvermeidlichen „Passagen", d. h. glasbe¬ deckten Straßendurchgänge mit Bazars, Magazinen und großen Cafe's, wird ja nächstens auch in Berlin eröffnet werden; wir konnten deshalb die Brüsseler Galerie Se. Hubert mit leichterem Herzen uns ansehen, wenn auch deren Länge (630 Fuß) die Strecke zwischen Linden und Behrenstraße weit hinter sich läßt. Dagegen kam uns das horazische omitw mirari Romam tuaw, welches den Freund des venusischen Dichters von seiner römischen Vorliebe heilen sollte, wieder bei dem Anblick des Brüsseler Ng,roli6 couvert, der prächtigen bedeckten Marktrotunde, in den Sinn; denn das Berliner Markt - Hallen-Project wird wohl dereinst der staunenden Nachwelt das Bild eines unerklärbarer Torso darbieten. Welch ein Gewühl von Blumen, Früchten, Gemüse, Wild, Geflügel und anderen Marktherrlichkeiten in der Rotunde, welche künstlerische Gruppirung der Gegenstände, die uns an Huysum's und Hondecoeter's Stillleben im Amsterdamer Museum erinnerte! Welche Sauberkeit, ja Eleganz in der Aufstellung! Ob wir Deutschen denn wirklich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/154>, abgerufen am 24.08.2024.