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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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eisesglatte Hochebene von Langres bei 14 Grad Kälte, Durch vortreffliche
Relais unterhielten die Generale Manteuffel und Werber eine beständige
Verbindung, welche den ersteren von dem Verlaufe der Kämpfe vor Belfort,
den letzteren vom Gange des Vormarsches der Südarmee genau unterrichteten.
In Folge der Nachrichten von der Lisaine wurde für das 2. und 7. Corps
eine Rechtsschwenkung gegen die Saone angeordnet, und schon am 19. gewährte
die Aufstellung bei Dampierre-Gray-Autrey die Möglichkeit, mit dem siegge-
krönten 14. Corps unmittelbare Verbindung herzustellen. General Manteuffel
faßte den Entschluß einer vollständigen Vernichtung des Feindes. Eine
solche war weder bei der Loire- noch bei der Nordarmee möglich gewesen, weil
die dortige geographische Situation dem Feinde nach jeder Richtung hin ein
weites Rückzugsland für seine Rückzugsbewegungen bot, so daß die gegen jene
Armeen eingeleiteten Operationen immer nur die Wirkungen gelungener
Frontangriffe erzielten und die feindlichen Heerschaaren sich Dank dem Massen¬
aufgebote und den vom Auslande gelieferten Waffen stets aufs Neue zu er¬
holen vermochten. Jetzt aber befand sich die französische Ostarmee gerade in
Folge ihres anfänglich weiteren Vordringens in einer derartigen Situation,
daß sie, den siegreichen Gegner dicht hinter sich, eine neue feindliche Armee
in der einen, die Grenze der neutralen Schweiz in der andern strategischen
Flanke hatte. In dem dazwischen liegenden nur 12 Luft-Meilen breiten
Raume liefen ihre Verbindungen mit Lyon, deren Unterbrechung bei dem
mangelhaften Zustand jener Armeen verderblich werden konnte. Um sie aus
dieser Lage zu degagiren, war nur das Garibaldi'sche Corps bei Dijon dis¬
ponibel. Unter solchen Umständen beschloß Manteuffel. sich zunächst nicht
mit Werber zu vereinigen, sondern, mit dem 2. und 7. Corps zwischen Dijon
und Besancon vorgehend, sich dem mehr als doppelt so starken Feinde vor¬
zulegen und ihm jeden Rückzug auf französischem Gebiete abzuschneiden. Diese
Operation mußte freilich zuletzt zu einer Aufstellung der deutschen Armee
führen mit dem Rücken gegen Lyon, also mit Verzichtleistung auf alle Ver¬
bindungen im strengen Sinne des Wortes. Die Lösung einer solchen Aufgabe stellte
die höchsten Anforderungen an die Leistungsfähigkeit der Führer und Truppen,
wie an die Gewandyeit der Verpflegungsbeamten und General v. Moltke
sprach sich damals S. M. dem Kaiser gegenüber dahin aus: "Die Operation
des General Manteuffel sei eine äußerst kühne und gewagte, welche aber zu
den größten Resultaten führen könne; falls er einen Enden erleiden sollte,
dürfe man ihn nicht tadeln; denn um große Erfolge zu erreichen, müsse
etwas gewagt werden." Das Glück war dem Kühnen hold!

Am 20. begannen die Bewegungen, welche enorme Marschleistungen ver¬
langten. Unwillkührlich erinnert man sich der Stelle aus Shakespeares
"Heinrich V-", wo der britische König dem französischen Wappenkönige zuruft:


eisesglatte Hochebene von Langres bei 14 Grad Kälte, Durch vortreffliche
Relais unterhielten die Generale Manteuffel und Werber eine beständige
Verbindung, welche den ersteren von dem Verlaufe der Kämpfe vor Belfort,
den letzteren vom Gange des Vormarsches der Südarmee genau unterrichteten.
In Folge der Nachrichten von der Lisaine wurde für das 2. und 7. Corps
eine Rechtsschwenkung gegen die Saone angeordnet, und schon am 19. gewährte
die Aufstellung bei Dampierre-Gray-Autrey die Möglichkeit, mit dem siegge-
krönten 14. Corps unmittelbare Verbindung herzustellen. General Manteuffel
faßte den Entschluß einer vollständigen Vernichtung des Feindes. Eine
solche war weder bei der Loire- noch bei der Nordarmee möglich gewesen, weil
die dortige geographische Situation dem Feinde nach jeder Richtung hin ein
weites Rückzugsland für seine Rückzugsbewegungen bot, so daß die gegen jene
Armeen eingeleiteten Operationen immer nur die Wirkungen gelungener
Frontangriffe erzielten und die feindlichen Heerschaaren sich Dank dem Massen¬
aufgebote und den vom Auslande gelieferten Waffen stets aufs Neue zu er¬
holen vermochten. Jetzt aber befand sich die französische Ostarmee gerade in
Folge ihres anfänglich weiteren Vordringens in einer derartigen Situation,
daß sie, den siegreichen Gegner dicht hinter sich, eine neue feindliche Armee
in der einen, die Grenze der neutralen Schweiz in der andern strategischen
Flanke hatte. In dem dazwischen liegenden nur 12 Luft-Meilen breiten
Raume liefen ihre Verbindungen mit Lyon, deren Unterbrechung bei dem
mangelhaften Zustand jener Armeen verderblich werden konnte. Um sie aus
dieser Lage zu degagiren, war nur das Garibaldi'sche Corps bei Dijon dis¬
ponibel. Unter solchen Umständen beschloß Manteuffel. sich zunächst nicht
mit Werber zu vereinigen, sondern, mit dem 2. und 7. Corps zwischen Dijon
und Besancon vorgehend, sich dem mehr als doppelt so starken Feinde vor¬
zulegen und ihm jeden Rückzug auf französischem Gebiete abzuschneiden. Diese
Operation mußte freilich zuletzt zu einer Aufstellung der deutschen Armee
führen mit dem Rücken gegen Lyon, also mit Verzichtleistung auf alle Ver¬
bindungen im strengen Sinne des Wortes. Die Lösung einer solchen Aufgabe stellte
die höchsten Anforderungen an die Leistungsfähigkeit der Führer und Truppen,
wie an die Gewandyeit der Verpflegungsbeamten und General v. Moltke
sprach sich damals S. M. dem Kaiser gegenüber dahin aus: „Die Operation
des General Manteuffel sei eine äußerst kühne und gewagte, welche aber zu
den größten Resultaten führen könne; falls er einen Enden erleiden sollte,
dürfe man ihn nicht tadeln; denn um große Erfolge zu erreichen, müsse
etwas gewagt werden." Das Glück war dem Kühnen hold!

Am 20. begannen die Bewegungen, welche enorme Marschleistungen ver¬
langten. Unwillkührlich erinnert man sich der Stelle aus Shakespeares
„Heinrich V-", wo der britische König dem französischen Wappenkönige zuruft:


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[0147] eisesglatte Hochebene von Langres bei 14 Grad Kälte, Durch vortreffliche Relais unterhielten die Generale Manteuffel und Werber eine beständige Verbindung, welche den ersteren von dem Verlaufe der Kämpfe vor Belfort, den letzteren vom Gange des Vormarsches der Südarmee genau unterrichteten. In Folge der Nachrichten von der Lisaine wurde für das 2. und 7. Corps eine Rechtsschwenkung gegen die Saone angeordnet, und schon am 19. gewährte die Aufstellung bei Dampierre-Gray-Autrey die Möglichkeit, mit dem siegge- krönten 14. Corps unmittelbare Verbindung herzustellen. General Manteuffel faßte den Entschluß einer vollständigen Vernichtung des Feindes. Eine solche war weder bei der Loire- noch bei der Nordarmee möglich gewesen, weil die dortige geographische Situation dem Feinde nach jeder Richtung hin ein weites Rückzugsland für seine Rückzugsbewegungen bot, so daß die gegen jene Armeen eingeleiteten Operationen immer nur die Wirkungen gelungener Frontangriffe erzielten und die feindlichen Heerschaaren sich Dank dem Massen¬ aufgebote und den vom Auslande gelieferten Waffen stets aufs Neue zu er¬ holen vermochten. Jetzt aber befand sich die französische Ostarmee gerade in Folge ihres anfänglich weiteren Vordringens in einer derartigen Situation, daß sie, den siegreichen Gegner dicht hinter sich, eine neue feindliche Armee in der einen, die Grenze der neutralen Schweiz in der andern strategischen Flanke hatte. In dem dazwischen liegenden nur 12 Luft-Meilen breiten Raume liefen ihre Verbindungen mit Lyon, deren Unterbrechung bei dem mangelhaften Zustand jener Armeen verderblich werden konnte. Um sie aus dieser Lage zu degagiren, war nur das Garibaldi'sche Corps bei Dijon dis¬ ponibel. Unter solchen Umständen beschloß Manteuffel. sich zunächst nicht mit Werber zu vereinigen, sondern, mit dem 2. und 7. Corps zwischen Dijon und Besancon vorgehend, sich dem mehr als doppelt so starken Feinde vor¬ zulegen und ihm jeden Rückzug auf französischem Gebiete abzuschneiden. Diese Operation mußte freilich zuletzt zu einer Aufstellung der deutschen Armee führen mit dem Rücken gegen Lyon, also mit Verzichtleistung auf alle Ver¬ bindungen im strengen Sinne des Wortes. Die Lösung einer solchen Aufgabe stellte die höchsten Anforderungen an die Leistungsfähigkeit der Führer und Truppen, wie an die Gewandyeit der Verpflegungsbeamten und General v. Moltke sprach sich damals S. M. dem Kaiser gegenüber dahin aus: „Die Operation des General Manteuffel sei eine äußerst kühne und gewagte, welche aber zu den größten Resultaten führen könne; falls er einen Enden erleiden sollte, dürfe man ihn nicht tadeln; denn um große Erfolge zu erreichen, müsse etwas gewagt werden." Das Glück war dem Kühnen hold! Am 20. begannen die Bewegungen, welche enorme Marschleistungen ver¬ langten. Unwillkührlich erinnert man sich der Stelle aus Shakespeares „Heinrich V-", wo der britische König dem französischen Wappenkönige zuruft:

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/147>, abgerufen am 23.06.2024.