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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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will. Wichtigeres zu thun haben kann, als eben die Sprichwörter, aus denen
es besteht, an ihren gehörigen Platz zu setzen. Aus der geharnischten Ab¬
wehr Wärter's gegen einige Kritiker auf Seite 27 der Vorrede geht hervor,
daß auch Andere das Probeheft seines "Hausschatzes für das deutsche Volk"
nicht für so unvergleichlich gehalten haben, wie er und die Schaar seiner
blinden Bewunderer. Wir haben unser Urtheil zurückgehalten und Herrn
Wärter Zeit gelassen, den sogenannten "innern Ausbau" des deutschen
Sprichwörter-Lexikons zu vollenden, um so mehr, da die Besprechung
dieses Werkes mit großen Schwierigkeiten verbunden ist. Während nämlich
jedes andere Buch, das der Oeffentlichkeit übergeben wird, einfach der
lobenden oder tadelnden Kritik anheimfällt, gilt jedes Urtheil über das deutsche
Sprichwörter-Lexikon für einen persönlichen Angriff aus den Verfasser,
der nicht etwa mit dem Beweis der Unzulänglichkeit des betreffenden Urtheils,
sondern mit Schmähungen des Recensenten und dem sentimentalen Hinweis
auf die Persönlichkeit und "die 40jährige Arbeit" des Herausgebers von diesem
selbst oder von einem seiner Parteigenossen beantwortet wird. Dies gibt uns
den Schlüssel zu dem Räthsel, daß ein solches ohne Plan begonnenes und
ohne Logik fortgesetztes Sammelwerk als "ein monumentales Nationalwerk"
gepriesen werden kann. Freilich, wenn der Werth eines Buches von der
Arbeitszeit, die der Verfasser daran gewandt, und von der Größe des Um¬
fanges bedingt würde, wäre es sicherlich unübertrefflich. Aber ein Maurer
kann Zeit seines Lebens mauern, ohne ein Architect zu werden, und ein
Buch kann noch soviel Bände stark sein,, ohne deshalb irgendwelchen Anspruch
auf wissenschaftliche Bedeutsamkeit zu haben. Das sogenannte deutsche Sprich¬
wörter-Lexikon ist gewachsen und gewachsen, aber trotz aller Gegenbehaup¬
tungen der ihm günstigen Recensenten unverändert so geblieben, wie es im
Anfang war. Obwohl der Verfasser auf Seite XIII in seiner Vorrede zum
1. Bande ausdrücklich sagt: "Als Grundsatz gilt, daß fremde Sprichwörter
nie im Text des Werkes selbst unter den deutschen mit fortlaufenden Nummern
stehen sollen", finden wir doch Bd. II Seite 600 unter Ur. 4 eine polnische
Redensart: "Er läuft herum wie mit der Wolfshaut um Weihnachten"; Bd.
II Seite 916 unter Ur. 167 ein venetianisches Sprichwort: "Wenn der Hunger
kommt ins Haus, so geht die Liebe zum Fenster hinaus", und Bd. II Seite
919 unter Ur. 14 ein tatarisches Sprichwort: "Wer ein paar Tage hat
hungern müssen, dem wird auch das Fleisch eines alten Pelikans weich
schmecken" als deutsche mit laufender Nummer!

Dadurch, daß die fremden Sprachen, aus denen "sinnverwandte" Sprich¬
wörter im Original mitgetheilt werden, von 6 auf 14 steigen, wird die Con-
fuston nur noch größer. Da kommen denn folgende "sinnverwandte" Stellen
vor: Bd. I Seite 1S19 unter Ur. 1262: "Das Geld zum Fenster hinaus-


will. Wichtigeres zu thun haben kann, als eben die Sprichwörter, aus denen
es besteht, an ihren gehörigen Platz zu setzen. Aus der geharnischten Ab¬
wehr Wärter's gegen einige Kritiker auf Seite 27 der Vorrede geht hervor,
daß auch Andere das Probeheft seines „Hausschatzes für das deutsche Volk"
nicht für so unvergleichlich gehalten haben, wie er und die Schaar seiner
blinden Bewunderer. Wir haben unser Urtheil zurückgehalten und Herrn
Wärter Zeit gelassen, den sogenannten „innern Ausbau" des deutschen
Sprichwörter-Lexikons zu vollenden, um so mehr, da die Besprechung
dieses Werkes mit großen Schwierigkeiten verbunden ist. Während nämlich
jedes andere Buch, das der Oeffentlichkeit übergeben wird, einfach der
lobenden oder tadelnden Kritik anheimfällt, gilt jedes Urtheil über das deutsche
Sprichwörter-Lexikon für einen persönlichen Angriff aus den Verfasser,
der nicht etwa mit dem Beweis der Unzulänglichkeit des betreffenden Urtheils,
sondern mit Schmähungen des Recensenten und dem sentimentalen Hinweis
auf die Persönlichkeit und „die 40jährige Arbeit" des Herausgebers von diesem
selbst oder von einem seiner Parteigenossen beantwortet wird. Dies gibt uns
den Schlüssel zu dem Räthsel, daß ein solches ohne Plan begonnenes und
ohne Logik fortgesetztes Sammelwerk als „ein monumentales Nationalwerk"
gepriesen werden kann. Freilich, wenn der Werth eines Buches von der
Arbeitszeit, die der Verfasser daran gewandt, und von der Größe des Um¬
fanges bedingt würde, wäre es sicherlich unübertrefflich. Aber ein Maurer
kann Zeit seines Lebens mauern, ohne ein Architect zu werden, und ein
Buch kann noch soviel Bände stark sein,, ohne deshalb irgendwelchen Anspruch
auf wissenschaftliche Bedeutsamkeit zu haben. Das sogenannte deutsche Sprich¬
wörter-Lexikon ist gewachsen und gewachsen, aber trotz aller Gegenbehaup¬
tungen der ihm günstigen Recensenten unverändert so geblieben, wie es im
Anfang war. Obwohl der Verfasser auf Seite XIII in seiner Vorrede zum
1. Bande ausdrücklich sagt: „Als Grundsatz gilt, daß fremde Sprichwörter
nie im Text des Werkes selbst unter den deutschen mit fortlaufenden Nummern
stehen sollen", finden wir doch Bd. II Seite 600 unter Ur. 4 eine polnische
Redensart: „Er läuft herum wie mit der Wolfshaut um Weihnachten"; Bd.
II Seite 916 unter Ur. 167 ein venetianisches Sprichwort: „Wenn der Hunger
kommt ins Haus, so geht die Liebe zum Fenster hinaus", und Bd. II Seite
919 unter Ur. 14 ein tatarisches Sprichwort: „Wer ein paar Tage hat
hungern müssen, dem wird auch das Fleisch eines alten Pelikans weich
schmecken" als deutsche mit laufender Nummer!

Dadurch, daß die fremden Sprachen, aus denen „sinnverwandte" Sprich¬
wörter im Original mitgetheilt werden, von 6 auf 14 steigen, wird die Con-
fuston nur noch größer. Da kommen denn folgende „sinnverwandte" Stellen
vor: Bd. I Seite 1S19 unter Ur. 1262: „Das Geld zum Fenster hinaus-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/116>, abgerufen am 24.08.2024.