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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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hundert Reclamen in den nächsten vier Wochen wieder schlimm. Abgesehen
von dem, was die Regierungen und Behörden hier thun könnten und nicht
lassen sollten -- ich lasse es ungesagt, da man nicht gern nach der Polize i
ruft -- würde schon viel geholfen sein, wenn die Presse, welche die Haupt-
sörderungsmittel dieses .ebenso dreisten als gemeinschädlichem Humbugs liefert
und sich recht eigentlich zum Gespann vor seine Triumphwagen hergiebt, sich
in Zukunft solcher schmählichen Dienste schämen und sie einstellen wollte.

Sollte in Deutschland, welches seit einiger Zeit thut, als ob es die Sitt¬
lichkeit mit Löffeln gegessen hätte, nicht möglich sein, was in England möglich
war. wo seit Jahren schon für alle Blätter, die für anständig gehalten sein
wollen, als unverbrüchliche Regel feststeht, sich um keinen Preis auf Em¬
pfehlung von Geheimmitteln einzulassen?

Ich zweifle. Die Besitzer jener großen Blätter nehmen zwar täglich
scheffelweise Geld für andere harmlose und nothwendige Inserate ein, bauen
sich prachtvolle Villen und leben wie Millionäre. Sie gehören zu den Stimm¬
führern der Gerechtigkeit, zu den Altarkerzen im Tempel des Fortschritts und
der Aufklärung. Aber eine Zumuthung, wie die in obiger Frage liegende --
und einstimmige aus tiefster Tiefe des Geldbeutels quellende Entrüstung würde
ihr begegnen. Wo sollten wir hin, was wären wir, wenn etwas der Art zu
Stande käme! Und stecken nicht sogar amtliche Blätter solch unsauberes Geld
mit einem behaglichen Non ^ ein? Und selbst wenn wir wollten, so könnten
wir nicht; denn zwischen uns und den meisten Geheimmittel-Fabrikanten, so¬
wie den Generalen der Annoncen-Expeditionen bestehen Verträge, die uns ver¬
pflichten, alle ihre Reclamen unbesehen und ausnahmslos in die Druckerei zu
geben, alle Angriffe und Warnungen aber dem schweigsamen Papierkorbe zu
überweisen.

Es ist traurig, sehen zu müssen, daß dieser Sorte von Reclamen für jetzt
kein Ende zu machen ist. wenigstens nicht auf dem bezeichneten Wege. Viel¬
leicht thuts der Schulmeister, der uns liest, auf diese Anregung hin. Er soll
ja fo viel gethan, Oesterreich und die Franzosen besiegt haben, warum sich
nicht auch an die Großmächte wagen, welche die Reclame geschaffen hat?
Vielleicht aber bleibt doch zuletzt nichts übrig, als nach der Polizei zu rufen
und sie auf Paragraph 147 der deutschen Gewerbeordnung sowie auf Para¬
graph 263 und 367 des Strafgesetzbuchs für das deutsche Reich aufmerksam zu
machen.

Nicht weniger unerfreulich ist die Beobachtung, die uns zeigt, daß die
Zeitungen auch der hohen Finanz, dem Gründerthum als Vogelheerde dienen,
wo sie Gimpel und anderes einfältiges und leichtsinniges Gesieder mit der
Lockspeise der Reclame fangen.

Bekannt ist, wie in den letzten Jahren ganze Columnen in unsern großen


hundert Reclamen in den nächsten vier Wochen wieder schlimm. Abgesehen
von dem, was die Regierungen und Behörden hier thun könnten und nicht
lassen sollten — ich lasse es ungesagt, da man nicht gern nach der Polize i
ruft — würde schon viel geholfen sein, wenn die Presse, welche die Haupt-
sörderungsmittel dieses .ebenso dreisten als gemeinschädlichem Humbugs liefert
und sich recht eigentlich zum Gespann vor seine Triumphwagen hergiebt, sich
in Zukunft solcher schmählichen Dienste schämen und sie einstellen wollte.

Sollte in Deutschland, welches seit einiger Zeit thut, als ob es die Sitt¬
lichkeit mit Löffeln gegessen hätte, nicht möglich sein, was in England möglich
war. wo seit Jahren schon für alle Blätter, die für anständig gehalten sein
wollen, als unverbrüchliche Regel feststeht, sich um keinen Preis auf Em¬
pfehlung von Geheimmitteln einzulassen?

Ich zweifle. Die Besitzer jener großen Blätter nehmen zwar täglich
scheffelweise Geld für andere harmlose und nothwendige Inserate ein, bauen
sich prachtvolle Villen und leben wie Millionäre. Sie gehören zu den Stimm¬
führern der Gerechtigkeit, zu den Altarkerzen im Tempel des Fortschritts und
der Aufklärung. Aber eine Zumuthung, wie die in obiger Frage liegende —
und einstimmige aus tiefster Tiefe des Geldbeutels quellende Entrüstung würde
ihr begegnen. Wo sollten wir hin, was wären wir, wenn etwas der Art zu
Stande käme! Und stecken nicht sogar amtliche Blätter solch unsauberes Geld
mit einem behaglichen Non ^ ein? Und selbst wenn wir wollten, so könnten
wir nicht; denn zwischen uns und den meisten Geheimmittel-Fabrikanten, so¬
wie den Generalen der Annoncen-Expeditionen bestehen Verträge, die uns ver¬
pflichten, alle ihre Reclamen unbesehen und ausnahmslos in die Druckerei zu
geben, alle Angriffe und Warnungen aber dem schweigsamen Papierkorbe zu
überweisen.

Es ist traurig, sehen zu müssen, daß dieser Sorte von Reclamen für jetzt
kein Ende zu machen ist. wenigstens nicht auf dem bezeichneten Wege. Viel¬
leicht thuts der Schulmeister, der uns liest, auf diese Anregung hin. Er soll
ja fo viel gethan, Oesterreich und die Franzosen besiegt haben, warum sich
nicht auch an die Großmächte wagen, welche die Reclame geschaffen hat?
Vielleicht aber bleibt doch zuletzt nichts übrig, als nach der Polizei zu rufen
und sie auf Paragraph 147 der deutschen Gewerbeordnung sowie auf Para¬
graph 263 und 367 des Strafgesetzbuchs für das deutsche Reich aufmerksam zu
machen.

Nicht weniger unerfreulich ist die Beobachtung, die uns zeigt, daß die
Zeitungen auch der hohen Finanz, dem Gründerthum als Vogelheerde dienen,
wo sie Gimpel und anderes einfältiges und leichtsinniges Gesieder mit der
Lockspeise der Reclame fangen.

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[0109] hundert Reclamen in den nächsten vier Wochen wieder schlimm. Abgesehen von dem, was die Regierungen und Behörden hier thun könnten und nicht lassen sollten — ich lasse es ungesagt, da man nicht gern nach der Polize i ruft — würde schon viel geholfen sein, wenn die Presse, welche die Haupt- sörderungsmittel dieses .ebenso dreisten als gemeinschädlichem Humbugs liefert und sich recht eigentlich zum Gespann vor seine Triumphwagen hergiebt, sich in Zukunft solcher schmählichen Dienste schämen und sie einstellen wollte. Sollte in Deutschland, welches seit einiger Zeit thut, als ob es die Sitt¬ lichkeit mit Löffeln gegessen hätte, nicht möglich sein, was in England möglich war. wo seit Jahren schon für alle Blätter, die für anständig gehalten sein wollen, als unverbrüchliche Regel feststeht, sich um keinen Preis auf Em¬ pfehlung von Geheimmitteln einzulassen? Ich zweifle. Die Besitzer jener großen Blätter nehmen zwar täglich scheffelweise Geld für andere harmlose und nothwendige Inserate ein, bauen sich prachtvolle Villen und leben wie Millionäre. Sie gehören zu den Stimm¬ führern der Gerechtigkeit, zu den Altarkerzen im Tempel des Fortschritts und der Aufklärung. Aber eine Zumuthung, wie die in obiger Frage liegende — und einstimmige aus tiefster Tiefe des Geldbeutels quellende Entrüstung würde ihr begegnen. Wo sollten wir hin, was wären wir, wenn etwas der Art zu Stande käme! Und stecken nicht sogar amtliche Blätter solch unsauberes Geld mit einem behaglichen Non ^ ein? Und selbst wenn wir wollten, so könnten wir nicht; denn zwischen uns und den meisten Geheimmittel-Fabrikanten, so¬ wie den Generalen der Annoncen-Expeditionen bestehen Verträge, die uns ver¬ pflichten, alle ihre Reclamen unbesehen und ausnahmslos in die Druckerei zu geben, alle Angriffe und Warnungen aber dem schweigsamen Papierkorbe zu überweisen. Es ist traurig, sehen zu müssen, daß dieser Sorte von Reclamen für jetzt kein Ende zu machen ist. wenigstens nicht auf dem bezeichneten Wege. Viel¬ leicht thuts der Schulmeister, der uns liest, auf diese Anregung hin. Er soll ja fo viel gethan, Oesterreich und die Franzosen besiegt haben, warum sich nicht auch an die Großmächte wagen, welche die Reclame geschaffen hat? Vielleicht aber bleibt doch zuletzt nichts übrig, als nach der Polizei zu rufen und sie auf Paragraph 147 der deutschen Gewerbeordnung sowie auf Para¬ graph 263 und 367 des Strafgesetzbuchs für das deutsche Reich aufmerksam zu machen. Nicht weniger unerfreulich ist die Beobachtung, die uns zeigt, daß die Zeitungen auch der hohen Finanz, dem Gründerthum als Vogelheerde dienen, wo sie Gimpel und anderes einfältiges und leichtsinniges Gesieder mit der Lockspeise der Reclame fangen. Bekannt ist, wie in den letzten Jahren ganze Columnen in unsern großen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/109>, abgerufen am 25.08.2024.