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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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großer Stärke aus dem Gesammt-Heere und zwar derart, daß die in der Hei¬
mat!) gebliebenen Truppen aufhörten, eine Streitmacht zu sein und zu Depots
der Feldregimenter herabsanken, als welche sie unfähig gewesen wären, Frank¬
reich zu schützen. -- Dies war ein ganz abnormer Zustand, dessen Gefährlich¬
keit sich auch der Kaiser nicht verhehlte. Er beschloß deshalb, das jährliche
Contingent auf 100,000 Mann zu bringen und aus einem Theil desselben
eine Reserve zu schaffen, indem er eine Quote der Rekruten flüchtig aus-
ererciren ließ, dann aber wieder co"Z6 rsiwuvonMg in die Heimath sandte,
um sie im gegebenen Fall als "domines kalts et Lvläats exp6riwelit6s" ein¬
berufen zu können.*) Diese halbe Maßregel war Alles, was Napoleon III.
vom gesetzgebenden Körper zur Verbesserung der so sehr mangelhaften Wehr-
verfafsung erreichen konnte, von deren Schäden freilich laut nicht geredet wer¬
den durfte.

Inzwischen war noch während des Krieges eine sehr einflußreiche und
tiefgreifende Maßregel in Bezug auf die Wehrpflichtigkeit getroffen worden,
welche, wie wir bereits (vergl. Seite 42) angedeutet, schon mehrfach angeregt
worden war. Durch Gesetz vom 26. April 1855 hatte man nämlich
dem Remplacement die Exoneration substituirt und zugleich die "primos
reiisÄAeweiit" und die Armee-Dotationscasse geschaffen.

Bis zu dieser Zeit galten beständig die Einrichtungen von 1832.
Jeder Kriegsunlustige, den das Loos zum Dienen bestimmte, mußte selbst für
den Stellvertreter sorgen. Die Regierung hatte indessen zur Erleichterung
des Geschäfts besondere Gesellschaften concessionirt, welche gegen feste Spesen
die Vermittelung zwischen dem kriegsunlustigen bourZöois und dem kriegs¬
lustiger oder geldbedürftigen Freigeloosten übernahm. Der Preis der Stell¬
vertretung blieb dabei dem freien Uebereinkommen überlassen und regelte sich
ganz börsenmäßig nach Angebot und Nachfrage. -- Die auf diese Weise ge¬
stellten Remplacements bildeten 28 Prozent der Armee und hatten sich wäh¬
rend des Krieges durchaus als das schlechtere Element derselben erwiesen. Es
galt, sie fortzuschaffen, und es galt zugleich, Geldmittel zu gewinnen, um sich
ein gutes Unterosfiziercorps und "alte Soldaten" zu erhalten, dies Idol der
Franzosen, nach welchem ja auch die Generale aus der Krim so oft und so
dringend verlangt. Wie war das zu machen? Sollte man die allgemeine
Wehrpflicht proclamiren? Das erschien durchaus unvereinbar mit den Sitten
und Anschauungen der Franzosen. Sollte man das Rengagement, d. h. die
erneute Kapitulation ausgedienter Soldaten zum Hauptmittel machen? Das



I^s vowtö as ig, vllaMIs! 1,68 Borges wiliwlres as Is, ?r!woe Kli 1870. ?Ä,ris.
1872. -- Diese Schrift, deren Vorrede von London (2. Mai 72) datirt ist, gilt allgemein als
wenn nicht von Napoleon III. geschrieben, so doch von ihm inspirirt und werden wir noch
mehrfach auf diesen Versuch einer militärischen Apologie des Kaisers zurückzukommen haben.

großer Stärke aus dem Gesammt-Heere und zwar derart, daß die in der Hei¬
mat!) gebliebenen Truppen aufhörten, eine Streitmacht zu sein und zu Depots
der Feldregimenter herabsanken, als welche sie unfähig gewesen wären, Frank¬
reich zu schützen. — Dies war ein ganz abnormer Zustand, dessen Gefährlich¬
keit sich auch der Kaiser nicht verhehlte. Er beschloß deshalb, das jährliche
Contingent auf 100,000 Mann zu bringen und aus einem Theil desselben
eine Reserve zu schaffen, indem er eine Quote der Rekruten flüchtig aus-
ererciren ließ, dann aber wieder co»Z6 rsiwuvonMg in die Heimath sandte,
um sie im gegebenen Fall als „domines kalts et Lvläats exp6riwelit6s" ein¬
berufen zu können.*) Diese halbe Maßregel war Alles, was Napoleon III.
vom gesetzgebenden Körper zur Verbesserung der so sehr mangelhaften Wehr-
verfafsung erreichen konnte, von deren Schäden freilich laut nicht geredet wer¬
den durfte.

Inzwischen war noch während des Krieges eine sehr einflußreiche und
tiefgreifende Maßregel in Bezug auf die Wehrpflichtigkeit getroffen worden,
welche, wie wir bereits (vergl. Seite 42) angedeutet, schon mehrfach angeregt
worden war. Durch Gesetz vom 26. April 1855 hatte man nämlich
dem Remplacement die Exoneration substituirt und zugleich die „primos
reiisÄAeweiit" und die Armee-Dotationscasse geschaffen.

Bis zu dieser Zeit galten beständig die Einrichtungen von 1832.
Jeder Kriegsunlustige, den das Loos zum Dienen bestimmte, mußte selbst für
den Stellvertreter sorgen. Die Regierung hatte indessen zur Erleichterung
des Geschäfts besondere Gesellschaften concessionirt, welche gegen feste Spesen
die Vermittelung zwischen dem kriegsunlustigen bourZöois und dem kriegs¬
lustiger oder geldbedürftigen Freigeloosten übernahm. Der Preis der Stell¬
vertretung blieb dabei dem freien Uebereinkommen überlassen und regelte sich
ganz börsenmäßig nach Angebot und Nachfrage. — Die auf diese Weise ge¬
stellten Remplacements bildeten 28 Prozent der Armee und hatten sich wäh¬
rend des Krieges durchaus als das schlechtere Element derselben erwiesen. Es
galt, sie fortzuschaffen, und es galt zugleich, Geldmittel zu gewinnen, um sich
ein gutes Unterosfiziercorps und „alte Soldaten" zu erhalten, dies Idol der
Franzosen, nach welchem ja auch die Generale aus der Krim so oft und so
dringend verlangt. Wie war das zu machen? Sollte man die allgemeine
Wehrpflicht proclamiren? Das erschien durchaus unvereinbar mit den Sitten
und Anschauungen der Franzosen. Sollte man das Rengagement, d. h. die
erneute Kapitulation ausgedienter Soldaten zum Hauptmittel machen? Das



I^s vowtö as ig, vllaMIs! 1,68 Borges wiliwlres as Is, ?r!woe Kli 1870. ?Ä,ris.
1872. — Diese Schrift, deren Vorrede von London (2. Mai 72) datirt ist, gilt allgemein als
wenn nicht von Napoleon III. geschrieben, so doch von ihm inspirirt und werden wir noch
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[0063] großer Stärke aus dem Gesammt-Heere und zwar derart, daß die in der Hei¬ mat!) gebliebenen Truppen aufhörten, eine Streitmacht zu sein und zu Depots der Feldregimenter herabsanken, als welche sie unfähig gewesen wären, Frank¬ reich zu schützen. — Dies war ein ganz abnormer Zustand, dessen Gefährlich¬ keit sich auch der Kaiser nicht verhehlte. Er beschloß deshalb, das jährliche Contingent auf 100,000 Mann zu bringen und aus einem Theil desselben eine Reserve zu schaffen, indem er eine Quote der Rekruten flüchtig aus- ererciren ließ, dann aber wieder co»Z6 rsiwuvonMg in die Heimath sandte, um sie im gegebenen Fall als „domines kalts et Lvläats exp6riwelit6s" ein¬ berufen zu können.*) Diese halbe Maßregel war Alles, was Napoleon III. vom gesetzgebenden Körper zur Verbesserung der so sehr mangelhaften Wehr- verfafsung erreichen konnte, von deren Schäden freilich laut nicht geredet wer¬ den durfte. Inzwischen war noch während des Krieges eine sehr einflußreiche und tiefgreifende Maßregel in Bezug auf die Wehrpflichtigkeit getroffen worden, welche, wie wir bereits (vergl. Seite 42) angedeutet, schon mehrfach angeregt worden war. Durch Gesetz vom 26. April 1855 hatte man nämlich dem Remplacement die Exoneration substituirt und zugleich die „primos reiisÄAeweiit" und die Armee-Dotationscasse geschaffen. Bis zu dieser Zeit galten beständig die Einrichtungen von 1832. Jeder Kriegsunlustige, den das Loos zum Dienen bestimmte, mußte selbst für den Stellvertreter sorgen. Die Regierung hatte indessen zur Erleichterung des Geschäfts besondere Gesellschaften concessionirt, welche gegen feste Spesen die Vermittelung zwischen dem kriegsunlustigen bourZöois und dem kriegs¬ lustiger oder geldbedürftigen Freigeloosten übernahm. Der Preis der Stell¬ vertretung blieb dabei dem freien Uebereinkommen überlassen und regelte sich ganz börsenmäßig nach Angebot und Nachfrage. — Die auf diese Weise ge¬ stellten Remplacements bildeten 28 Prozent der Armee und hatten sich wäh¬ rend des Krieges durchaus als das schlechtere Element derselben erwiesen. Es galt, sie fortzuschaffen, und es galt zugleich, Geldmittel zu gewinnen, um sich ein gutes Unterosfiziercorps und „alte Soldaten" zu erhalten, dies Idol der Franzosen, nach welchem ja auch die Generale aus der Krim so oft und so dringend verlangt. Wie war das zu machen? Sollte man die allgemeine Wehrpflicht proclamiren? Das erschien durchaus unvereinbar mit den Sitten und Anschauungen der Franzosen. Sollte man das Rengagement, d. h. die erneute Kapitulation ausgedienter Soldaten zum Hauptmittel machen? Das I^s vowtö as ig, vllaMIs! 1,68 Borges wiliwlres as Is, ?r!woe Kli 1870. ?Ä,ris. 1872. — Diese Schrift, deren Vorrede von London (2. Mai 72) datirt ist, gilt allgemein als wenn nicht von Napoleon III. geschrieben, so doch von ihm inspirirt und werden wir noch mehrfach auf diesen Versuch einer militärischen Apologie des Kaisers zurückzukommen haben.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/63>, abgerufen am 22.07.2024.