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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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mehr ist dies der Fall durch die selbständige Stellung der einzelnen Minister
in ihren Verwaltungszweigen. Eine Maßregel mag für die Gesammtpolitik
noch so wichtig sein, der Ministerpräsident hat kaum ein Mittel, den betreffen¬
den Minister zu ihrer Inangriffnahme zu nöthigen, als den sehr umständlichen
und überdies nicht sehr wirksamen Weg der collegialen Beschlußfassung. --

Wenn wir nun zugeben wollen, daß eine durchgreifende Reform der preu¬
ßischen Ministerialverfassung am besten geeignet wäre, dem Reichskanzler und
Ministerpräsidenten seine Doppellast erträglich zu machen, so können wir uns
doch sehr wohl auch einen anderen Weg denken. Und es ist sehr die Frage,
ob Fürst Bismarck nicht diesen andern Weg als den jedenfalls leichter zu¬
gänglichen zunächst im Auge hat.

Jene Stimmen, die wir erwähnten, vergessen mit ihren Citaten aus
Reden, welche der einstige Bundeskanzler im norddeutschen Reichstag gehalten,
daß das deutsche Reich doch nicht identisch ist mit dem norddeutschen Bund
der Reichskanzler nicht identisch mit dem ehemaligen Bundeskanzler. Die be¬
treffenden Verfassungsbestimmungen sind ziemlich gleichlautend, aber die Be¬
dingungen und Erfordernisse der beiden Staatsgebilde sind in dem Grade an¬
dere, als sie verschieden sind an Umfang und an Bedeutung der Glieder, in
denen sie bestehen. Im norddeutschen Bund war Preußen der einzige große
und zwar unverhältnißmäßig große Staat. Hier konnte man die Bundes-
functionen ganz abhängig denken von den Einzelstaaten und von dem größten
darunter. Die Reichsfunctionen müssen selbständig gedacht werden, und da¬
nach müssen die Behörden eingerichtet und betrachtet werden. Der norddeutsche
Bund hatte nur ein Präsidium, das Reich hat einen Kaiser. Und wenn dies
nur ein Namensunterschied zu sein scheint, vielleicht nur als solcher von Anfang
gedacht war, so knüpft sich an den Namen doch mit Nothwendigkeit, weil sie
in der Natur der Verhältnisse liegt, die Selbständigkeit der Reichssouveränität.
Der Reichskanzler ist eine kaiserliche Behörde, ernannt vom -Kaiser zur Aus¬
übung der Reichssouveränität, nicht mehr zur Ausübung einer den Einzel¬
staaten und insbesondere dem preußischen Staat, so zu sagen, nur anhängen¬
den Function. Man kann die Sache also jetzt umkehren und sagen: die kai¬
serliche Behörde muß ganz selbständig hingestellt werden in ihrem Geschäfts¬
kreis von allen preußischen Staatsbehörden. Man kann sogar noch weiter
gehen und aus dem Umstand, daß der König von Preußen als deutscher
Kaiser verpflichtet ist, die Kraft seines Staats vorzugsweise dem Reich zu
widmen, die Forderung herleiten, daß den kaiserlichen Behörden den könig¬
lichen gegenüber ein Requisitionsrecht zustehe.

Das Kriegsministerium ist seiner Natur nach keine preußische Behörde
mehr; es wird also als Zweig der kaiserlichen Verwaltung unter den Reichs¬
kanzler treten. Wenn dann das Reichskanzleramt noch durch einen dauernden


Grenzboten 1872. IV. 65 -

mehr ist dies der Fall durch die selbständige Stellung der einzelnen Minister
in ihren Verwaltungszweigen. Eine Maßregel mag für die Gesammtpolitik
noch so wichtig sein, der Ministerpräsident hat kaum ein Mittel, den betreffen¬
den Minister zu ihrer Inangriffnahme zu nöthigen, als den sehr umständlichen
und überdies nicht sehr wirksamen Weg der collegialen Beschlußfassung. —

Wenn wir nun zugeben wollen, daß eine durchgreifende Reform der preu¬
ßischen Ministerialverfassung am besten geeignet wäre, dem Reichskanzler und
Ministerpräsidenten seine Doppellast erträglich zu machen, so können wir uns
doch sehr wohl auch einen anderen Weg denken. Und es ist sehr die Frage,
ob Fürst Bismarck nicht diesen andern Weg als den jedenfalls leichter zu¬
gänglichen zunächst im Auge hat.

Jene Stimmen, die wir erwähnten, vergessen mit ihren Citaten aus
Reden, welche der einstige Bundeskanzler im norddeutschen Reichstag gehalten,
daß das deutsche Reich doch nicht identisch ist mit dem norddeutschen Bund
der Reichskanzler nicht identisch mit dem ehemaligen Bundeskanzler. Die be¬
treffenden Verfassungsbestimmungen sind ziemlich gleichlautend, aber die Be¬
dingungen und Erfordernisse der beiden Staatsgebilde sind in dem Grade an¬
dere, als sie verschieden sind an Umfang und an Bedeutung der Glieder, in
denen sie bestehen. Im norddeutschen Bund war Preußen der einzige große
und zwar unverhältnißmäßig große Staat. Hier konnte man die Bundes-
functionen ganz abhängig denken von den Einzelstaaten und von dem größten
darunter. Die Reichsfunctionen müssen selbständig gedacht werden, und da¬
nach müssen die Behörden eingerichtet und betrachtet werden. Der norddeutsche
Bund hatte nur ein Präsidium, das Reich hat einen Kaiser. Und wenn dies
nur ein Namensunterschied zu sein scheint, vielleicht nur als solcher von Anfang
gedacht war, so knüpft sich an den Namen doch mit Nothwendigkeit, weil sie
in der Natur der Verhältnisse liegt, die Selbständigkeit der Reichssouveränität.
Der Reichskanzler ist eine kaiserliche Behörde, ernannt vom -Kaiser zur Aus¬
übung der Reichssouveränität, nicht mehr zur Ausübung einer den Einzel¬
staaten und insbesondere dem preußischen Staat, so zu sagen, nur anhängen¬
den Function. Man kann die Sache also jetzt umkehren und sagen: die kai¬
serliche Behörde muß ganz selbständig hingestellt werden in ihrem Geschäfts¬
kreis von allen preußischen Staatsbehörden. Man kann sogar noch weiter
gehen und aus dem Umstand, daß der König von Preußen als deutscher
Kaiser verpflichtet ist, die Kraft seines Staats vorzugsweise dem Reich zu
widmen, die Forderung herleiten, daß den kaiserlichen Behörden den könig¬
lichen gegenüber ein Requisitionsrecht zustehe.

Das Kriegsministerium ist seiner Natur nach keine preußische Behörde
mehr; es wird also als Zweig der kaiserlichen Verwaltung unter den Reichs¬
kanzler treten. Wenn dann das Reichskanzleramt noch durch einen dauernden


Grenzboten 1872. IV. 65 -
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/521>, abgerufen am 30.06.2024.