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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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nicht bonapartistischen Heerführern war immerhin ein Gewinn, wenn auch
andererseits der Prinz-Präsident mit der Socialdemocratie ebenfalls nicht mehr
auf gutem Fuße stand. Nicht nur diese nämlich, sondern überhaupt die Linke
lebte unter der beständigen, sehr gerechtfertigten Angst vor einem Staats¬
streiche, und der Tod des Marschalls Bugeaud, des entschlossensten und ge-
fürchtetsten Gegners jedes Aufruhrs, gab den Radicalen den Muth, sich jenes
Atys durch einen Aufstandsversuch zu entledigen. Ihre Blätter erklärten am
13. Juni den Präsidenten und das Ministerium als außerhalb der Ver¬
fassung, forderten die Nationalgarde auf, sich zu erheben und "die Brüder im
Heer, eingedenk zu sein, daß sie Bürger und daß ihre erste Pflicht darin be¬
stehe, die Verfassung zu vertheidigen." Unter Führung ihres Obersten For-
restier, sowie Ledru Rollin's, Felix Pyat's und der Unteroffiziere Boichot und
Rattier begann die Artillerie der Nationalgarde Barrikaden zu bauen. Der
Aufstand mißlang indeß; die Truppen standen zur Regierung; "gemäßigt ge¬
sinnte" Abtheilungen der Infanterie der Nationalgarde zerstörten die radicalen
Druckereien und ihre Artillerie wurde von der Negierung aufgelöst. Auch in
Lyon, wohin die falsche Nachricht vom Gelingen der Empörung gelangt war,
blieben die Truppen gegenüber einer wilden Emeute der Regierung treu.

Diese Ereignisse mußten Louis Napoleon darauf aufmerksam machen,
wie sehr er für seine Zwecke der Armee bedürfe, und er begann nun, sich
in jeder Weise und zwar keineswegs erfolglos um die Soldatengunst zu be¬
werben, wobei ihm sein Name natürlich der förderlichste Helfer war. Er
begriff zugleich, daß er die Armee am besten auf seine Seite ziehen werde,
wenn er offen Farbe bekenne und flotten Schrittes lossteuere auf den Kaiser¬
thron. In diesem Sinne wechselte er am 31. Oetober sein Ministerium; an
Stelle der Männer von selbstständiger Bedeutung wählte er gefügige Neulinge.

Das Kriegsministerium übernahm dabei aus den Händen des Generals
Rulhieres der General Hautpoul, und unter diesem Minister kam ein Vor¬
schlag zu wiederholter Debatte, der für die Wehrpflichtsverhältnisse
Frankreichs von großer Bedeutung war, der Vorschlag, daß der
Staat die Beschaffung der Stellvertreter übernehmen solle.
Man war in militärischen Kreisen dieser Idee aus leicht begreiflichen Grün¬
den sehr hold, und schon ein Jahr früher hatte sie in einem Amendement des
Generals Lamoriciere ihren Ausdruck gefunden, die Republikaner jedoch hatten
mit Recht die Proposition abgelehnt, da sie der Gleichheit widerstrebe und
eine Art Kopfsteuer auf alle 20jährigen Franzosen lege, die sie entweder be¬
zahlen -- oder dienen müßten. Jetzt trat auch der Minister Hautpoul gegen
das Project auf und fügte jenen Argumenten noch den sehr gewichtigen Gegen¬
grund hinzu, daß wenn man einmal eine definitive Befreiung vom Dienst für
eine dem Staat zu zahlende Summe gestattet habe, es sehr schwer halten


nicht bonapartistischen Heerführern war immerhin ein Gewinn, wenn auch
andererseits der Prinz-Präsident mit der Socialdemocratie ebenfalls nicht mehr
auf gutem Fuße stand. Nicht nur diese nämlich, sondern überhaupt die Linke
lebte unter der beständigen, sehr gerechtfertigten Angst vor einem Staats¬
streiche, und der Tod des Marschalls Bugeaud, des entschlossensten und ge-
fürchtetsten Gegners jedes Aufruhrs, gab den Radicalen den Muth, sich jenes
Atys durch einen Aufstandsversuch zu entledigen. Ihre Blätter erklärten am
13. Juni den Präsidenten und das Ministerium als außerhalb der Ver¬
fassung, forderten die Nationalgarde auf, sich zu erheben und „die Brüder im
Heer, eingedenk zu sein, daß sie Bürger und daß ihre erste Pflicht darin be¬
stehe, die Verfassung zu vertheidigen." Unter Führung ihres Obersten For-
restier, sowie Ledru Rollin's, Felix Pyat's und der Unteroffiziere Boichot und
Rattier begann die Artillerie der Nationalgarde Barrikaden zu bauen. Der
Aufstand mißlang indeß; die Truppen standen zur Regierung; „gemäßigt ge¬
sinnte" Abtheilungen der Infanterie der Nationalgarde zerstörten die radicalen
Druckereien und ihre Artillerie wurde von der Negierung aufgelöst. Auch in
Lyon, wohin die falsche Nachricht vom Gelingen der Empörung gelangt war,
blieben die Truppen gegenüber einer wilden Emeute der Regierung treu.

Diese Ereignisse mußten Louis Napoleon darauf aufmerksam machen,
wie sehr er für seine Zwecke der Armee bedürfe, und er begann nun, sich
in jeder Weise und zwar keineswegs erfolglos um die Soldatengunst zu be¬
werben, wobei ihm sein Name natürlich der förderlichste Helfer war. Er
begriff zugleich, daß er die Armee am besten auf seine Seite ziehen werde,
wenn er offen Farbe bekenne und flotten Schrittes lossteuere auf den Kaiser¬
thron. In diesem Sinne wechselte er am 31. Oetober sein Ministerium; an
Stelle der Männer von selbstständiger Bedeutung wählte er gefügige Neulinge.

Das Kriegsministerium übernahm dabei aus den Händen des Generals
Rulhieres der General Hautpoul, und unter diesem Minister kam ein Vor¬
schlag zu wiederholter Debatte, der für die Wehrpflichtsverhältnisse
Frankreichs von großer Bedeutung war, der Vorschlag, daß der
Staat die Beschaffung der Stellvertreter übernehmen solle.
Man war in militärischen Kreisen dieser Idee aus leicht begreiflichen Grün¬
den sehr hold, und schon ein Jahr früher hatte sie in einem Amendement des
Generals Lamoriciere ihren Ausdruck gefunden, die Republikaner jedoch hatten
mit Recht die Proposition abgelehnt, da sie der Gleichheit widerstrebe und
eine Art Kopfsteuer auf alle 20jährigen Franzosen lege, die sie entweder be¬
zahlen — oder dienen müßten. Jetzt trat auch der Minister Hautpoul gegen
das Project auf und fügte jenen Argumenten noch den sehr gewichtigen Gegen¬
grund hinzu, daß wenn man einmal eine definitive Befreiung vom Dienst für
eine dem Staat zu zahlende Summe gestattet habe, es sehr schwer halten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/50>, abgerufen am 30.06.2024.