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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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genommen worden sind, so daß selbst Organe, die sonst durch klares Urtheil
ausgezeichnet sind, nur Ausdrücke des Mißmuths gefunden haben. Worauf
bezieht sich aber eigentlich die Enttäuschung? Daß bei der veränderten Stim¬
mung eines Theiles der Herren die Ernennungen hinreichen, der Kreisordnung
die Majorität zu verschaffen, darüber kann kein ernster Zweifel aufkommen.
Der Mißmuth hat also keinen Gegenstand als die Voraussetzung, daß eine
Reform des Herrenhauses aufgegeben sei, weil, um diese durchzusetzen, die
Zahl der Ernennungen allerdings nicht ausreicht. Allein -- und wir haben
dies schon an dieser Stelle angedeutet -- die Reform des Herrenhauses ist
eine so große und eingreifende Maßregel, ihre Folgen für die preußische und
selbst für die Verfassung des deutschen Reiches sind so unverkennbar, daß eine
solche Maßregel ohne die Gegenwart des Ministerpräsidenten und Reichskanzlers
höchstens im Allgemeinen beschlossen werden kann. Die Berufung von Pairs
in so großer Zahl, um die Annahme der Herrenhausreform durch dieses Haus
sicher zu stellen, setzt aber nicht nur den Beschluß jener Reform voraus, son¬
dern auch die Annahme eines bestimmten Planes zur Umwandlung der preu¬
ßischen Verfassung. Wie ist es denkbar, daß ein solcher Plan angenommen
worden sei in Abwesenheit des Fürsten Bismarck, und wie kann Jemand, der
etwas ruhige Ueberlegung besitzt, sich wundern, daß man nicht eine große
Anzahl Pairs beruft, wenn man noch nicht weiß und wissen kann, wofür
sie eintreten sollen? Man käme in die Gefahr, Pairs zu berufen, die für den
Reformplan, über welchen die Negierung selbst erst noch klar und einig werden
muß, auf keine Weise einzutreten im Stande wären.

Wenn nun ein großer Theil der öffentlichen Meinung vor lauter Pessi¬
mismus nicht einmal zu so einfachen Ueberlegungen kommen kann, sondern
sich lieber in Befürchtungen von Intriguen, von Unentschlossenheit, von un¬
sicherem Gang der Regierung gefällt, so ist das doch ein recht ungünstiges
Zeichen für den geringen Grad, welchen der politische Muth und die politische
Einsicht bei uns erst erreicht haben. Bei den harmlosesten Anstößer, bei den
unschädlichsten Verzögerungen geräth die öffentliche Meinung in tausend Aengsten
und schenkt den thörichtsten Gerüchten, welche Leichtsinn oder Böswilligkeit
verbreiten, das bereitwilligste Gehör. Man ist durch ununterbrochene Erfolge der
äußeren und inneren Politik, wie sie Deutschland noch nie erlebt hat, verwöhnt
bis zur Schwäche. Selbst einen kühlen Betrachter können schwere Besorgnisse
anwandeln bei dem Gedanken an die Zeit, die nicht ausbleiben kann, wo die
deutsche Nation die Probe abzulegen hat, was sie vermag ohne eine Alles
bemeisternde Führung. --

Die 24 neu ernannten Pairs sind den Kreisen des höheren Staatsdienstes,
activen und inactiven, in Militär und Civil entnommen, bis auf zwei, welche
dem Stand der großen Grundbesitzer ohne öffentliches Amt angehören. Man


genommen worden sind, so daß selbst Organe, die sonst durch klares Urtheil
ausgezeichnet sind, nur Ausdrücke des Mißmuths gefunden haben. Worauf
bezieht sich aber eigentlich die Enttäuschung? Daß bei der veränderten Stim¬
mung eines Theiles der Herren die Ernennungen hinreichen, der Kreisordnung
die Majorität zu verschaffen, darüber kann kein ernster Zweifel aufkommen.
Der Mißmuth hat also keinen Gegenstand als die Voraussetzung, daß eine
Reform des Herrenhauses aufgegeben sei, weil, um diese durchzusetzen, die
Zahl der Ernennungen allerdings nicht ausreicht. Allein — und wir haben
dies schon an dieser Stelle angedeutet — die Reform des Herrenhauses ist
eine so große und eingreifende Maßregel, ihre Folgen für die preußische und
selbst für die Verfassung des deutschen Reiches sind so unverkennbar, daß eine
solche Maßregel ohne die Gegenwart des Ministerpräsidenten und Reichskanzlers
höchstens im Allgemeinen beschlossen werden kann. Die Berufung von Pairs
in so großer Zahl, um die Annahme der Herrenhausreform durch dieses Haus
sicher zu stellen, setzt aber nicht nur den Beschluß jener Reform voraus, son¬
dern auch die Annahme eines bestimmten Planes zur Umwandlung der preu¬
ßischen Verfassung. Wie ist es denkbar, daß ein solcher Plan angenommen
worden sei in Abwesenheit des Fürsten Bismarck, und wie kann Jemand, der
etwas ruhige Ueberlegung besitzt, sich wundern, daß man nicht eine große
Anzahl Pairs beruft, wenn man noch nicht weiß und wissen kann, wofür
sie eintreten sollen? Man käme in die Gefahr, Pairs zu berufen, die für den
Reformplan, über welchen die Negierung selbst erst noch klar und einig werden
muß, auf keine Weise einzutreten im Stande wären.

Wenn nun ein großer Theil der öffentlichen Meinung vor lauter Pessi¬
mismus nicht einmal zu so einfachen Ueberlegungen kommen kann, sondern
sich lieber in Befürchtungen von Intriguen, von Unentschlossenheit, von un¬
sicherem Gang der Regierung gefällt, so ist das doch ein recht ungünstiges
Zeichen für den geringen Grad, welchen der politische Muth und die politische
Einsicht bei uns erst erreicht haben. Bei den harmlosesten Anstößer, bei den
unschädlichsten Verzögerungen geräth die öffentliche Meinung in tausend Aengsten
und schenkt den thörichtsten Gerüchten, welche Leichtsinn oder Böswilligkeit
verbreiten, das bereitwilligste Gehör. Man ist durch ununterbrochene Erfolge der
äußeren und inneren Politik, wie sie Deutschland noch nie erlebt hat, verwöhnt
bis zur Schwäche. Selbst einen kühlen Betrachter können schwere Besorgnisse
anwandeln bei dem Gedanken an die Zeit, die nicht ausbleiben kann, wo die
deutsche Nation die Probe abzulegen hat, was sie vermag ohne eine Alles
bemeisternde Führung. —

Die 24 neu ernannten Pairs sind den Kreisen des höheren Staatsdienstes,
activen und inactiven, in Militär und Civil entnommen, bis auf zwei, welche
dem Stand der großen Grundbesitzer ohne öffentliches Amt angehören. Man


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/480>, abgerufen am 22.07.2024.