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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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Schlacht werden müssen. Wellington aber, der an der berühmten Ulme bei
Mont Se. Jean den ganzen Kampf geleitet hatte, war unerschütterlich ge¬
blieben in dem Glauben an Blücher, und -- die Preußen kamen wirklich!
Um ein und ein halb Uhr Nachmittags konnten die ersten preußischen Geschütze
gegen die Stellungen auf dem rechten Flügel der Franzosen das Feuer er¬
öffnen. Zwischen Frichemont und Plancenois (letzteres hinter der französischen
Front belegen) entwickelten sich die Brigaden Lastthin und Hiller von Bülow's
Corps. Der wichtigste Punkt war unstreitig das Dorf Plancenois,
eine kleine Strecke südöstlich von La belle Alliance. Napoleon erkannte dies und
schickte dorthin Garden auf Garden gegen Hiller und Ryssel, indem er die Truppen
durch die falsche Nachricht von Grouchy's Eintreffen anfeuern ließ; auch be¬
gann er bei La Haye von Neuem durch Erlon's Corps furchtbare Stöße gegen
die Braunschweiger und Hannoveraner zu richten, deren Wanken zuletzt
Wellington selbst mit den Garden aufhalten mußte. Doch der Tag wurde
durch den Kampf bei Plancenois entschieden, gegen 8 Uhr endlich waren die
französischen Garden nach heftigem Ringen dort zum Weichen gebracht. Der
rKhte französische Flügel war zerdrückt, in unaufhaltsamer Flucht lösten
sich die französischen Colonnen nach Genappe und der Sambre zu auf.
Wellington und Blücher begrüßten sich als Sieger bei der Meierei La belle
Alliance, links an der Straße von Me. Se. Jean nach Genappe, an dem¬
selben Punkte, wo die Mitte der französischen Aufstellung gewesen war.

Wir hatten von La Haye Sainte unsere Schritte an dem Gordon-Denk¬
male vorbei nach der Butte du lion gelenkt, dem 200' hohen Erdhügel, den
die Niederländer zum Andenken an die Schlacht an der Stelle errichtet haben,
wo der Prinz von Oranien verwundet wurde. Sinnend standen wir auf der
Rampe, die den colossalen Löwen umgiebt, der drohend nach der französischen
Front hinüberschaut, und überblickten noch einmal das Schlachtfeld. Bor uns
lag die 2000 Schritt breite Thalsenkung, in welcher der Kampf am heftigsten
gewüthet hatte. Die Braven, deren Blut diesen Boden geröthet, haben für
uns mit gekämpft; ohne Waterloo wäre kein Wörth, kein Sedan mög¬
lich gewesen. Werfen die letzteren schon ihren Schatten den kommenden Er¬
eignissen voraus? und wird dem Sedan ein zweites Waterloo folgen? Oder
wird endlich das heiße Ringen des Germanen und Romanen um die Welt¬
herrschaft aufhören? Wir erhielten unten am Fuße des Löwenhügels eine
seltsame Antwort auf diese Fragen! In dem Zimmer des Concierge, in dessen
Buch wir unsere Namen einschrieben, hingen Bilder, welche Napoleon glori-
ficirten. Unser Blut kochte beim Anblick des Schlachtgemäldes von Austerlitz,
und als wir in begreiflichen Patriotismus dem Wächter des Denkmals unsire
Verwunderung darüber aussprachen, daß solche Bilder im Angesichts des
Löwenhügels hingen, wurde er heftig erregt, uns die Worte entgegenhaltend:


Schlacht werden müssen. Wellington aber, der an der berühmten Ulme bei
Mont Se. Jean den ganzen Kampf geleitet hatte, war unerschütterlich ge¬
blieben in dem Glauben an Blücher, und — die Preußen kamen wirklich!
Um ein und ein halb Uhr Nachmittags konnten die ersten preußischen Geschütze
gegen die Stellungen auf dem rechten Flügel der Franzosen das Feuer er¬
öffnen. Zwischen Frichemont und Plancenois (letzteres hinter der französischen
Front belegen) entwickelten sich die Brigaden Lastthin und Hiller von Bülow's
Corps. Der wichtigste Punkt war unstreitig das Dorf Plancenois,
eine kleine Strecke südöstlich von La belle Alliance. Napoleon erkannte dies und
schickte dorthin Garden auf Garden gegen Hiller und Ryssel, indem er die Truppen
durch die falsche Nachricht von Grouchy's Eintreffen anfeuern ließ; auch be¬
gann er bei La Haye von Neuem durch Erlon's Corps furchtbare Stöße gegen
die Braunschweiger und Hannoveraner zu richten, deren Wanken zuletzt
Wellington selbst mit den Garden aufhalten mußte. Doch der Tag wurde
durch den Kampf bei Plancenois entschieden, gegen 8 Uhr endlich waren die
französischen Garden nach heftigem Ringen dort zum Weichen gebracht. Der
rKhte französische Flügel war zerdrückt, in unaufhaltsamer Flucht lösten
sich die französischen Colonnen nach Genappe und der Sambre zu auf.
Wellington und Blücher begrüßten sich als Sieger bei der Meierei La belle
Alliance, links an der Straße von Me. Se. Jean nach Genappe, an dem¬
selben Punkte, wo die Mitte der französischen Aufstellung gewesen war.

Wir hatten von La Haye Sainte unsere Schritte an dem Gordon-Denk¬
male vorbei nach der Butte du lion gelenkt, dem 200' hohen Erdhügel, den
die Niederländer zum Andenken an die Schlacht an der Stelle errichtet haben,
wo der Prinz von Oranien verwundet wurde. Sinnend standen wir auf der
Rampe, die den colossalen Löwen umgiebt, der drohend nach der französischen
Front hinüberschaut, und überblickten noch einmal das Schlachtfeld. Bor uns
lag die 2000 Schritt breite Thalsenkung, in welcher der Kampf am heftigsten
gewüthet hatte. Die Braven, deren Blut diesen Boden geröthet, haben für
uns mit gekämpft; ohne Waterloo wäre kein Wörth, kein Sedan mög¬
lich gewesen. Werfen die letzteren schon ihren Schatten den kommenden Er¬
eignissen voraus? und wird dem Sedan ein zweites Waterloo folgen? Oder
wird endlich das heiße Ringen des Germanen und Romanen um die Welt¬
herrschaft aufhören? Wir erhielten unten am Fuße des Löwenhügels eine
seltsame Antwort auf diese Fragen! In dem Zimmer des Concierge, in dessen
Buch wir unsere Namen einschrieben, hingen Bilder, welche Napoleon glori-
ficirten. Unser Blut kochte beim Anblick des Schlachtgemäldes von Austerlitz,
und als wir in begreiflichen Patriotismus dem Wächter des Denkmals unsire
Verwunderung darüber aussprachen, daß solche Bilder im Angesichts des
Löwenhügels hingen, wurde er heftig erregt, uns die Worte entgegenhaltend:


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[0442] Schlacht werden müssen. Wellington aber, der an der berühmten Ulme bei Mont Se. Jean den ganzen Kampf geleitet hatte, war unerschütterlich ge¬ blieben in dem Glauben an Blücher, und — die Preußen kamen wirklich! Um ein und ein halb Uhr Nachmittags konnten die ersten preußischen Geschütze gegen die Stellungen auf dem rechten Flügel der Franzosen das Feuer er¬ öffnen. Zwischen Frichemont und Plancenois (letzteres hinter der französischen Front belegen) entwickelten sich die Brigaden Lastthin und Hiller von Bülow's Corps. Der wichtigste Punkt war unstreitig das Dorf Plancenois, eine kleine Strecke südöstlich von La belle Alliance. Napoleon erkannte dies und schickte dorthin Garden auf Garden gegen Hiller und Ryssel, indem er die Truppen durch die falsche Nachricht von Grouchy's Eintreffen anfeuern ließ; auch be¬ gann er bei La Haye von Neuem durch Erlon's Corps furchtbare Stöße gegen die Braunschweiger und Hannoveraner zu richten, deren Wanken zuletzt Wellington selbst mit den Garden aufhalten mußte. Doch der Tag wurde durch den Kampf bei Plancenois entschieden, gegen 8 Uhr endlich waren die französischen Garden nach heftigem Ringen dort zum Weichen gebracht. Der rKhte französische Flügel war zerdrückt, in unaufhaltsamer Flucht lösten sich die französischen Colonnen nach Genappe und der Sambre zu auf. Wellington und Blücher begrüßten sich als Sieger bei der Meierei La belle Alliance, links an der Straße von Me. Se. Jean nach Genappe, an dem¬ selben Punkte, wo die Mitte der französischen Aufstellung gewesen war. Wir hatten von La Haye Sainte unsere Schritte an dem Gordon-Denk¬ male vorbei nach der Butte du lion gelenkt, dem 200' hohen Erdhügel, den die Niederländer zum Andenken an die Schlacht an der Stelle errichtet haben, wo der Prinz von Oranien verwundet wurde. Sinnend standen wir auf der Rampe, die den colossalen Löwen umgiebt, der drohend nach der französischen Front hinüberschaut, und überblickten noch einmal das Schlachtfeld. Bor uns lag die 2000 Schritt breite Thalsenkung, in welcher der Kampf am heftigsten gewüthet hatte. Die Braven, deren Blut diesen Boden geröthet, haben für uns mit gekämpft; ohne Waterloo wäre kein Wörth, kein Sedan mög¬ lich gewesen. Werfen die letzteren schon ihren Schatten den kommenden Er¬ eignissen voraus? und wird dem Sedan ein zweites Waterloo folgen? Oder wird endlich das heiße Ringen des Germanen und Romanen um die Welt¬ herrschaft aufhören? Wir erhielten unten am Fuße des Löwenhügels eine seltsame Antwort auf diese Fragen! In dem Zimmer des Concierge, in dessen Buch wir unsere Namen einschrieben, hingen Bilder, welche Napoleon glori- ficirten. Unser Blut kochte beim Anblick des Schlachtgemäldes von Austerlitz, und als wir in begreiflichen Patriotismus dem Wächter des Denkmals unsire Verwunderung darüber aussprachen, daß solche Bilder im Angesichts des Löwenhügels hingen, wurde er heftig erregt, uns die Worte entgegenhaltend:

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/442>, abgerufen am 22.07.2024.