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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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und speiste regelmäßig bei andern Leuten, da der Reiz seiner Unterhaltung
sehr hoch geschätzt war. Diese Gewohnheit half ihm wesentlich bei seiner
literarischen Thätigkeit, welche, obwohl nicht arm an klugen Gedanken, doch
im Wesentlichen auf der Wiedergabe von Geschichtchen aus dem täglichen
Leben beruhte. Seine eigenen Anekdoten waren übrigens oft so gut als alle,
die er hörte, z. B. die folgende.

Als Theatersecretär hatte er die Stücke im Manuscript zu lesen, welche
junge Autoren zur Ausführung einreichten. Er bemerkte dabei, daß dieselben
meist nicht viel Neues enthielten, wurde allmählig des Durchlesens überdrüssig
und legte die Manuskripte uneröffnet bei Seite. Nun kam eines Tages ein
junger Dramatiker zu ihm, um ihn zu fragen, was über das Stück beschlossen
worden, welches er angeboten hatte. Villemot hatte es noch nicht einmal ge¬
öffnet, aber um den Autor loszuwerden, sagte er, daß er nach Durchlesung
des Stückes die Ansicht gewonnen hätte, daß der Stil desselben sich für dieses
besondere Theater nicht recht eigne ^- der Stil wäre vielleicht zu gut, "mit
einem Worte, man muß sich gewöhnen, so zu schreiben, wie man spricht",
setzte er hinzu. Als der Aspirant sich dadurch nicht werfen ließ, versuchte es
Villemot mit der Behauptung, das Arrangement des Stückes ermangle des
Interesses. Hierauf nahm sein Besuch kaltblütig die Manuscriptrolle vom
Pulte, knüpfte das rosenrothe Band, das sie zusammenhielt, auf und ent¬
wickelte vor dem verblüfften Kritiker ein Heft vollkommen weißen, mit nichts
beschriebenen Papiers. Die Geschichte nimmt ein gutes Ende; denn Villemot
versprach bei seiner Ehre, fortan alles zu lesen, was dieser Dichter ihm vor¬
legen werde, und empfahl später ein Stück desselben dem Odeon, wo es Glück
machte.

Eine andere hübsche Geschichte Villemot's, die uns hier erzählt wird, ist
folgende.

Ein Schiff brachte eine Operntruppe nach Rio de Janeiro. Der Im-
pressario hatte geschworen, daß er nur einen Tenor mitnähme, der eine fabel¬
haft hohe Einnahme haben werde. Eines Tages aber fanden die Sänger
auf dem Deck Lust und Neigung, sich vor einander hören zu lassen, und siehe
da, plötzlich hielten sie inne und sahen sich verblüfft an, denn sie hatten
erkannt, daß sie allesammt Tenöre waren. Auf der Stelle liefen sie zu dem
Impressario, überhäuften ihn mit einer Fluth von wenig schmeichelhaften
Beinamen und fragten, wie er sich habe unterstehen können, sie so zu täuschen.
Er entschuldigte sich, so gut es gehen wollte, und schloß zuletzt mit der Ver¬
sicherung, daß in den ersten acht Tagen nach ihrer Ankunft an ihrem
Bestimmungsorte drei von ihnen am gelben Fieber sterben, zwei andere
während der Proben das Zeitliche segnen würden und daß der einzige Ueber¬
lebende sein definitiver Tenor sein sollte.


und speiste regelmäßig bei andern Leuten, da der Reiz seiner Unterhaltung
sehr hoch geschätzt war. Diese Gewohnheit half ihm wesentlich bei seiner
literarischen Thätigkeit, welche, obwohl nicht arm an klugen Gedanken, doch
im Wesentlichen auf der Wiedergabe von Geschichtchen aus dem täglichen
Leben beruhte. Seine eigenen Anekdoten waren übrigens oft so gut als alle,
die er hörte, z. B. die folgende.

Als Theatersecretär hatte er die Stücke im Manuscript zu lesen, welche
junge Autoren zur Ausführung einreichten. Er bemerkte dabei, daß dieselben
meist nicht viel Neues enthielten, wurde allmählig des Durchlesens überdrüssig
und legte die Manuskripte uneröffnet bei Seite. Nun kam eines Tages ein
junger Dramatiker zu ihm, um ihn zu fragen, was über das Stück beschlossen
worden, welches er angeboten hatte. Villemot hatte es noch nicht einmal ge¬
öffnet, aber um den Autor loszuwerden, sagte er, daß er nach Durchlesung
des Stückes die Ansicht gewonnen hätte, daß der Stil desselben sich für dieses
besondere Theater nicht recht eigne ^- der Stil wäre vielleicht zu gut, „mit
einem Worte, man muß sich gewöhnen, so zu schreiben, wie man spricht",
setzte er hinzu. Als der Aspirant sich dadurch nicht werfen ließ, versuchte es
Villemot mit der Behauptung, das Arrangement des Stückes ermangle des
Interesses. Hierauf nahm sein Besuch kaltblütig die Manuscriptrolle vom
Pulte, knüpfte das rosenrothe Band, das sie zusammenhielt, auf und ent¬
wickelte vor dem verblüfften Kritiker ein Heft vollkommen weißen, mit nichts
beschriebenen Papiers. Die Geschichte nimmt ein gutes Ende; denn Villemot
versprach bei seiner Ehre, fortan alles zu lesen, was dieser Dichter ihm vor¬
legen werde, und empfahl später ein Stück desselben dem Odeon, wo es Glück
machte.

Eine andere hübsche Geschichte Villemot's, die uns hier erzählt wird, ist
folgende.

Ein Schiff brachte eine Operntruppe nach Rio de Janeiro. Der Im-
pressario hatte geschworen, daß er nur einen Tenor mitnähme, der eine fabel¬
haft hohe Einnahme haben werde. Eines Tages aber fanden die Sänger
auf dem Deck Lust und Neigung, sich vor einander hören zu lassen, und siehe
da, plötzlich hielten sie inne und sahen sich verblüfft an, denn sie hatten
erkannt, daß sie allesammt Tenöre waren. Auf der Stelle liefen sie zu dem
Impressario, überhäuften ihn mit einer Fluth von wenig schmeichelhaften
Beinamen und fragten, wie er sich habe unterstehen können, sie so zu täuschen.
Er entschuldigte sich, so gut es gehen wollte, und schloß zuletzt mit der Ver¬
sicherung, daß in den ersten acht Tagen nach ihrer Ankunft an ihrem
Bestimmungsorte drei von ihnen am gelben Fieber sterben, zwei andere
während der Proben das Zeitliche segnen würden und daß der einzige Ueber¬
lebende sein definitiver Tenor sein sollte.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/431>, abgerufen am 22.07.2024.