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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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und einheimischen Cultureindrücken zugänglichsten Gebiete unseres Vaterlandes.
Es ist der breite mittlere Strich, den Riehl einst zum Erstaunen mancher, die
nur ein Süd- und Norddeutschland kannten, als eine selbstständige ethno¬
graphische und Cultur-Gruppe entdeckt hat, eine Entdeckung, die freilich nicht
so schwer zu machen war, und die auf keinen Fall zu jenen wunderlichen
Triasmarotten mancher unserer jetzt glücklich verschollenen doctrinären Politiker
umgefälscht werden durfte. Es sei uns dabei noch die Bemerkung vergönnt,
daß der fränkische Ortsname Pagenhardt, den unser Autor mit dem nieder¬
deutschen Page in Verbindung setzen will, keineswegs etwas damit zu thun
hat. Denn nach der Mundart würde er unfehlbar Pfagenhardt lauten müssen,
und was noch entscheidender ist, die Mundart kennt ja in dieser Landschaft
das Wort überhaupt nicht. Es bliebe also nur die Annahme niederdeutscher
Kolonisation und Namengebung übrig, für die es an jeder Spur fehlt. Die
einfachste Erklärung knüpft an den in unsren Waldraum so oft wiederkehren¬
den Ausdruck "Streitwald, Zankstück" und sieht in Pagenhardt, was sprachlich
dasselbe bedeutet, nichts als eine auf die benachbarte menschliche Ansiedlung
übertragene Waldbezeichnung, etwa wie Lindenhardt, Buchwald und dergl.
bekannte Ortsnamen geworden sind.

Jedenfalls aber ist mit Recht von unserem Autor hervorgehoben
worden, daß der oder die Namen des Rosses in unendlich zahlreicherer Fülle
zu Ortsnamen verwandt sind, als die der andern Hausthiere. Auch hierin
spiegelt sich die besondere Liebhaberei des Volksgemüthes für dieses eine Thier,
gerade so wie die genau damit zusammenhängende Beobachtung, daß, während
alle andern an sich indifferenten Hausthiernamen, man denke an Ochs, Hund,
Schwein, an und für sich schon als arge Schimpfwörter gelten, sobald sie
auf Menschen übertragen werden, die Namen des Pferdes nie in solcher Weise
verwandt werden, sondern im Gegentheil, wie "Pferdegedächtniß", "Pferde¬
arbeit" u. s, w. darthun, eher im lobenden, wenigstens nur im verstärkenden
Sinne als sog. Volkssuperlative, d. h. als eine der naiven Phantasie zugänglichere
Steigerungsform im Gegensatz zu der abstract abgeblassten der gewöhnlichen
Comparation durch Ableitungssilben am Ende des Wortes. Dabei ist
nicht zu übersehen, daß der alte allgemeinste Name "Roß" noch jetzt in seinem
Dasein als Ortsname oder Name von Oertlichkeiten (Berge, Wälder, Flüsse,
Bäche) seine ehemalige Oberherrschaft auch da bezeugt, wo er jetzt gar nicht
mehr in der Mundart des Volkes existirt und dieser ebenso fremdartig vor¬
nehm gegenüber steht, wie es etwa das alte pkaeiit im 12. und 13. Jahr¬
hundert an derselben Stelle einst gethan haben mag, Dutzende von Roßbach,
Roßau, Noßfeld, Roßberg, Roßthal (jetzt in Roßstall durch die unglückliche
Etymologie moderner schriftgelehrter Beamten verkehrt) beweisen dies, die durch
ganz Mitteldeutschland zerstreut sind. Der Bauersmann, der seine Heimath


und einheimischen Cultureindrücken zugänglichsten Gebiete unseres Vaterlandes.
Es ist der breite mittlere Strich, den Riehl einst zum Erstaunen mancher, die
nur ein Süd- und Norddeutschland kannten, als eine selbstständige ethno¬
graphische und Cultur-Gruppe entdeckt hat, eine Entdeckung, die freilich nicht
so schwer zu machen war, und die auf keinen Fall zu jenen wunderlichen
Triasmarotten mancher unserer jetzt glücklich verschollenen doctrinären Politiker
umgefälscht werden durfte. Es sei uns dabei noch die Bemerkung vergönnt,
daß der fränkische Ortsname Pagenhardt, den unser Autor mit dem nieder¬
deutschen Page in Verbindung setzen will, keineswegs etwas damit zu thun
hat. Denn nach der Mundart würde er unfehlbar Pfagenhardt lauten müssen,
und was noch entscheidender ist, die Mundart kennt ja in dieser Landschaft
das Wort überhaupt nicht. Es bliebe also nur die Annahme niederdeutscher
Kolonisation und Namengebung übrig, für die es an jeder Spur fehlt. Die
einfachste Erklärung knüpft an den in unsren Waldraum so oft wiederkehren¬
den Ausdruck „Streitwald, Zankstück" und sieht in Pagenhardt, was sprachlich
dasselbe bedeutet, nichts als eine auf die benachbarte menschliche Ansiedlung
übertragene Waldbezeichnung, etwa wie Lindenhardt, Buchwald und dergl.
bekannte Ortsnamen geworden sind.

Jedenfalls aber ist mit Recht von unserem Autor hervorgehoben
worden, daß der oder die Namen des Rosses in unendlich zahlreicherer Fülle
zu Ortsnamen verwandt sind, als die der andern Hausthiere. Auch hierin
spiegelt sich die besondere Liebhaberei des Volksgemüthes für dieses eine Thier,
gerade so wie die genau damit zusammenhängende Beobachtung, daß, während
alle andern an sich indifferenten Hausthiernamen, man denke an Ochs, Hund,
Schwein, an und für sich schon als arge Schimpfwörter gelten, sobald sie
auf Menschen übertragen werden, die Namen des Pferdes nie in solcher Weise
verwandt werden, sondern im Gegentheil, wie „Pferdegedächtniß", „Pferde¬
arbeit" u. s, w. darthun, eher im lobenden, wenigstens nur im verstärkenden
Sinne als sog. Volkssuperlative, d. h. als eine der naiven Phantasie zugänglichere
Steigerungsform im Gegensatz zu der abstract abgeblassten der gewöhnlichen
Comparation durch Ableitungssilben am Ende des Wortes. Dabei ist
nicht zu übersehen, daß der alte allgemeinste Name „Roß" noch jetzt in seinem
Dasein als Ortsname oder Name von Oertlichkeiten (Berge, Wälder, Flüsse,
Bäche) seine ehemalige Oberherrschaft auch da bezeugt, wo er jetzt gar nicht
mehr in der Mundart des Volkes existirt und dieser ebenso fremdartig vor¬
nehm gegenüber steht, wie es etwa das alte pkaeiit im 12. und 13. Jahr¬
hundert an derselben Stelle einst gethan haben mag, Dutzende von Roßbach,
Roßau, Noßfeld, Roßberg, Roßthal (jetzt in Roßstall durch die unglückliche
Etymologie moderner schriftgelehrter Beamten verkehrt) beweisen dies, die durch
ganz Mitteldeutschland zerstreut sind. Der Bauersmann, der seine Heimath


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/418>, abgerufen am 22.07.2024.