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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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schon im Mai dem preußischen Könige seine Gedanken vor. Er erhielt keine
Antwort. Dann ging er selbst nach Berlin und hatte mit Friedrich Wilhelm
eine Unterredung am 8. Juni, über deren Inhalt leider uns nichts positives
bekannt wird. Für Stockmar war das Resultat die Einsicht, daß Friedrich
Wilhelm IV. nicht der Mann war, der auf jene deutschen Gedanken und
Projekte eingehen würde. Also gleich beim ersten Schritte ein negatives Er¬
gebniß, die Klarheit darüber, daß die erste und absolut nothwendige Voraus¬
setzung des Stockmar'schen Planes nicht vorhanden sei.

Es charakterisirt Stockmar, daß er nun dem Frankfurter Jubel, auch
seiner Freunde, als Pessimist und Skeptiker gegenüber stand. Ihm mußte
die Hoffnung Deutschlands damals schon als gescheitert gelten. Er selbst
fühlte sich nun auch weder berufen noch geneigt, persönlich einzugreifen, an¬
zuthun. Eine andere trübe Einsicht hatte er im Juni noch aus Berlin
mitgebracht: die tiefe Abneigung des Königs gegen das constitutionelle System
hatte sich ihm offenbart; ihm war klar, daß eine Verständigung mit einer
gemäßigt liberalen Mittelpartei über das Werk der preußischen Verfassung
der König gar nicht wünschte, daß ihm die Ausschreitungen der Berliner
Straßendemokraten schon darum gar nicht so unlieb waren, weil sie Anlaß
und Vorwand zur Reaction bilden mußten. Natürlich stimmte dies seine
Hoffnungen noch tiefer herab. Resignation in dies negative Ergebniß war
ihm die Frucht der Berliner Reise.

Nun sind allerdings noch Augenblicke wiedergekommen, in denen auch
Stockmar die Möglichkeit wieder aufleuchtete, daß es dennoch gut gehen könnte-
So, als Bunsen im Juli nach Deutschland kam, als man von dem Eintritts
dieses persönlichen Freundes des preußischen Königs in das Reichsministerium
sprach, -- dann würde auch Stockmar sich nicht mehr entzogen haben. Auch
diese Combination scheiterte, weil die Verständigung zwischen der deutsch¬
preußischen Partei in Frankfurt und der preußischen Regierung sich doch nicht
recht anknüpfen wollte.

Wir verfolgen nicht weiter die einzelnen Schritte, die Stockmar noch im
Herbste und Winter that, um das Terrain zu erforschen, ob sich vielleicht
doch noch eine Operation lohnen würde. Ganz so unmöglich konnte es doch
für einen entschlossenen patriotischen Mann nicht sein, in Berlin Ordnung zu
schaffen, eine preußische Verfassung ins Leben zu rufen, wenn nöthig auf dem
Wege der Octroyirung, und zugleich den werdenden deutschen Reichsbau fest
an Preußen zu binden. Besonnen, practisch lauten da seine Ratschläge und
Briefe. Zu nüchterner Vorsicht ermahnte er besonders jene Freunde in
Frankfurt, auf das wesentliche wies er sie hin. Die Illusionen der Frank¬
furter Heißsporne hatte er niemals getheilt. Und jene Schwankungen des
politischen Urtheils, wie sie bei Bunsen in so tragikomischer Weise uns


schon im Mai dem preußischen Könige seine Gedanken vor. Er erhielt keine
Antwort. Dann ging er selbst nach Berlin und hatte mit Friedrich Wilhelm
eine Unterredung am 8. Juni, über deren Inhalt leider uns nichts positives
bekannt wird. Für Stockmar war das Resultat die Einsicht, daß Friedrich
Wilhelm IV. nicht der Mann war, der auf jene deutschen Gedanken und
Projekte eingehen würde. Also gleich beim ersten Schritte ein negatives Er¬
gebniß, die Klarheit darüber, daß die erste und absolut nothwendige Voraus¬
setzung des Stockmar'schen Planes nicht vorhanden sei.

Es charakterisirt Stockmar, daß er nun dem Frankfurter Jubel, auch
seiner Freunde, als Pessimist und Skeptiker gegenüber stand. Ihm mußte
die Hoffnung Deutschlands damals schon als gescheitert gelten. Er selbst
fühlte sich nun auch weder berufen noch geneigt, persönlich einzugreifen, an¬
zuthun. Eine andere trübe Einsicht hatte er im Juni noch aus Berlin
mitgebracht: die tiefe Abneigung des Königs gegen das constitutionelle System
hatte sich ihm offenbart; ihm war klar, daß eine Verständigung mit einer
gemäßigt liberalen Mittelpartei über das Werk der preußischen Verfassung
der König gar nicht wünschte, daß ihm die Ausschreitungen der Berliner
Straßendemokraten schon darum gar nicht so unlieb waren, weil sie Anlaß
und Vorwand zur Reaction bilden mußten. Natürlich stimmte dies seine
Hoffnungen noch tiefer herab. Resignation in dies negative Ergebniß war
ihm die Frucht der Berliner Reise.

Nun sind allerdings noch Augenblicke wiedergekommen, in denen auch
Stockmar die Möglichkeit wieder aufleuchtete, daß es dennoch gut gehen könnte-
So, als Bunsen im Juli nach Deutschland kam, als man von dem Eintritts
dieses persönlichen Freundes des preußischen Königs in das Reichsministerium
sprach, — dann würde auch Stockmar sich nicht mehr entzogen haben. Auch
diese Combination scheiterte, weil die Verständigung zwischen der deutsch¬
preußischen Partei in Frankfurt und der preußischen Regierung sich doch nicht
recht anknüpfen wollte.

Wir verfolgen nicht weiter die einzelnen Schritte, die Stockmar noch im
Herbste und Winter that, um das Terrain zu erforschen, ob sich vielleicht
doch noch eine Operation lohnen würde. Ganz so unmöglich konnte es doch
für einen entschlossenen patriotischen Mann nicht sein, in Berlin Ordnung zu
schaffen, eine preußische Verfassung ins Leben zu rufen, wenn nöthig auf dem
Wege der Octroyirung, und zugleich den werdenden deutschen Reichsbau fest
an Preußen zu binden. Besonnen, practisch lauten da seine Ratschläge und
Briefe. Zu nüchterner Vorsicht ermahnte er besonders jene Freunde in
Frankfurt, auf das wesentliche wies er sie hin. Die Illusionen der Frank¬
furter Heißsporne hatte er niemals getheilt. Und jene Schwankungen des
politischen Urtheils, wie sie bei Bunsen in so tragikomischer Weise uns


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[0339] schon im Mai dem preußischen Könige seine Gedanken vor. Er erhielt keine Antwort. Dann ging er selbst nach Berlin und hatte mit Friedrich Wilhelm eine Unterredung am 8. Juni, über deren Inhalt leider uns nichts positives bekannt wird. Für Stockmar war das Resultat die Einsicht, daß Friedrich Wilhelm IV. nicht der Mann war, der auf jene deutschen Gedanken und Projekte eingehen würde. Also gleich beim ersten Schritte ein negatives Er¬ gebniß, die Klarheit darüber, daß die erste und absolut nothwendige Voraus¬ setzung des Stockmar'schen Planes nicht vorhanden sei. Es charakterisirt Stockmar, daß er nun dem Frankfurter Jubel, auch seiner Freunde, als Pessimist und Skeptiker gegenüber stand. Ihm mußte die Hoffnung Deutschlands damals schon als gescheitert gelten. Er selbst fühlte sich nun auch weder berufen noch geneigt, persönlich einzugreifen, an¬ zuthun. Eine andere trübe Einsicht hatte er im Juni noch aus Berlin mitgebracht: die tiefe Abneigung des Königs gegen das constitutionelle System hatte sich ihm offenbart; ihm war klar, daß eine Verständigung mit einer gemäßigt liberalen Mittelpartei über das Werk der preußischen Verfassung der König gar nicht wünschte, daß ihm die Ausschreitungen der Berliner Straßendemokraten schon darum gar nicht so unlieb waren, weil sie Anlaß und Vorwand zur Reaction bilden mußten. Natürlich stimmte dies seine Hoffnungen noch tiefer herab. Resignation in dies negative Ergebniß war ihm die Frucht der Berliner Reise. Nun sind allerdings noch Augenblicke wiedergekommen, in denen auch Stockmar die Möglichkeit wieder aufleuchtete, daß es dennoch gut gehen könnte- So, als Bunsen im Juli nach Deutschland kam, als man von dem Eintritts dieses persönlichen Freundes des preußischen Königs in das Reichsministerium sprach, — dann würde auch Stockmar sich nicht mehr entzogen haben. Auch diese Combination scheiterte, weil die Verständigung zwischen der deutsch¬ preußischen Partei in Frankfurt und der preußischen Regierung sich doch nicht recht anknüpfen wollte. Wir verfolgen nicht weiter die einzelnen Schritte, die Stockmar noch im Herbste und Winter that, um das Terrain zu erforschen, ob sich vielleicht doch noch eine Operation lohnen würde. Ganz so unmöglich konnte es doch für einen entschlossenen patriotischen Mann nicht sein, in Berlin Ordnung zu schaffen, eine preußische Verfassung ins Leben zu rufen, wenn nöthig auf dem Wege der Octroyirung, und zugleich den werdenden deutschen Reichsbau fest an Preußen zu binden. Besonnen, practisch lauten da seine Ratschläge und Briefe. Zu nüchterner Vorsicht ermahnte er besonders jene Freunde in Frankfurt, auf das wesentliche wies er sie hin. Die Illusionen der Frank¬ furter Heißsporne hatte er niemals getheilt. Und jene Schwankungen des politischen Urtheils, wie sie bei Bunsen in so tragikomischer Weise uns

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/339>, abgerufen am 22.07.2024.