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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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möchten in sein Urtheil einstimmen. Eine Probe der durchaus verständigen
und realistischen Auffassungsweise politischer Fragen, wie wir sie durch sein
ganzes Leben bei ihm finden, gab er damals schon ab, als er des Prinzen
rasche principielle Annahme des Rufes ohne Sicherstellung der von ihm zu
fordernden Bedingungen mißbilligte. Die schiefe Stellung, in die Leopold ge¬
rathen ist, als er nun nachher doch noch ablehnte, war die Folge der ersten
übereilten und unklaren Zusage. Ungleich reifer als der Prinz war damals
Stockmar, Ungefähr ein Jahr nachher wurde dem Prinzen die belgische Krone
entgegengetragen. Aus dem griechischen Vorgange hatte er aber doch einiges
gelernt. Jetzt benahm er sich geschickt und klug, und so kam das Königreich
Belgien zu Stande. Stockmar begleitete seinen jetzt königlichen Freund auch
nach Belgien. Er war und blieb in der Stellung des Vertrauten; alle häus¬
lichen und politischen Fragen wurden zwischen beiden discutirt. Eine große
geschäftliche Routine und einen freien politischen Blick hatte sich Stockmar
erworben. Aus seinen Aufzeichnungen empfangen wir sehr schätzbare Infor¬
mationen, z. B. über Polignac's Annexionsgelüste 1829, über die belgischen
Verhandlungen 1831, die inneren englischen Zustände 1834. Nachher nach
dem Regierungsantritte der Königin Victoria trat Stockmar in ihren Dienst,
Leopold überließ ihn als einen zuverlässigen Berather und Freund der jungen
noch unerfahrenen Nichte.

Dem Hause Coburg ist in unserem Jahrhundert ein glücklicher Stern
aufgegangen. Nicht wenig hat zu den dynastischen Erfolgen die Persönlichkeit
Leopold's beigetragen. Neben und hinter ihm aber stand Stockmar als ein
geschickter, weitblickender Rathgeber, oft auch als guter Agent bei vertraulichen
discreten Angelegenheiten. Wie glücklich war es, daß er Leopold's Entsagung
auf den englischen Jahresgehalt angerathen und auch zu Wege gebracht! Wie
geschickt vermittelte er die portugiesische Ehe des coburgischen Prinzen Ferdinand!
Und wie eifrig und erfolgreich war sein Bemühen, der jungen englischen
Königin den Neffen Leopold's, den Prinzen Albert zum Gemahl zu geben!
Was er als der Vertraute des älteren Coburgers, dem doch in England eine
ähnliche Aufgabe zugedacht gewesen war, erfahren und gelernt hatte, war er
jetzt bereit zu Gunsten des jüngeren Coburgers zu verwerthen. Die politische
Einsicht in die englischen Verhältnisse, die angeknüpften persönlichen Be¬
ziehungen zu den leitenden Staatsmännern Englands, seine Stellung in der
coburgischen Familie und in den Hofkreisen Englands (war doch die Mutter
Victoria's die Schwester Leopold's), -- alle diese Mittel stellte er in den Dienst
des coburgischen Familienprojektes einer Ehe Victoria's mit ihrem Vetter dem
Prinzen Albert.

Wir erzählen hier nicht, wie es gelungen ist, die Sache auszuführen, --
die Hauptsache war jedenfalls, daß die junge Königin dem Plane ihrer Ver-


möchten in sein Urtheil einstimmen. Eine Probe der durchaus verständigen
und realistischen Auffassungsweise politischer Fragen, wie wir sie durch sein
ganzes Leben bei ihm finden, gab er damals schon ab, als er des Prinzen
rasche principielle Annahme des Rufes ohne Sicherstellung der von ihm zu
fordernden Bedingungen mißbilligte. Die schiefe Stellung, in die Leopold ge¬
rathen ist, als er nun nachher doch noch ablehnte, war die Folge der ersten
übereilten und unklaren Zusage. Ungleich reifer als der Prinz war damals
Stockmar, Ungefähr ein Jahr nachher wurde dem Prinzen die belgische Krone
entgegengetragen. Aus dem griechischen Vorgange hatte er aber doch einiges
gelernt. Jetzt benahm er sich geschickt und klug, und so kam das Königreich
Belgien zu Stande. Stockmar begleitete seinen jetzt königlichen Freund auch
nach Belgien. Er war und blieb in der Stellung des Vertrauten; alle häus¬
lichen und politischen Fragen wurden zwischen beiden discutirt. Eine große
geschäftliche Routine und einen freien politischen Blick hatte sich Stockmar
erworben. Aus seinen Aufzeichnungen empfangen wir sehr schätzbare Infor¬
mationen, z. B. über Polignac's Annexionsgelüste 1829, über die belgischen
Verhandlungen 1831, die inneren englischen Zustände 1834. Nachher nach
dem Regierungsantritte der Königin Victoria trat Stockmar in ihren Dienst,
Leopold überließ ihn als einen zuverlässigen Berather und Freund der jungen
noch unerfahrenen Nichte.

Dem Hause Coburg ist in unserem Jahrhundert ein glücklicher Stern
aufgegangen. Nicht wenig hat zu den dynastischen Erfolgen die Persönlichkeit
Leopold's beigetragen. Neben und hinter ihm aber stand Stockmar als ein
geschickter, weitblickender Rathgeber, oft auch als guter Agent bei vertraulichen
discreten Angelegenheiten. Wie glücklich war es, daß er Leopold's Entsagung
auf den englischen Jahresgehalt angerathen und auch zu Wege gebracht! Wie
geschickt vermittelte er die portugiesische Ehe des coburgischen Prinzen Ferdinand!
Und wie eifrig und erfolgreich war sein Bemühen, der jungen englischen
Königin den Neffen Leopold's, den Prinzen Albert zum Gemahl zu geben!
Was er als der Vertraute des älteren Coburgers, dem doch in England eine
ähnliche Aufgabe zugedacht gewesen war, erfahren und gelernt hatte, war er
jetzt bereit zu Gunsten des jüngeren Coburgers zu verwerthen. Die politische
Einsicht in die englischen Verhältnisse, die angeknüpften persönlichen Be¬
ziehungen zu den leitenden Staatsmännern Englands, seine Stellung in der
coburgischen Familie und in den Hofkreisen Englands (war doch die Mutter
Victoria's die Schwester Leopold's), — alle diese Mittel stellte er in den Dienst
des coburgischen Familienprojektes einer Ehe Victoria's mit ihrem Vetter dem
Prinzen Albert.

Wir erzählen hier nicht, wie es gelungen ist, die Sache auszuführen, —
die Hauptsache war jedenfalls, daß die junge Königin dem Plane ihrer Ver-


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[0332] möchten in sein Urtheil einstimmen. Eine Probe der durchaus verständigen und realistischen Auffassungsweise politischer Fragen, wie wir sie durch sein ganzes Leben bei ihm finden, gab er damals schon ab, als er des Prinzen rasche principielle Annahme des Rufes ohne Sicherstellung der von ihm zu fordernden Bedingungen mißbilligte. Die schiefe Stellung, in die Leopold ge¬ rathen ist, als er nun nachher doch noch ablehnte, war die Folge der ersten übereilten und unklaren Zusage. Ungleich reifer als der Prinz war damals Stockmar, Ungefähr ein Jahr nachher wurde dem Prinzen die belgische Krone entgegengetragen. Aus dem griechischen Vorgange hatte er aber doch einiges gelernt. Jetzt benahm er sich geschickt und klug, und so kam das Königreich Belgien zu Stande. Stockmar begleitete seinen jetzt königlichen Freund auch nach Belgien. Er war und blieb in der Stellung des Vertrauten; alle häus¬ lichen und politischen Fragen wurden zwischen beiden discutirt. Eine große geschäftliche Routine und einen freien politischen Blick hatte sich Stockmar erworben. Aus seinen Aufzeichnungen empfangen wir sehr schätzbare Infor¬ mationen, z. B. über Polignac's Annexionsgelüste 1829, über die belgischen Verhandlungen 1831, die inneren englischen Zustände 1834. Nachher nach dem Regierungsantritte der Königin Victoria trat Stockmar in ihren Dienst, Leopold überließ ihn als einen zuverlässigen Berather und Freund der jungen noch unerfahrenen Nichte. Dem Hause Coburg ist in unserem Jahrhundert ein glücklicher Stern aufgegangen. Nicht wenig hat zu den dynastischen Erfolgen die Persönlichkeit Leopold's beigetragen. Neben und hinter ihm aber stand Stockmar als ein geschickter, weitblickender Rathgeber, oft auch als guter Agent bei vertraulichen discreten Angelegenheiten. Wie glücklich war es, daß er Leopold's Entsagung auf den englischen Jahresgehalt angerathen und auch zu Wege gebracht! Wie geschickt vermittelte er die portugiesische Ehe des coburgischen Prinzen Ferdinand! Und wie eifrig und erfolgreich war sein Bemühen, der jungen englischen Königin den Neffen Leopold's, den Prinzen Albert zum Gemahl zu geben! Was er als der Vertraute des älteren Coburgers, dem doch in England eine ähnliche Aufgabe zugedacht gewesen war, erfahren und gelernt hatte, war er jetzt bereit zu Gunsten des jüngeren Coburgers zu verwerthen. Die politische Einsicht in die englischen Verhältnisse, die angeknüpften persönlichen Be¬ ziehungen zu den leitenden Staatsmännern Englands, seine Stellung in der coburgischen Familie und in den Hofkreisen Englands (war doch die Mutter Victoria's die Schwester Leopold's), — alle diese Mittel stellte er in den Dienst des coburgischen Familienprojektes einer Ehe Victoria's mit ihrem Vetter dem Prinzen Albert. Wir erzählen hier nicht, wie es gelungen ist, die Sache auszuführen, — die Hauptsache war jedenfalls, daß die junge Königin dem Plane ihrer Ver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/332>, abgerufen am 25.08.2024.