Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Zeitung über ihn zu orientiren. "Wir wissen nur Einen Mann, der dieser Stelle
gewachsen ist: von Stockmar. Er ist der vertraute und bewährte Rathgeber des
Königs Leopold, diese Eine Empfehlung mag uns genügen. Er ist aus bürgerlichem
Stande, aus einer ärztlichen Thätigkeit in die politische und diplomatische
Stellung herübergetreten und hat den einfachsten und schlichtesten Sinn bewahrt,
Kopf und Herz auf dem rechten Fleck behalten; er ist in alle großen euro¬
päischen Verhältnisse der Kabinete und Staaten eingeweiht, mit dem englischen
Staatswesen aus langer nächster Kenntnißnahme innig vertraut, mit den
englischen Staatsmännern, mit einer Reihe von Fürsten persönlich bekannt,
von Allen geachtet, von Vielen zu Rathe gezogen, bei Vielen beliebt; nur bei
Louis Philipp und in Nußland war er es nicht; auch das mag ihn uns em¬
pfehlen." Leider haben sich die Aussichten damals zerschlagen, in eine eigentlich
amtliche Thätigkeit ist Stockmar nicht eingetreten.

Es hat Stockmar zu denjenigen Staatsmännern gehört, welche ohne
selbst eine bedeutende active Rolle zu spielen doch den Ereignissen sehr nah
gestanden. Dem Gange des öffentlichen Lebens sah er hinter den Coulissen
zu, mehr wie einmal hat er bei der Regie des Schauspieles hülfreiche Dienste
geleistet, und für eingeweiht in den Zusammenhang der Ereignisse durfte er
meistens gelten. Nun ist es eine sehr glückliche Fügung, daß Stockmar von
dieser Gunst seiner Stellung, seiner Verbindungen und der durch sie gewon¬
nenen Einsicht den Anlaß genommen hat, Einzelnes sich aufzuzeichnen. Nach¬
dem er gestorben, kamen feine Papiere an seinen Sohn. Und dieser ist es,
der das ihm vorliegende Material -- einige wenige für die Veröffentlichung
bestimmte Aufzeichnungen, Briefe an und von Stockmar, Tagebücher und
Niederschriften zu eigenem Gebrauch -- zu einem sehr lesenswerthen und
interessanten Buche zusammengestellt hat. So viel man sehen kann, ist das
vorliegende Buch mit großem Geschick aus dem eben charakterisirten Materials
zusammengearbeitet, so daß mit Pietät die Bruchstücke lesbar gemacht und
aneinandergereiht sind, ohne den ursprünglichen Charakter der väterlichen
Aufzeichnung zu zerstören. Neben das "Leben Bunsen's" treten diese "Denk¬
würdigkeiten Stockmar's"; dem Inhalte und Quellenwerthe nach sind beide
Bücher einander ebenso verwandt wie nach dem literarischen Charakter der
Veröffentlichung. Zu einem Vergleiche beider Männer fordert mehr wie ein
Umstand heraus.

Aus einer Coburger Familie stammte Stockmar. Im Jahre 1787 ge¬
boren, widmete er sich dem Studium der Medicin, prakticirte als Arzt in
Coburg und machte als solcher die Feldzüge 1814 und 181K mit. Er hatte
den Prinzen Leopold von Coburg damals kennen gelernt; zu seinem Leibarzt
berief ihn dieser Prinz 1816, als er der Gemahl der englischen Thronerbin
Charlotte wurde. So kam Stockmar nach England. Er lebte sich damals


Zeitung über ihn zu orientiren. „Wir wissen nur Einen Mann, der dieser Stelle
gewachsen ist: von Stockmar. Er ist der vertraute und bewährte Rathgeber des
Königs Leopold, diese Eine Empfehlung mag uns genügen. Er ist aus bürgerlichem
Stande, aus einer ärztlichen Thätigkeit in die politische und diplomatische
Stellung herübergetreten und hat den einfachsten und schlichtesten Sinn bewahrt,
Kopf und Herz auf dem rechten Fleck behalten; er ist in alle großen euro¬
päischen Verhältnisse der Kabinete und Staaten eingeweiht, mit dem englischen
Staatswesen aus langer nächster Kenntnißnahme innig vertraut, mit den
englischen Staatsmännern, mit einer Reihe von Fürsten persönlich bekannt,
von Allen geachtet, von Vielen zu Rathe gezogen, bei Vielen beliebt; nur bei
Louis Philipp und in Nußland war er es nicht; auch das mag ihn uns em¬
pfehlen." Leider haben sich die Aussichten damals zerschlagen, in eine eigentlich
amtliche Thätigkeit ist Stockmar nicht eingetreten.

Es hat Stockmar zu denjenigen Staatsmännern gehört, welche ohne
selbst eine bedeutende active Rolle zu spielen doch den Ereignissen sehr nah
gestanden. Dem Gange des öffentlichen Lebens sah er hinter den Coulissen
zu, mehr wie einmal hat er bei der Regie des Schauspieles hülfreiche Dienste
geleistet, und für eingeweiht in den Zusammenhang der Ereignisse durfte er
meistens gelten. Nun ist es eine sehr glückliche Fügung, daß Stockmar von
dieser Gunst seiner Stellung, seiner Verbindungen und der durch sie gewon¬
nenen Einsicht den Anlaß genommen hat, Einzelnes sich aufzuzeichnen. Nach¬
dem er gestorben, kamen feine Papiere an seinen Sohn. Und dieser ist es,
der das ihm vorliegende Material — einige wenige für die Veröffentlichung
bestimmte Aufzeichnungen, Briefe an und von Stockmar, Tagebücher und
Niederschriften zu eigenem Gebrauch — zu einem sehr lesenswerthen und
interessanten Buche zusammengestellt hat. So viel man sehen kann, ist das
vorliegende Buch mit großem Geschick aus dem eben charakterisirten Materials
zusammengearbeitet, so daß mit Pietät die Bruchstücke lesbar gemacht und
aneinandergereiht sind, ohne den ursprünglichen Charakter der väterlichen
Aufzeichnung zu zerstören. Neben das „Leben Bunsen's" treten diese „Denk¬
würdigkeiten Stockmar's"; dem Inhalte und Quellenwerthe nach sind beide
Bücher einander ebenso verwandt wie nach dem literarischen Charakter der
Veröffentlichung. Zu einem Vergleiche beider Männer fordert mehr wie ein
Umstand heraus.

Aus einer Coburger Familie stammte Stockmar. Im Jahre 1787 ge¬
boren, widmete er sich dem Studium der Medicin, prakticirte als Arzt in
Coburg und machte als solcher die Feldzüge 1814 und 181K mit. Er hatte
den Prinzen Leopold von Coburg damals kennen gelernt; zu seinem Leibarzt
berief ihn dieser Prinz 1816, als er der Gemahl der englischen Thronerbin
Charlotte wurde. So kam Stockmar nach England. Er lebte sich damals


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0330" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/128784"/>
            <p xml:id="ID_1055" prev="#ID_1054"> Zeitung über ihn zu orientiren. &#x201E;Wir wissen nur Einen Mann, der dieser Stelle<lb/>
gewachsen ist: von Stockmar. Er ist der vertraute und bewährte Rathgeber des<lb/>
Königs Leopold, diese Eine Empfehlung mag uns genügen. Er ist aus bürgerlichem<lb/>
Stande, aus einer ärztlichen Thätigkeit in die politische und diplomatische<lb/>
Stellung herübergetreten und hat den einfachsten und schlichtesten Sinn bewahrt,<lb/>
Kopf und Herz auf dem rechten Fleck behalten; er ist in alle großen euro¬<lb/>
päischen Verhältnisse der Kabinete und Staaten eingeweiht, mit dem englischen<lb/>
Staatswesen aus langer nächster Kenntnißnahme innig vertraut, mit den<lb/>
englischen Staatsmännern, mit einer Reihe von Fürsten persönlich bekannt,<lb/>
von Allen geachtet, von Vielen zu Rathe gezogen, bei Vielen beliebt; nur bei<lb/>
Louis Philipp und in Nußland war er es nicht; auch das mag ihn uns em¬<lb/>
pfehlen." Leider haben sich die Aussichten damals zerschlagen, in eine eigentlich<lb/>
amtliche Thätigkeit ist Stockmar nicht eingetreten.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1056"> Es hat Stockmar zu denjenigen Staatsmännern gehört, welche ohne<lb/>
selbst eine bedeutende active Rolle zu spielen doch den Ereignissen sehr nah<lb/>
gestanden. Dem Gange des öffentlichen Lebens sah er hinter den Coulissen<lb/>
zu, mehr wie einmal hat er bei der Regie des Schauspieles hülfreiche Dienste<lb/>
geleistet, und für eingeweiht in den Zusammenhang der Ereignisse durfte er<lb/>
meistens gelten. Nun ist es eine sehr glückliche Fügung, daß Stockmar von<lb/>
dieser Gunst seiner Stellung, seiner Verbindungen und der durch sie gewon¬<lb/>
nenen Einsicht den Anlaß genommen hat, Einzelnes sich aufzuzeichnen. Nach¬<lb/>
dem er gestorben, kamen feine Papiere an seinen Sohn. Und dieser ist es,<lb/>
der das ihm vorliegende Material &#x2014; einige wenige für die Veröffentlichung<lb/>
bestimmte Aufzeichnungen, Briefe an und von Stockmar, Tagebücher und<lb/>
Niederschriften zu eigenem Gebrauch &#x2014; zu einem sehr lesenswerthen und<lb/>
interessanten Buche zusammengestellt hat. So viel man sehen kann, ist das<lb/>
vorliegende Buch mit großem Geschick aus dem eben charakterisirten Materials<lb/>
zusammengearbeitet, so daß mit Pietät die Bruchstücke lesbar gemacht und<lb/>
aneinandergereiht sind, ohne den ursprünglichen Charakter der väterlichen<lb/>
Aufzeichnung zu zerstören. Neben das &#x201E;Leben Bunsen's" treten diese &#x201E;Denk¬<lb/>
würdigkeiten Stockmar's"; dem Inhalte und Quellenwerthe nach sind beide<lb/>
Bücher einander ebenso verwandt wie nach dem literarischen Charakter der<lb/>
Veröffentlichung. Zu einem Vergleiche beider Männer fordert mehr wie ein<lb/>
Umstand heraus.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1057" next="#ID_1058"> Aus einer Coburger Familie stammte Stockmar. Im Jahre 1787 ge¬<lb/>
boren, widmete er sich dem Studium der Medicin, prakticirte als Arzt in<lb/>
Coburg und machte als solcher die Feldzüge 1814 und 181K mit. Er hatte<lb/>
den Prinzen Leopold von Coburg damals kennen gelernt; zu seinem Leibarzt<lb/>
berief ihn dieser Prinz 1816, als er der Gemahl der englischen Thronerbin<lb/>
Charlotte wurde. So kam Stockmar nach England. Er lebte sich damals</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0330] Zeitung über ihn zu orientiren. „Wir wissen nur Einen Mann, der dieser Stelle gewachsen ist: von Stockmar. Er ist der vertraute und bewährte Rathgeber des Königs Leopold, diese Eine Empfehlung mag uns genügen. Er ist aus bürgerlichem Stande, aus einer ärztlichen Thätigkeit in die politische und diplomatische Stellung herübergetreten und hat den einfachsten und schlichtesten Sinn bewahrt, Kopf und Herz auf dem rechten Fleck behalten; er ist in alle großen euro¬ päischen Verhältnisse der Kabinete und Staaten eingeweiht, mit dem englischen Staatswesen aus langer nächster Kenntnißnahme innig vertraut, mit den englischen Staatsmännern, mit einer Reihe von Fürsten persönlich bekannt, von Allen geachtet, von Vielen zu Rathe gezogen, bei Vielen beliebt; nur bei Louis Philipp und in Nußland war er es nicht; auch das mag ihn uns em¬ pfehlen." Leider haben sich die Aussichten damals zerschlagen, in eine eigentlich amtliche Thätigkeit ist Stockmar nicht eingetreten. Es hat Stockmar zu denjenigen Staatsmännern gehört, welche ohne selbst eine bedeutende active Rolle zu spielen doch den Ereignissen sehr nah gestanden. Dem Gange des öffentlichen Lebens sah er hinter den Coulissen zu, mehr wie einmal hat er bei der Regie des Schauspieles hülfreiche Dienste geleistet, und für eingeweiht in den Zusammenhang der Ereignisse durfte er meistens gelten. Nun ist es eine sehr glückliche Fügung, daß Stockmar von dieser Gunst seiner Stellung, seiner Verbindungen und der durch sie gewon¬ nenen Einsicht den Anlaß genommen hat, Einzelnes sich aufzuzeichnen. Nach¬ dem er gestorben, kamen feine Papiere an seinen Sohn. Und dieser ist es, der das ihm vorliegende Material — einige wenige für die Veröffentlichung bestimmte Aufzeichnungen, Briefe an und von Stockmar, Tagebücher und Niederschriften zu eigenem Gebrauch — zu einem sehr lesenswerthen und interessanten Buche zusammengestellt hat. So viel man sehen kann, ist das vorliegende Buch mit großem Geschick aus dem eben charakterisirten Materials zusammengearbeitet, so daß mit Pietät die Bruchstücke lesbar gemacht und aneinandergereiht sind, ohne den ursprünglichen Charakter der väterlichen Aufzeichnung zu zerstören. Neben das „Leben Bunsen's" treten diese „Denk¬ würdigkeiten Stockmar's"; dem Inhalte und Quellenwerthe nach sind beide Bücher einander ebenso verwandt wie nach dem literarischen Charakter der Veröffentlichung. Zu einem Vergleiche beider Männer fordert mehr wie ein Umstand heraus. Aus einer Coburger Familie stammte Stockmar. Im Jahre 1787 ge¬ boren, widmete er sich dem Studium der Medicin, prakticirte als Arzt in Coburg und machte als solcher die Feldzüge 1814 und 181K mit. Er hatte den Prinzen Leopold von Coburg damals kennen gelernt; zu seinem Leibarzt berief ihn dieser Prinz 1816, als er der Gemahl der englischen Thronerbin Charlotte wurde. So kam Stockmar nach England. Er lebte sich damals

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/330
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/330>, abgerufen am 22.07.2024.