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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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protestantischen Mehrheit gegenüber, welche im Lauf der Zeiten schon wieder¬
holt Anfälle von fanatischer Eifersucht gezeigt hat. mit einer gewissen Vorsicht
auftreten und es läßt sich nicht leugnen, daß Herr v. Hefele und seine Leute
sich hierbei' von Anfang an als sehr gewandte Spieler erprobt haben. Durch
die Allianz mit der Volkspartei und dem Hof wußte man das Mißtrauen
der Masse zu beschwichtigen, während man von der Regierung ein Zugestand'
riß um das andere erlangte. Unter dem Schein des Kampfes gegen den
Cäsarismus, des Eintretens für die Freiheiten des Landes gelang es, den
Nimbus des Liberalismus um sich zu verbreiten und zugleich die Fäden der
großdeutschen Bewegung überall in den Händen zu behalten. Zu diesem
Zwecke unterhält man auch jetzt ein eigenes Organ, das in Stuttgart er¬
scheinende "Deutsche Volksblatt", welches wesentlich auch auf außerkatholische
Kreise berechnet ist, und mit großem Geschicke eine gewisse ablehnende Haltung
gegen die Bestrebungen des Herrn Ketteler und Genossen heuchelt, ohne doch
den letzteren irgend wie entgegen zu treten; äußerlich tritt es als das officielle
Organ der Katholiken im Lande auf. welches sich seit Jahren der Original-
correspondenzen des Herrn v. Hefele erfreut, während es in politischen Fragen
durch engen Anschluß an die Tendenz des "Beobachters" den Beifall der
Volkspartei zu erlangen sucht. Die Masse des katholischen Volkes erhält
eine ganz andere Kost. Neben der Berliner "Germania", welche bereits in die
fernsten Winkel des Landes gedrungen ist, wird dieselbe ausschließlich durch
kleine Wochenblätter gespeist, welche, von der übrigen Presse wie von den
politischen Kreisen ganz unbeachtet, seit Jahren das katholische Publikum be¬
herrschen und in der Manier verwandter bayrischer Blättchen über Cleriker
und Laien einen Terrorismus ausüben, dem sich selbst freier denkende Männer
nicht mehr zu entziehen vermögen. Auf diese Weise ist es gelungen, dem Jn-
fallibilitärsdogma in Württemberg allgemeine Anerkennung zu verschaffen, so-
daß sich factisch nicht eine einzige kirchliche Stimme dagegen erhob. Hatte sich
doch selbst das Organ der schwäbischen Volkepartei, der Beobachter, von Be¬
ginn des Streits auf die Seite der Jnfallibilisten gestellt und jeden verun¬
glimpft, der es wagte, dem Dogma entgegenzutreten! Die Curie hat also
allen Grund, mit Herrn v, Hefele zufrieden zu sein. An die Gewissensscrupel,
von welchen letzterer in seinem Schreiben an Dr, Bauerband vom 1l. No¬
vember 1870 spricht, haben hier zu Lande nur Wenige geglaubt. Hefele war
seit den vierziger Jahren stets einer der eifrigsten Vorkämpfer der eurialistischen
Ansichten gewesen. Den Kampf zwischen wissenschaftlicher Ueberzeugung und
Unterwerfung unter das kirchliche Gebot hatte er seit Jahren hinter sich. Er
wußte, daß es sich bei der Frage von der Jnfallibilität. wie bei der unbe¬
fleckten Empfängnis?, um eine kirchliche Dogmenfabrikation und nicht um eine
Gewissensfrage handelte: für ihn wie für Herrn v, Ketteler kam vielmehr


protestantischen Mehrheit gegenüber, welche im Lauf der Zeiten schon wieder¬
holt Anfälle von fanatischer Eifersucht gezeigt hat. mit einer gewissen Vorsicht
auftreten und es läßt sich nicht leugnen, daß Herr v. Hefele und seine Leute
sich hierbei' von Anfang an als sehr gewandte Spieler erprobt haben. Durch
die Allianz mit der Volkspartei und dem Hof wußte man das Mißtrauen
der Masse zu beschwichtigen, während man von der Regierung ein Zugestand'
riß um das andere erlangte. Unter dem Schein des Kampfes gegen den
Cäsarismus, des Eintretens für die Freiheiten des Landes gelang es, den
Nimbus des Liberalismus um sich zu verbreiten und zugleich die Fäden der
großdeutschen Bewegung überall in den Händen zu behalten. Zu diesem
Zwecke unterhält man auch jetzt ein eigenes Organ, das in Stuttgart er¬
scheinende „Deutsche Volksblatt", welches wesentlich auch auf außerkatholische
Kreise berechnet ist, und mit großem Geschicke eine gewisse ablehnende Haltung
gegen die Bestrebungen des Herrn Ketteler und Genossen heuchelt, ohne doch
den letzteren irgend wie entgegen zu treten; äußerlich tritt es als das officielle
Organ der Katholiken im Lande auf. welches sich seit Jahren der Original-
correspondenzen des Herrn v. Hefele erfreut, während es in politischen Fragen
durch engen Anschluß an die Tendenz des „Beobachters" den Beifall der
Volkspartei zu erlangen sucht. Die Masse des katholischen Volkes erhält
eine ganz andere Kost. Neben der Berliner „Germania", welche bereits in die
fernsten Winkel des Landes gedrungen ist, wird dieselbe ausschließlich durch
kleine Wochenblätter gespeist, welche, von der übrigen Presse wie von den
politischen Kreisen ganz unbeachtet, seit Jahren das katholische Publikum be¬
herrschen und in der Manier verwandter bayrischer Blättchen über Cleriker
und Laien einen Terrorismus ausüben, dem sich selbst freier denkende Männer
nicht mehr zu entziehen vermögen. Auf diese Weise ist es gelungen, dem Jn-
fallibilitärsdogma in Württemberg allgemeine Anerkennung zu verschaffen, so-
daß sich factisch nicht eine einzige kirchliche Stimme dagegen erhob. Hatte sich
doch selbst das Organ der schwäbischen Volkepartei, der Beobachter, von Be¬
ginn des Streits auf die Seite der Jnfallibilisten gestellt und jeden verun¬
glimpft, der es wagte, dem Dogma entgegenzutreten! Die Curie hat also
allen Grund, mit Herrn v, Hefele zufrieden zu sein. An die Gewissensscrupel,
von welchen letzterer in seinem Schreiben an Dr, Bauerband vom 1l. No¬
vember 1870 spricht, haben hier zu Lande nur Wenige geglaubt. Hefele war
seit den vierziger Jahren stets einer der eifrigsten Vorkämpfer der eurialistischen
Ansichten gewesen. Den Kampf zwischen wissenschaftlicher Ueberzeugung und
Unterwerfung unter das kirchliche Gebot hatte er seit Jahren hinter sich. Er
wußte, daß es sich bei der Frage von der Jnfallibilität. wie bei der unbe¬
fleckten Empfängnis?, um eine kirchliche Dogmenfabrikation und nicht um eine
Gewissensfrage handelte: für ihn wie für Herrn v, Ketteler kam vielmehr


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[0324] protestantischen Mehrheit gegenüber, welche im Lauf der Zeiten schon wieder¬ holt Anfälle von fanatischer Eifersucht gezeigt hat. mit einer gewissen Vorsicht auftreten und es läßt sich nicht leugnen, daß Herr v. Hefele und seine Leute sich hierbei' von Anfang an als sehr gewandte Spieler erprobt haben. Durch die Allianz mit der Volkspartei und dem Hof wußte man das Mißtrauen der Masse zu beschwichtigen, während man von der Regierung ein Zugestand' riß um das andere erlangte. Unter dem Schein des Kampfes gegen den Cäsarismus, des Eintretens für die Freiheiten des Landes gelang es, den Nimbus des Liberalismus um sich zu verbreiten und zugleich die Fäden der großdeutschen Bewegung überall in den Händen zu behalten. Zu diesem Zwecke unterhält man auch jetzt ein eigenes Organ, das in Stuttgart er¬ scheinende „Deutsche Volksblatt", welches wesentlich auch auf außerkatholische Kreise berechnet ist, und mit großem Geschicke eine gewisse ablehnende Haltung gegen die Bestrebungen des Herrn Ketteler und Genossen heuchelt, ohne doch den letzteren irgend wie entgegen zu treten; äußerlich tritt es als das officielle Organ der Katholiken im Lande auf. welches sich seit Jahren der Original- correspondenzen des Herrn v. Hefele erfreut, während es in politischen Fragen durch engen Anschluß an die Tendenz des „Beobachters" den Beifall der Volkspartei zu erlangen sucht. Die Masse des katholischen Volkes erhält eine ganz andere Kost. Neben der Berliner „Germania", welche bereits in die fernsten Winkel des Landes gedrungen ist, wird dieselbe ausschließlich durch kleine Wochenblätter gespeist, welche, von der übrigen Presse wie von den politischen Kreisen ganz unbeachtet, seit Jahren das katholische Publikum be¬ herrschen und in der Manier verwandter bayrischer Blättchen über Cleriker und Laien einen Terrorismus ausüben, dem sich selbst freier denkende Männer nicht mehr zu entziehen vermögen. Auf diese Weise ist es gelungen, dem Jn- fallibilitärsdogma in Württemberg allgemeine Anerkennung zu verschaffen, so- daß sich factisch nicht eine einzige kirchliche Stimme dagegen erhob. Hatte sich doch selbst das Organ der schwäbischen Volkepartei, der Beobachter, von Be¬ ginn des Streits auf die Seite der Jnfallibilisten gestellt und jeden verun¬ glimpft, der es wagte, dem Dogma entgegenzutreten! Die Curie hat also allen Grund, mit Herrn v, Hefele zufrieden zu sein. An die Gewissensscrupel, von welchen letzterer in seinem Schreiben an Dr, Bauerband vom 1l. No¬ vember 1870 spricht, haben hier zu Lande nur Wenige geglaubt. Hefele war seit den vierziger Jahren stets einer der eifrigsten Vorkämpfer der eurialistischen Ansichten gewesen. Den Kampf zwischen wissenschaftlicher Ueberzeugung und Unterwerfung unter das kirchliche Gebot hatte er seit Jahren hinter sich. Er wußte, daß es sich bei der Frage von der Jnfallibilität. wie bei der unbe¬ fleckten Empfängnis?, um eine kirchliche Dogmenfabrikation und nicht um eine Gewissensfrage handelte: für ihn wie für Herrn v, Ketteler kam vielmehr

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/324>, abgerufen am 22.07.2024.