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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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in der schwarzen Dammerde sind zahlreiche Ueberbleibsel verschiedener Perioden
gefunden worden: mit Tutter versehene Cette, Bronzemesser, Stückchen Roh¬
kupfer, über 400 Feuersteinscherben, Spindelwirtel, Knocheninstrumente, Töpfer¬
waare -- einige von entschieden römischem Character -- zahlreiche Säugethier-
reste von lebenden Arten und endlich einige Menschenknochen, an denen man
Spuren nachweisen will, die auf Kannibalismus deuten.

Es liegt auf der Hand, daß die Ueberreste der Kent's Höhle über dem
als Ur. 2 bezeichneten Stalagmit zur neolithischen oder Oberflächenperivde der
Steinzeit gehören und es ist anzunehmen, daß die Steinzeitmenschen jeglicher
Periode, ob Kannibalen oder nicht, die Höhlen des Districts, in dem sie
jagend und fischend umherzogen, sich zum Obdache auserwählten. Aber
mit diesen verhältnißmäßig modernen Höhlenbewohnern haben wir es nicht
zu thun; sie sind die Leute der polirten Geräthe; wir müssen jetzt die älteren
Höhlenmenschen betrachten, die in derselben Höhle wohnten, als der Stalagmit,
auf welchem die jüngeren Höhlenmenschen wandelten, noch gar nicht aus dem
Wasser abgesetzt war. Wie lange Zeit darüber vergehen mußte, ehe die ein
bis drei Fuß dicke Stalagmitdecke gebildet wurde, welche die Geräthe und
Knochen deckt, ist schwer zu bestimmen, da das Verhältniß der Ablagerungs¬
mengen nach Umständen sehr schwankt. Aber außer dem Stalagmit geben
uns die mit den menschlichen Gerathen aufgefundenen Knochen ausgestorbener
Säugethierarten einen ferneren Beweis für das hohe Alter der Menschen, die
hier lebten. Die von Boyd Dawkins aufgestellte Liste der Säugethierreste
von Kent's Cave enthält folgende Thiere: der braune Bär (Hrsus ^rews),
der Höhlenbär (II. sxelasus), der Grizzlybär (II. 5ewx), die Höhlenhyäne
(IlznkNg, szMaöa), der Höhlenlöwe (?eus I,co var. "xel-ron,), der Niesenhirsch
(Lervus meZaeews), das Renthier ((ü. Ila-anäus), der Ur (Los xrimiMnius)
der Auerochs (Los Lisov), das wollige Nashorn (Mwoceros tielwrlumrs),
das Mammuth "Msplms xrinuZemus). Eine stattliche Gesellschaft, in der
der alte Höhlenmensch der paläolithischen Zeit lebte. Boyd Dawkins hat
auch in seiner Arbeit den Unterschied zwischen der Fauna der pleistocenen,
quaternären oder paläolithischen Periode und jener der neolithischen hervor
gehoben. Von 48 gut bestimmten Arten der paläolithischen Zeit, lebten nur
noch 31 in der neolithischen und von diesen letzteren leben dauernd 25 bis
heute in England fort. Der Höhlenbär, der Höhlenlöwe, die Höhlenhyäne
sind mit den großen Dickhäutern zusammen ausgestorben; der Riesenhirsch
aber blieb noch. Das Nenthier, erst ungemein häusig in der postglacialen
Periode, lebte noch in kleiner Zahl, während der vordem seltene Edelhirsch
nun häufig wurde und die Weidegründe einnahm, welche früher das Ren be¬
sessen. Mit dieser einen Ausnahme hatten sich alle der arktischen Thierwelt
ungehörigen Vertreter, wie Moschusochs und Murmelthier, nach Norden


in der schwarzen Dammerde sind zahlreiche Ueberbleibsel verschiedener Perioden
gefunden worden: mit Tutter versehene Cette, Bronzemesser, Stückchen Roh¬
kupfer, über 400 Feuersteinscherben, Spindelwirtel, Knocheninstrumente, Töpfer¬
waare — einige von entschieden römischem Character — zahlreiche Säugethier-
reste von lebenden Arten und endlich einige Menschenknochen, an denen man
Spuren nachweisen will, die auf Kannibalismus deuten.

Es liegt auf der Hand, daß die Ueberreste der Kent's Höhle über dem
als Ur. 2 bezeichneten Stalagmit zur neolithischen oder Oberflächenperivde der
Steinzeit gehören und es ist anzunehmen, daß die Steinzeitmenschen jeglicher
Periode, ob Kannibalen oder nicht, die Höhlen des Districts, in dem sie
jagend und fischend umherzogen, sich zum Obdache auserwählten. Aber
mit diesen verhältnißmäßig modernen Höhlenbewohnern haben wir es nicht
zu thun; sie sind die Leute der polirten Geräthe; wir müssen jetzt die älteren
Höhlenmenschen betrachten, die in derselben Höhle wohnten, als der Stalagmit,
auf welchem die jüngeren Höhlenmenschen wandelten, noch gar nicht aus dem
Wasser abgesetzt war. Wie lange Zeit darüber vergehen mußte, ehe die ein
bis drei Fuß dicke Stalagmitdecke gebildet wurde, welche die Geräthe und
Knochen deckt, ist schwer zu bestimmen, da das Verhältniß der Ablagerungs¬
mengen nach Umständen sehr schwankt. Aber außer dem Stalagmit geben
uns die mit den menschlichen Gerathen aufgefundenen Knochen ausgestorbener
Säugethierarten einen ferneren Beweis für das hohe Alter der Menschen, die
hier lebten. Die von Boyd Dawkins aufgestellte Liste der Säugethierreste
von Kent's Cave enthält folgende Thiere: der braune Bär (Hrsus ^rews),
der Höhlenbär (II. sxelasus), der Grizzlybär (II. 5ewx), die Höhlenhyäne
(IlznkNg, szMaöa), der Höhlenlöwe (?eus I,co var. «xel-ron,), der Niesenhirsch
(Lervus meZaeews), das Renthier ((ü. Ila-anäus), der Ur (Los xrimiMnius)
der Auerochs (Los Lisov), das wollige Nashorn (Mwoceros tielwrlumrs),
das Mammuth «Msplms xrinuZemus). Eine stattliche Gesellschaft, in der
der alte Höhlenmensch der paläolithischen Zeit lebte. Boyd Dawkins hat
auch in seiner Arbeit den Unterschied zwischen der Fauna der pleistocenen,
quaternären oder paläolithischen Periode und jener der neolithischen hervor
gehoben. Von 48 gut bestimmten Arten der paläolithischen Zeit, lebten nur
noch 31 in der neolithischen und von diesen letzteren leben dauernd 25 bis
heute in England fort. Der Höhlenbär, der Höhlenlöwe, die Höhlenhyäne
sind mit den großen Dickhäutern zusammen ausgestorben; der Riesenhirsch
aber blieb noch. Das Nenthier, erst ungemein häusig in der postglacialen
Periode, lebte noch in kleiner Zahl, während der vordem seltene Edelhirsch
nun häufig wurde und die Weidegründe einnahm, welche früher das Ren be¬
sessen. Mit dieser einen Ausnahme hatten sich alle der arktischen Thierwelt
ungehörigen Vertreter, wie Moschusochs und Murmelthier, nach Norden


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[0311] in der schwarzen Dammerde sind zahlreiche Ueberbleibsel verschiedener Perioden gefunden worden: mit Tutter versehene Cette, Bronzemesser, Stückchen Roh¬ kupfer, über 400 Feuersteinscherben, Spindelwirtel, Knocheninstrumente, Töpfer¬ waare — einige von entschieden römischem Character — zahlreiche Säugethier- reste von lebenden Arten und endlich einige Menschenknochen, an denen man Spuren nachweisen will, die auf Kannibalismus deuten. Es liegt auf der Hand, daß die Ueberreste der Kent's Höhle über dem als Ur. 2 bezeichneten Stalagmit zur neolithischen oder Oberflächenperivde der Steinzeit gehören und es ist anzunehmen, daß die Steinzeitmenschen jeglicher Periode, ob Kannibalen oder nicht, die Höhlen des Districts, in dem sie jagend und fischend umherzogen, sich zum Obdache auserwählten. Aber mit diesen verhältnißmäßig modernen Höhlenbewohnern haben wir es nicht zu thun; sie sind die Leute der polirten Geräthe; wir müssen jetzt die älteren Höhlenmenschen betrachten, die in derselben Höhle wohnten, als der Stalagmit, auf welchem die jüngeren Höhlenmenschen wandelten, noch gar nicht aus dem Wasser abgesetzt war. Wie lange Zeit darüber vergehen mußte, ehe die ein bis drei Fuß dicke Stalagmitdecke gebildet wurde, welche die Geräthe und Knochen deckt, ist schwer zu bestimmen, da das Verhältniß der Ablagerungs¬ mengen nach Umständen sehr schwankt. Aber außer dem Stalagmit geben uns die mit den menschlichen Gerathen aufgefundenen Knochen ausgestorbener Säugethierarten einen ferneren Beweis für das hohe Alter der Menschen, die hier lebten. Die von Boyd Dawkins aufgestellte Liste der Säugethierreste von Kent's Cave enthält folgende Thiere: der braune Bär (Hrsus ^rews), der Höhlenbär (II. sxelasus), der Grizzlybär (II. 5ewx), die Höhlenhyäne (IlznkNg, szMaöa), der Höhlenlöwe (?eus I,co var. «xel-ron,), der Niesenhirsch (Lervus meZaeews), das Renthier ((ü. Ila-anäus), der Ur (Los xrimiMnius) der Auerochs (Los Lisov), das wollige Nashorn (Mwoceros tielwrlumrs), das Mammuth «Msplms xrinuZemus). Eine stattliche Gesellschaft, in der der alte Höhlenmensch der paläolithischen Zeit lebte. Boyd Dawkins hat auch in seiner Arbeit den Unterschied zwischen der Fauna der pleistocenen, quaternären oder paläolithischen Periode und jener der neolithischen hervor gehoben. Von 48 gut bestimmten Arten der paläolithischen Zeit, lebten nur noch 31 in der neolithischen und von diesen letzteren leben dauernd 25 bis heute in England fort. Der Höhlenbär, der Höhlenlöwe, die Höhlenhyäne sind mit den großen Dickhäutern zusammen ausgestorben; der Riesenhirsch aber blieb noch. Das Nenthier, erst ungemein häusig in der postglacialen Periode, lebte noch in kleiner Zahl, während der vordem seltene Edelhirsch nun häufig wurde und die Weidegründe einnahm, welche früher das Ren be¬ sessen. Mit dieser einen Ausnahme hatten sich alle der arktischen Thierwelt ungehörigen Vertreter, wie Moschusochs und Murmelthier, nach Norden

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/311>, abgerufen am 22.07.2024.