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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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anständige und unanständige, konservative und liberale, nationale und fort¬
schrittliche Zeitungen, aber keine "demokratische" im Sinne Jacoby's, mit
Ausnahme eines einzigen Blattes, welches nach jener viel berufenen Ne-
orgcmisationsreise dieselbe Armuth an Gedanken , Abonnenten und Inseraten
zeigt, wie vorher. -- Das zweite Mal hieß es Jacoby werde in Berlin zum
Landtag gewählt werden. Indessen der dritte Berliner Wahlkreis, welcher
inzwischen durch den Rücktritt von Schulze<Delitsch erledigt war, verwarf die
Candidatur von Jacoby und wählte statt dessen einen Königl. Preußischen
Geheimen Regierungsrath a. D. Namens Kerse, von welchem wir im Grunde
nichts wissen, als daß er den Wählern in seiner Candidatur-Rede erzählt hat,
"wie er, mit dem Jagdrock von Büffeln bekleidet, Scalpe und Bärentatzen am
Gürtel, durch die amerikanischen Prärien gewandert ist; wie er durch den
glühenden Sand in Afrikas Wüste seinen schäumenden Hengst gespornt hat;
wie ihn in Paraguay die Spitzen des Jesuitenstaates in Procession empfangen
haben, während das Volk jubelte: Hallelujah, Hosianna, der Geheime Re¬
gierungsrath Kerse ist da." -- Nachdem dieser geographische Cursus von den
wißbegierigen Wählern mit Dankbarkeit und Vergnügen aufgenommen worden
war, erntete Herr Kerse schließlich mit der Versicherung: "Ein ungebildetes
Weib kann nie die Mutter einer großen Nation werden" einen
wahrhaft frenetischen Beifall der gebildeten Wähler der Metropole der In¬
telligenz. Einem Auswärtigen ist letzteres vielleicht unbegreiflich; allein doch
bloß deshalb, weil er sich in den hohen Gedankenflug des "richtigen" Berliners
nicht zu finden weiß. Dieser Gedankengang war offenbar bei einem jeden
Einzelnen der vereinigten Beifallspender folgender: "Ich bin ein gebildeter
Berliner; folglich ist meine Frau auch eine gebildete Berlinerin. Ein unge¬
bildetes Weib kann nicht die Mutter einer großen Nation werden: folglich
kann es ein gebildetes. Folglich kann meine Frau als eine gebildete Berli¬
nerin die Mutter einer großen Nation werden. Folglich werde ich der Vater
einer gebildeten Nation und stehe jroß da!"

Natürlich konnte unter solchen Umständen Niemand Anders gewählt
werden, als der Königliche Geheime Regierungs-Rath a, D. Kerse. Er erhielt
beinahe alle Stimmen; sein fortschrittlicher Gegencandidat Herr Oberlehrer
Petsch, welchen kein Geringerer, als Herr Schulze-Delitzsch selbst empfohlen hatte,
erhielt nur vier Stimmen -- und Jacoby nur zwei. Der letztere wird sich mit
philosophischem Gleichmuthe über diesen Mißerfolg zu trösten wissen. Er verab¬
scheut ja die "Erfolg-Anbeter" und muß daher, vermöge des N-gumentum n,
coutrui'lo, an dem Mißerfolg sein besonderes Vergnügen haben. Natürlich
nicht an dem Mißerfolge Anderer -- denn das wäre ja gemeine Schaden¬
freude, welche einem Philosophen nicht ziemt, -- sondern an dem Mißerfolge
seiner selbst.


anständige und unanständige, konservative und liberale, nationale und fort¬
schrittliche Zeitungen, aber keine „demokratische" im Sinne Jacoby's, mit
Ausnahme eines einzigen Blattes, welches nach jener viel berufenen Ne-
orgcmisationsreise dieselbe Armuth an Gedanken , Abonnenten und Inseraten
zeigt, wie vorher. — Das zweite Mal hieß es Jacoby werde in Berlin zum
Landtag gewählt werden. Indessen der dritte Berliner Wahlkreis, welcher
inzwischen durch den Rücktritt von Schulze<Delitsch erledigt war, verwarf die
Candidatur von Jacoby und wählte statt dessen einen Königl. Preußischen
Geheimen Regierungsrath a. D. Namens Kerse, von welchem wir im Grunde
nichts wissen, als daß er den Wählern in seiner Candidatur-Rede erzählt hat,
„wie er, mit dem Jagdrock von Büffeln bekleidet, Scalpe und Bärentatzen am
Gürtel, durch die amerikanischen Prärien gewandert ist; wie er durch den
glühenden Sand in Afrikas Wüste seinen schäumenden Hengst gespornt hat;
wie ihn in Paraguay die Spitzen des Jesuitenstaates in Procession empfangen
haben, während das Volk jubelte: Hallelujah, Hosianna, der Geheime Re¬
gierungsrath Kerse ist da." — Nachdem dieser geographische Cursus von den
wißbegierigen Wählern mit Dankbarkeit und Vergnügen aufgenommen worden
war, erntete Herr Kerse schließlich mit der Versicherung: „Ein ungebildetes
Weib kann nie die Mutter einer großen Nation werden" einen
wahrhaft frenetischen Beifall der gebildeten Wähler der Metropole der In¬
telligenz. Einem Auswärtigen ist letzteres vielleicht unbegreiflich; allein doch
bloß deshalb, weil er sich in den hohen Gedankenflug des „richtigen" Berliners
nicht zu finden weiß. Dieser Gedankengang war offenbar bei einem jeden
Einzelnen der vereinigten Beifallspender folgender: „Ich bin ein gebildeter
Berliner; folglich ist meine Frau auch eine gebildete Berlinerin. Ein unge¬
bildetes Weib kann nicht die Mutter einer großen Nation werden: folglich
kann es ein gebildetes. Folglich kann meine Frau als eine gebildete Berli¬
nerin die Mutter einer großen Nation werden. Folglich werde ich der Vater
einer gebildeten Nation und stehe jroß da!"

Natürlich konnte unter solchen Umständen Niemand Anders gewählt
werden, als der Königliche Geheime Regierungs-Rath a, D. Kerse. Er erhielt
beinahe alle Stimmen; sein fortschrittlicher Gegencandidat Herr Oberlehrer
Petsch, welchen kein Geringerer, als Herr Schulze-Delitzsch selbst empfohlen hatte,
erhielt nur vier Stimmen — und Jacoby nur zwei. Der letztere wird sich mit
philosophischem Gleichmuthe über diesen Mißerfolg zu trösten wissen. Er verab¬
scheut ja die „Erfolg-Anbeter" und muß daher, vermöge des N-gumentum n,
coutrui'lo, an dem Mißerfolg sein besonderes Vergnügen haben. Natürlich
nicht an dem Mißerfolge Anderer — denn das wäre ja gemeine Schaden¬
freude, welche einem Philosophen nicht ziemt, — sondern an dem Mißerfolge
seiner selbst.


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[0290] anständige und unanständige, konservative und liberale, nationale und fort¬ schrittliche Zeitungen, aber keine „demokratische" im Sinne Jacoby's, mit Ausnahme eines einzigen Blattes, welches nach jener viel berufenen Ne- orgcmisationsreise dieselbe Armuth an Gedanken , Abonnenten und Inseraten zeigt, wie vorher. — Das zweite Mal hieß es Jacoby werde in Berlin zum Landtag gewählt werden. Indessen der dritte Berliner Wahlkreis, welcher inzwischen durch den Rücktritt von Schulze<Delitsch erledigt war, verwarf die Candidatur von Jacoby und wählte statt dessen einen Königl. Preußischen Geheimen Regierungsrath a. D. Namens Kerse, von welchem wir im Grunde nichts wissen, als daß er den Wählern in seiner Candidatur-Rede erzählt hat, „wie er, mit dem Jagdrock von Büffeln bekleidet, Scalpe und Bärentatzen am Gürtel, durch die amerikanischen Prärien gewandert ist; wie er durch den glühenden Sand in Afrikas Wüste seinen schäumenden Hengst gespornt hat; wie ihn in Paraguay die Spitzen des Jesuitenstaates in Procession empfangen haben, während das Volk jubelte: Hallelujah, Hosianna, der Geheime Re¬ gierungsrath Kerse ist da." — Nachdem dieser geographische Cursus von den wißbegierigen Wählern mit Dankbarkeit und Vergnügen aufgenommen worden war, erntete Herr Kerse schließlich mit der Versicherung: „Ein ungebildetes Weib kann nie die Mutter einer großen Nation werden" einen wahrhaft frenetischen Beifall der gebildeten Wähler der Metropole der In¬ telligenz. Einem Auswärtigen ist letzteres vielleicht unbegreiflich; allein doch bloß deshalb, weil er sich in den hohen Gedankenflug des „richtigen" Berliners nicht zu finden weiß. Dieser Gedankengang war offenbar bei einem jeden Einzelnen der vereinigten Beifallspender folgender: „Ich bin ein gebildeter Berliner; folglich ist meine Frau auch eine gebildete Berlinerin. Ein unge¬ bildetes Weib kann nicht die Mutter einer großen Nation werden: folglich kann es ein gebildetes. Folglich kann meine Frau als eine gebildete Berli¬ nerin die Mutter einer großen Nation werden. Folglich werde ich der Vater einer gebildeten Nation und stehe jroß da!" Natürlich konnte unter solchen Umständen Niemand Anders gewählt werden, als der Königliche Geheime Regierungs-Rath a, D. Kerse. Er erhielt beinahe alle Stimmen; sein fortschrittlicher Gegencandidat Herr Oberlehrer Petsch, welchen kein Geringerer, als Herr Schulze-Delitzsch selbst empfohlen hatte, erhielt nur vier Stimmen — und Jacoby nur zwei. Der letztere wird sich mit philosophischem Gleichmuthe über diesen Mißerfolg zu trösten wissen. Er verab¬ scheut ja die „Erfolg-Anbeter" und muß daher, vermöge des N-gumentum n, coutrui'lo, an dem Mißerfolg sein besonderes Vergnügen haben. Natürlich nicht an dem Mißerfolge Anderer — denn das wäre ja gemeine Schaden¬ freude, welche einem Philosophen nicht ziemt, — sondern an dem Mißerfolge seiner selbst.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/290>, abgerufen am 22.07.2024.