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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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Mation des Depotbataillons abgab und zu seiner Completirung auf Kriegs¬
stärke 250 Reserven bedürfte, so kann man abnehmen, welche ungeheure
Menge von Menschen mit einem Schlage in Bewegung gesetzt wurden. --
"Von Marseille bis Brest, von Bayonne bis Lille (fährt Napoleon fort) sind
nun alle Straßen und Wege im eigentlichsten Sinne des Wortes von den^
Soldaten durchzogen, da sie von einem Ende Frankreichs bis zum andern
gehen müssen, um ihre Depots zu suchen und von dort wieder weiter ziehen
müssen, um sich ihren Regimentern anzuschließen." (Es ist vorgekommen, daß
Reservisten aus dem Elsaß nach Algier geschickt wurden, dort eingekleidet
wurden und dann mit ihrem Regiments wieder in das Elsaß zurückkehrten.)

..Die ganze Organisation für die Kriegszeit ist erst zu
schaffen: man muß die Regimenter bezeichnen, die zur Bildung von Bri¬
gaden und Divisionen bestimmt sind, man muß oft von weit her die
Batterien und Genie-Compagnien kommen lassen, die diesen Divisionen zuge¬
wiesen werden; man muß die Intendantur, die Trainparks, den Krankendienst
organistren; man muß den Stab eines jeden Armee-Corps, einer jeden Divi¬
sion und Brigade bilden: auf diese Weise sind mehrere Hundert Generale,
Officiere aller Grade, Intendanten, Chirurgen gezwungen, sich in Eile beritten
zu machen und zu equipiren und sich zu einem Corps zu begeben, das sie
nicht kennen."*)

Eben so unvollkommen und schwerfällig wie die Mobilmachung des Per¬
sonals ist die des Materials; auch in Bezug aus dieses rächte sich die über¬
mäßige Centralisation auf das Empfindlichste. Da der Kriegsminister
allgewaltig herrschte und die Regimenter ohne Zwischeninstanz direct unter
ihm standen, so wendete sich nun Alles an Leboeuf, der mit seinem g.la"-
im>j0r-g6u6rat Lebrun und seinem ganzen Stäbe vom Beginn der Mobil¬
machung a'n den Kopf verloren hatte. Die Intendantur aber, auf die
er sich hätte stützen sollen können, zeigte sich ihrer Aufgabe in keiner Weise
gewachsen.**) Die vermittelnde Thätigkeit von Corps- und Divisions-Jnten-
danturen, welche in Preußen auch zur Friedenszeit bestehen, fehlte. Die (Zen¬
tralbehörde aber, der auch die Verwaltung der Militärgerichtsbarkeit und des
Sanitätswesens zufiel, war einerseits mit Arbeit überhäuft, andererseits herrsch¬
ten (französischen Aussprüchen zufolge) Flatterhaftigkeit, Unordnung, ja Un¬
redlichkeit in ihren Reihen und wirkten um so schlimmer, als die Beschaffungs-




") Zahlreiche bekannte Beispiele dieser Verwirrung im Personal des Heeres
sowie in der Gestellung des Kriegsmaterials bieten die von der "Negierung der na¬
tionalen Vertheidigung" in Paris veröffentlichten geheimen Tuilerien-Papiere.
") I/wtoMimes wilitairo xeoctaut I", Kuerrs 6s 1870/71. ^usWe^tioll et Röorsam'sirtion
par H,nittvls Liustior, Lous-mtsuaimt militiürs, Paris 1871.

Mation des Depotbataillons abgab und zu seiner Completirung auf Kriegs¬
stärke 250 Reserven bedürfte, so kann man abnehmen, welche ungeheure
Menge von Menschen mit einem Schlage in Bewegung gesetzt wurden. —
„Von Marseille bis Brest, von Bayonne bis Lille (fährt Napoleon fort) sind
nun alle Straßen und Wege im eigentlichsten Sinne des Wortes von den^
Soldaten durchzogen, da sie von einem Ende Frankreichs bis zum andern
gehen müssen, um ihre Depots zu suchen und von dort wieder weiter ziehen
müssen, um sich ihren Regimentern anzuschließen." (Es ist vorgekommen, daß
Reservisten aus dem Elsaß nach Algier geschickt wurden, dort eingekleidet
wurden und dann mit ihrem Regiments wieder in das Elsaß zurückkehrten.)

..Die ganze Organisation für die Kriegszeit ist erst zu
schaffen: man muß die Regimenter bezeichnen, die zur Bildung von Bri¬
gaden und Divisionen bestimmt sind, man muß oft von weit her die
Batterien und Genie-Compagnien kommen lassen, die diesen Divisionen zuge¬
wiesen werden; man muß die Intendantur, die Trainparks, den Krankendienst
organistren; man muß den Stab eines jeden Armee-Corps, einer jeden Divi¬
sion und Brigade bilden: auf diese Weise sind mehrere Hundert Generale,
Officiere aller Grade, Intendanten, Chirurgen gezwungen, sich in Eile beritten
zu machen und zu equipiren und sich zu einem Corps zu begeben, das sie
nicht kennen."*)

Eben so unvollkommen und schwerfällig wie die Mobilmachung des Per¬
sonals ist die des Materials; auch in Bezug aus dieses rächte sich die über¬
mäßige Centralisation auf das Empfindlichste. Da der Kriegsminister
allgewaltig herrschte und die Regimenter ohne Zwischeninstanz direct unter
ihm standen, so wendete sich nun Alles an Leboeuf, der mit seinem g.la«-
im>j0r-g6u6rat Lebrun und seinem ganzen Stäbe vom Beginn der Mobil¬
machung a'n den Kopf verloren hatte. Die Intendantur aber, auf die
er sich hätte stützen sollen können, zeigte sich ihrer Aufgabe in keiner Weise
gewachsen.**) Die vermittelnde Thätigkeit von Corps- und Divisions-Jnten-
danturen, welche in Preußen auch zur Friedenszeit bestehen, fehlte. Die (Zen¬
tralbehörde aber, der auch die Verwaltung der Militärgerichtsbarkeit und des
Sanitätswesens zufiel, war einerseits mit Arbeit überhäuft, andererseits herrsch¬
ten (französischen Aussprüchen zufolge) Flatterhaftigkeit, Unordnung, ja Un¬
redlichkeit in ihren Reihen und wirkten um so schlimmer, als die Beschaffungs-




") Zahlreiche bekannte Beispiele dieser Verwirrung im Personal des Heeres
sowie in der Gestellung des Kriegsmaterials bieten die von der „Negierung der na¬
tionalen Vertheidigung" in Paris veröffentlichten geheimen Tuilerien-Papiere.
") I/wtoMimes wilitairo xeoctaut I«, Kuerrs 6s 1870/71. ^usWe^tioll et Röorsam'sirtion
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[0178] Mation des Depotbataillons abgab und zu seiner Completirung auf Kriegs¬ stärke 250 Reserven bedürfte, so kann man abnehmen, welche ungeheure Menge von Menschen mit einem Schlage in Bewegung gesetzt wurden. — „Von Marseille bis Brest, von Bayonne bis Lille (fährt Napoleon fort) sind nun alle Straßen und Wege im eigentlichsten Sinne des Wortes von den^ Soldaten durchzogen, da sie von einem Ende Frankreichs bis zum andern gehen müssen, um ihre Depots zu suchen und von dort wieder weiter ziehen müssen, um sich ihren Regimentern anzuschließen." (Es ist vorgekommen, daß Reservisten aus dem Elsaß nach Algier geschickt wurden, dort eingekleidet wurden und dann mit ihrem Regiments wieder in das Elsaß zurückkehrten.) ..Die ganze Organisation für die Kriegszeit ist erst zu schaffen: man muß die Regimenter bezeichnen, die zur Bildung von Bri¬ gaden und Divisionen bestimmt sind, man muß oft von weit her die Batterien und Genie-Compagnien kommen lassen, die diesen Divisionen zuge¬ wiesen werden; man muß die Intendantur, die Trainparks, den Krankendienst organistren; man muß den Stab eines jeden Armee-Corps, einer jeden Divi¬ sion und Brigade bilden: auf diese Weise sind mehrere Hundert Generale, Officiere aller Grade, Intendanten, Chirurgen gezwungen, sich in Eile beritten zu machen und zu equipiren und sich zu einem Corps zu begeben, das sie nicht kennen."*) Eben so unvollkommen und schwerfällig wie die Mobilmachung des Per¬ sonals ist die des Materials; auch in Bezug aus dieses rächte sich die über¬ mäßige Centralisation auf das Empfindlichste. Da der Kriegsminister allgewaltig herrschte und die Regimenter ohne Zwischeninstanz direct unter ihm standen, so wendete sich nun Alles an Leboeuf, der mit seinem g.la«- im>j0r-g6u6rat Lebrun und seinem ganzen Stäbe vom Beginn der Mobil¬ machung a'n den Kopf verloren hatte. Die Intendantur aber, auf die er sich hätte stützen sollen können, zeigte sich ihrer Aufgabe in keiner Weise gewachsen.**) Die vermittelnde Thätigkeit von Corps- und Divisions-Jnten- danturen, welche in Preußen auch zur Friedenszeit bestehen, fehlte. Die (Zen¬ tralbehörde aber, der auch die Verwaltung der Militärgerichtsbarkeit und des Sanitätswesens zufiel, war einerseits mit Arbeit überhäuft, andererseits herrsch¬ ten (französischen Aussprüchen zufolge) Flatterhaftigkeit, Unordnung, ja Un¬ redlichkeit in ihren Reihen und wirkten um so schlimmer, als die Beschaffungs- ") Zahlreiche bekannte Beispiele dieser Verwirrung im Personal des Heeres sowie in der Gestellung des Kriegsmaterials bieten die von der „Negierung der na¬ tionalen Vertheidigung" in Paris veröffentlichten geheimen Tuilerien-Papiere. ") I/wtoMimes wilitairo xeoctaut I«, Kuerrs 6s 1870/71. ^usWe^tioll et Röorsam'sirtion par H,nittvls Liustior, Lous-mtsuaimt militiürs, Paris 1871.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/178>, abgerufen am 22.07.2024.