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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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wählt worden, er ist der Fahnenträger dieser Partei in einem Kampfe, dessen
Ausgang für eine Reihe von Jahren das Verhalten der amerikanischen Re¬
gierung gegen einen sehr wichtigen Theil der Union und die Beziehungen
der sich dort unter neuen und schwierigen Umständen Gesicht zu Gesicht
gegenübergestellten Racen entscheiden wird, und so werden autobiographische
Offenbarungen, welche auf die Natur, die Fähigkeit und die Ueberzeugung
desselben Licht werfen, vorzüglich in der Richtung der inneren Politik mit Auf¬
merksamkeit von jenen studirt worden sein.

Nun sind wir nicht oft einem Buche begegnet, welches gründlicher und
unverhüllter den Character seines Verfassers darstellt als dieses. Greeley ist
von Jugend auf an das öffentliche Leben gewöhnt und zwar an das öffent¬
liche Leben Amerikas, wo Staats- und Volksmännern nicht die geringste Ver¬
heimlichung gestattet ist. Man hat ihn vom ersten Augenblick an in einer
Weise mit dem von ihm geschaffenen Organ identificirt, wie bei dem System
der Anonymität, welches die meisten Zeitungen festhalten, kaum mit einem
andern Journalisten geschehen ist. Man hat ihn behandelt, als ob er in
einem Glashause wohnte, das Kleinste an ihm der Besprechung unterzogen,
ihn gepriesen und geschimpft, nicht in seiner Eigenschaft als Zeitungsschreiber,
sondern als Privatperson und mit Nennung seines Namens.

Zudem ist er ein Character, der von Natur mit seinen Ansichten und
Empfindungen nicht hinter dem Berge hält, vielmehr unter allen Umständen
offen und unverblümt mit der Sprache herausgeht. Zu tapfern Sinnes,
um aus Furcht schweigsam zu sein, zu rauhen Wesens, um aus Zartgefühl
das Eine und das Andere unerwähnt zu lassen, fast ohne Reue und Bedauern
über irgend einen Punct in seiner Vergangenheit und, wo solch ein Gefühl
sich regt, ohne alle Scheu, zu bekennen, daß er geirrt und gefehlt, hat Gree¬
ley in feinen Memoiren sich in einem Grade selbst portraitirt, wie sehr
wenige Politiker der alten Welt zu thun wagen würden.

Mit der größten Aufrichtigkeit spricht er von seinen Erfahrungen und
Erlebnissen in der Vergangenheit, von der Armuth seiner Jugendjahre, seinen
Entbehrungen, seinen Bemühungen, sich emporzuringen, seinen späteren Er¬
folgen, seinen Beziehungen zu verschiedenen Parteien und deren Führern,
seinem häuslichen Leben und seinen Liebhabereien. Die Art seines Vertrags
ist wohl berechnet, den Leser zu fesseln und seine Aufmerksamkeit wach zu er¬
halten. Indeß giebt er uns hier keine fortlaufenden Denkwürdigkeiten. Die
Aufgabe, sein Leben zu schreiben, bleibt einer andern Hand überlassen. Er
hat uns nur eine Reihe von Aufzeichnungen geliefert, die halb Erzählung,
halb Betrachtung derjenigen Partien seines Lebens, derjenigen Züge seiner
Erfahrungen und Beobachtungen sind, welche ihm selbst die interessantesten
zu sein und für Andere die meiste Belehrung und Unterhaltung zu gewähren


wählt worden, er ist der Fahnenträger dieser Partei in einem Kampfe, dessen
Ausgang für eine Reihe von Jahren das Verhalten der amerikanischen Re¬
gierung gegen einen sehr wichtigen Theil der Union und die Beziehungen
der sich dort unter neuen und schwierigen Umständen Gesicht zu Gesicht
gegenübergestellten Racen entscheiden wird, und so werden autobiographische
Offenbarungen, welche auf die Natur, die Fähigkeit und die Ueberzeugung
desselben Licht werfen, vorzüglich in der Richtung der inneren Politik mit Auf¬
merksamkeit von jenen studirt worden sein.

Nun sind wir nicht oft einem Buche begegnet, welches gründlicher und
unverhüllter den Character seines Verfassers darstellt als dieses. Greeley ist
von Jugend auf an das öffentliche Leben gewöhnt und zwar an das öffent¬
liche Leben Amerikas, wo Staats- und Volksmännern nicht die geringste Ver¬
heimlichung gestattet ist. Man hat ihn vom ersten Augenblick an in einer
Weise mit dem von ihm geschaffenen Organ identificirt, wie bei dem System
der Anonymität, welches die meisten Zeitungen festhalten, kaum mit einem
andern Journalisten geschehen ist. Man hat ihn behandelt, als ob er in
einem Glashause wohnte, das Kleinste an ihm der Besprechung unterzogen,
ihn gepriesen und geschimpft, nicht in seiner Eigenschaft als Zeitungsschreiber,
sondern als Privatperson und mit Nennung seines Namens.

Zudem ist er ein Character, der von Natur mit seinen Ansichten und
Empfindungen nicht hinter dem Berge hält, vielmehr unter allen Umständen
offen und unverblümt mit der Sprache herausgeht. Zu tapfern Sinnes,
um aus Furcht schweigsam zu sein, zu rauhen Wesens, um aus Zartgefühl
das Eine und das Andere unerwähnt zu lassen, fast ohne Reue und Bedauern
über irgend einen Punct in seiner Vergangenheit und, wo solch ein Gefühl
sich regt, ohne alle Scheu, zu bekennen, daß er geirrt und gefehlt, hat Gree¬
ley in feinen Memoiren sich in einem Grade selbst portraitirt, wie sehr
wenige Politiker der alten Welt zu thun wagen würden.

Mit der größten Aufrichtigkeit spricht er von seinen Erfahrungen und
Erlebnissen in der Vergangenheit, von der Armuth seiner Jugendjahre, seinen
Entbehrungen, seinen Bemühungen, sich emporzuringen, seinen späteren Er¬
folgen, seinen Beziehungen zu verschiedenen Parteien und deren Führern,
seinem häuslichen Leben und seinen Liebhabereien. Die Art seines Vertrags
ist wohl berechnet, den Leser zu fesseln und seine Aufmerksamkeit wach zu er¬
halten. Indeß giebt er uns hier keine fortlaufenden Denkwürdigkeiten. Die
Aufgabe, sein Leben zu schreiben, bleibt einer andern Hand überlassen. Er
hat uns nur eine Reihe von Aufzeichnungen geliefert, die halb Erzählung,
halb Betrachtung derjenigen Partien seines Lebens, derjenigen Züge seiner
Erfahrungen und Beobachtungen sind, welche ihm selbst die interessantesten
zu sein und für Andere die meiste Belehrung und Unterhaltung zu gewähren


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/170>, abgerufen am 22.07.2024.