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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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seiner Eigenschaft als Mitglied des Königsberger Stadtverordnetencollegiums
seit 1842 gewirkt. Aber dieses Wirken war, bei der damaligen Bedeutung
Königsbergs für ganz Deutschland, eine Borbereitung, die zu den höchsten ge¬
meindeutschen politischen Aufgaben wol befähigte. Neben Berlin und Bres-
lau war ja Königsberg damals die politisch und geistig weitaus anregendste
Stadt der preußischen Monarchie.

Königsberg selbst, die Stadt seines Werdens und Wirkens, wählte Sim-
son 1848 ins deutsche Parlament. Wol die glänzendsten Namen der Pauls¬
kirche: Dcchlmann, Albrecht, Welcker, Mathy, Beseler, Soiron, Bassermann, zu
Anfang selbst Schmerling, zählten zu der Fraktion, der Simson beitrat, dem
Casino, oder der preußischen Erb-Kaiserpartei, wie sie später vorzugsweise ge¬
nannt ward. Mit ihr hat er, ein Vierteljahrhundert der Entwickelung der
Zeiten vorauseilend, das Herz der freudigsten Hoffnungen voll, an jenem
sonnigen 18. Mai des Jahres 1848 die Schritte in feierlichem Zuge zur
Paulskirche gelenkt; mit ihr ein Jahr über gestritten um die besten Güter
der Nation; mit ihr endlich fast genau nach Jahresfrist seit dem fröhlichen herz¬
erhebenden Eingang, die Paulskirche verlassen, tiefgebeugt, schwer leidend an Leib
und Seele, der höchsten Hoffnung seines Lebens auf unbestimmte Zeit entsa¬
gend. Daß die Partei, welche aus Dahlmann's Feder und unter Albrecht's
und Droysen's eifriger Unterstützung schon am 24. April 1848 es wagte, den
"Entwurf eines deutschen Reichsgesetzes" zu veröffentlichen, welches die Grund¬
züge der heutigen Reichsverfassung enthält, nicht größere Erfolge in Frankfurt
errang, darf heutzutage gewiß mehr noch unseligen und unabwendbaren
äußeren Ereignissen und Verhältnissen zugeschrieben werden, als den kantischen
und politischen Fehlern dieser Partei selbst. War doch schon durch die Ber¬
liner Märztage sehr Schlimmes ohne alles Zuthun der Partei vollendete
Thatsache: die tiefe Kluft zwischen Heer und Bürgerthum, Hof und Volk,
zwischen den nationalen Traditionen der Hohenzollern und den widerwilligen
Mittelstaaten, unter Oesterreichs geheimem Rath und Beistand. Aber viel
hat auch das Parlament und die Partei selbst verdorben. Vor allem jener
kühne Mißgriff des eigenen Führers Heinrich von Gagern, der ohne jede Füh¬
lung mit der Partei durch den improvisierten Vorschlag der Ernennung des
österreichischen Erzherzogs Johann zum Reichsverweser der perfiden Habsbur¬
gischen Staatskunst mitten in die diametral entgegengesetzten Interessen des
deutschen Volkes Eingang verschaffte. Dann die auch von der preußischen
Partei zugelassene endlose Berathung der Grundrechte, ehe die wichtigste
Frage, diejenige der staatlichen Organisation Deutschlands gelöst war. Dann
die schweren Fehler gegen die preußische Regierung aus Anlaß des Malmöer
Waffenstillstandes, die selbst Dahlmann durch die Macht seines Wortes und
seiner Persönlichkeit mit begehen half. Und endlich, vor dem entscheidendsten


seiner Eigenschaft als Mitglied des Königsberger Stadtverordnetencollegiums
seit 1842 gewirkt. Aber dieses Wirken war, bei der damaligen Bedeutung
Königsbergs für ganz Deutschland, eine Borbereitung, die zu den höchsten ge¬
meindeutschen politischen Aufgaben wol befähigte. Neben Berlin und Bres-
lau war ja Königsberg damals die politisch und geistig weitaus anregendste
Stadt der preußischen Monarchie.

Königsberg selbst, die Stadt seines Werdens und Wirkens, wählte Sim-
son 1848 ins deutsche Parlament. Wol die glänzendsten Namen der Pauls¬
kirche: Dcchlmann, Albrecht, Welcker, Mathy, Beseler, Soiron, Bassermann, zu
Anfang selbst Schmerling, zählten zu der Fraktion, der Simson beitrat, dem
Casino, oder der preußischen Erb-Kaiserpartei, wie sie später vorzugsweise ge¬
nannt ward. Mit ihr hat er, ein Vierteljahrhundert der Entwickelung der
Zeiten vorauseilend, das Herz der freudigsten Hoffnungen voll, an jenem
sonnigen 18. Mai des Jahres 1848 die Schritte in feierlichem Zuge zur
Paulskirche gelenkt; mit ihr ein Jahr über gestritten um die besten Güter
der Nation; mit ihr endlich fast genau nach Jahresfrist seit dem fröhlichen herz¬
erhebenden Eingang, die Paulskirche verlassen, tiefgebeugt, schwer leidend an Leib
und Seele, der höchsten Hoffnung seines Lebens auf unbestimmte Zeit entsa¬
gend. Daß die Partei, welche aus Dahlmann's Feder und unter Albrecht's
und Droysen's eifriger Unterstützung schon am 24. April 1848 es wagte, den
„Entwurf eines deutschen Reichsgesetzes" zu veröffentlichen, welches die Grund¬
züge der heutigen Reichsverfassung enthält, nicht größere Erfolge in Frankfurt
errang, darf heutzutage gewiß mehr noch unseligen und unabwendbaren
äußeren Ereignissen und Verhältnissen zugeschrieben werden, als den kantischen
und politischen Fehlern dieser Partei selbst. War doch schon durch die Ber¬
liner Märztage sehr Schlimmes ohne alles Zuthun der Partei vollendete
Thatsache: die tiefe Kluft zwischen Heer und Bürgerthum, Hof und Volk,
zwischen den nationalen Traditionen der Hohenzollern und den widerwilligen
Mittelstaaten, unter Oesterreichs geheimem Rath und Beistand. Aber viel
hat auch das Parlament und die Partei selbst verdorben. Vor allem jener
kühne Mißgriff des eigenen Führers Heinrich von Gagern, der ohne jede Füh¬
lung mit der Partei durch den improvisierten Vorschlag der Ernennung des
österreichischen Erzherzogs Johann zum Reichsverweser der perfiden Habsbur¬
gischen Staatskunst mitten in die diametral entgegengesetzten Interessen des
deutschen Volkes Eingang verschaffte. Dann die auch von der preußischen
Partei zugelassene endlose Berathung der Grundrechte, ehe die wichtigste
Frage, diejenige der staatlichen Organisation Deutschlands gelöst war. Dann
die schweren Fehler gegen die preußische Regierung aus Anlaß des Malmöer
Waffenstillstandes, die selbst Dahlmann durch die Macht seines Wortes und
seiner Persönlichkeit mit begehen half. Und endlich, vor dem entscheidendsten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/16>, abgerufen am 04.07.2024.