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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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wiederholten. Sie wurden zwar leicht unterdrückt; immerhin waren doch Barri¬
kaden gebaut worden und Verwundete und Todte auf dem Platze geblieben.
Der Kaiser gab sich den Anschein, als lege er der Heeresabstimmung gar keinen
Werth bei, zumal gerade solche Truppen, die mit "Nein" gestimmt, brav gegen
die Aufrührer gefochten hatten; er schrieb dem Marschall Canrobert einen
Brief, worin er ihn aufforderte, den ihm untergebenen Truppen mitzutheilen,
daß er gegenüber den lächerlichen und übertriebenen Gerüchten über die Ab¬
stimmung der Soldaten gänzlich unerschüttert sei in seinem Zutrauen in den
guten Geist derselben; ja er fuhr sogar in die Caserne "Prinz Eugen" und
wurde daselbst wie auch in anderen Casernen enthusiastisch empfangen. -- In¬
deß schickte der Kriegsminister doch die frondirenden Zöglinge der Militär¬
schule als Gemeine in ein Regiment und versetzte viele Unterofficiere aus
Paris nach Afrika; und auf den Boulevards witzelte man, als Loosung und
Feldgeschrei seien in den Tuilerien ein für allemal "Liberalismus und Chasse-
pot" ausgegeben worden.

Am 29. Juni fragte der Marineminister bei dem Seepräfecten von
Cherburg an, welche Vorräthe dort für eine Flotten-Expedition nach
der Nord- und Ost-See aufgehäuft seien. -- Tags darauf wurde im ge¬
setzgebenden Körper dasContingentgesetz votirt. Glais-Bizoin verlangte
eine Herabsetzung auf 80,000 Mann; Graf Latour wollte wieder auf 100.000
zurückkehren; Leboeuf stimmte ihm bei, erklärte sich schließlich aber wie im
vorigen Jahre mit 90,000 zufrieden und Ollivier proclamirte, daß zu keiner Zeit
die Regierung eine freimüthigere Friedenspolitik befolgt habe, daß nie¬
mals der europäische Friede weniger bedroht gewesen sei, als
jetzt. -- Das Contingent von 90,000 Mann wurde bewilligt, und die Fran¬
zosen waren überzeugt, daß sie in Frieden schlafen könnten hinter einer
Armee, die allerdings viel Geld kostete und die sie contre-coeur bezahlten, die
sie jedoch als eine mag'utique s,rin6s priesen. "Sonderbarer Widerspruch!
denn im Grunde verachteten sie diese Armee und machten somit ihr Palladium
aus einer Einrichtung, welche sie weder achteten noch kannten."*)

Am 6. Juli 1870 reichte Leboeuf dem Kaiser folgende "Note somwairo
Kur ig, Situation ac l'iirmkö" ein.

"Fünfzehn Tage nach einem vom Kaiser ertheilten Befehle würde man zwei Ar¬
meen zu "50,000 Mann aller Waffengattungen und 875 Feuerschlünde mit 1. und
2. Munitionsapprovisionirung ins Feld gestellt haben. Außerdem blieben noch: im
Innern 161.500 Mann, in Algerien 50,000 Mann, in Civita-Vecchia 6500 Mann,
also im Ganzen 238.000 Mann, die mit den obigen 350,000 Mann 588,000 für
den Krieg verwendbare Leute ergeben. Zahlt man dazu die Nichtcombattanten mit
74,546 Mann, so erhält man 662,546 Mann als den Stand der regulären Armee.



") 1,öttres et'un prisounior a. a. O.

wiederholten. Sie wurden zwar leicht unterdrückt; immerhin waren doch Barri¬
kaden gebaut worden und Verwundete und Todte auf dem Platze geblieben.
Der Kaiser gab sich den Anschein, als lege er der Heeresabstimmung gar keinen
Werth bei, zumal gerade solche Truppen, die mit „Nein" gestimmt, brav gegen
die Aufrührer gefochten hatten; er schrieb dem Marschall Canrobert einen
Brief, worin er ihn aufforderte, den ihm untergebenen Truppen mitzutheilen,
daß er gegenüber den lächerlichen und übertriebenen Gerüchten über die Ab¬
stimmung der Soldaten gänzlich unerschüttert sei in seinem Zutrauen in den
guten Geist derselben; ja er fuhr sogar in die Caserne „Prinz Eugen" und
wurde daselbst wie auch in anderen Casernen enthusiastisch empfangen. — In¬
deß schickte der Kriegsminister doch die frondirenden Zöglinge der Militär¬
schule als Gemeine in ein Regiment und versetzte viele Unterofficiere aus
Paris nach Afrika; und auf den Boulevards witzelte man, als Loosung und
Feldgeschrei seien in den Tuilerien ein für allemal „Liberalismus und Chasse-
pot" ausgegeben worden.

Am 29. Juni fragte der Marineminister bei dem Seepräfecten von
Cherburg an, welche Vorräthe dort für eine Flotten-Expedition nach
der Nord- und Ost-See aufgehäuft seien. — Tags darauf wurde im ge¬
setzgebenden Körper dasContingentgesetz votirt. Glais-Bizoin verlangte
eine Herabsetzung auf 80,000 Mann; Graf Latour wollte wieder auf 100.000
zurückkehren; Leboeuf stimmte ihm bei, erklärte sich schließlich aber wie im
vorigen Jahre mit 90,000 zufrieden und Ollivier proclamirte, daß zu keiner Zeit
die Regierung eine freimüthigere Friedenspolitik befolgt habe, daß nie¬
mals der europäische Friede weniger bedroht gewesen sei, als
jetzt. — Das Contingent von 90,000 Mann wurde bewilligt, und die Fran¬
zosen waren überzeugt, daß sie in Frieden schlafen könnten hinter einer
Armee, die allerdings viel Geld kostete und die sie contre-coeur bezahlten, die
sie jedoch als eine mag'utique s,rin6s priesen. „Sonderbarer Widerspruch!
denn im Grunde verachteten sie diese Armee und machten somit ihr Palladium
aus einer Einrichtung, welche sie weder achteten noch kannten."*)

Am 6. Juli 1870 reichte Leboeuf dem Kaiser folgende „Note somwairo
Kur ig, Situation ac l'iirmkö" ein.

„Fünfzehn Tage nach einem vom Kaiser ertheilten Befehle würde man zwei Ar¬
meen zu »50,000 Mann aller Waffengattungen und 875 Feuerschlünde mit 1. und
2. Munitionsapprovisionirung ins Feld gestellt haben. Außerdem blieben noch: im
Innern 161.500 Mann, in Algerien 50,000 Mann, in Civita-Vecchia 6500 Mann,
also im Ganzen 238.000 Mann, die mit den obigen 350,000 Mann 588,000 für
den Krieg verwendbare Leute ergeben. Zahlt man dazu die Nichtcombattanten mit
74,546 Mann, so erhält man 662,546 Mann als den Stand der regulären Armee.



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[0157] wiederholten. Sie wurden zwar leicht unterdrückt; immerhin waren doch Barri¬ kaden gebaut worden und Verwundete und Todte auf dem Platze geblieben. Der Kaiser gab sich den Anschein, als lege er der Heeresabstimmung gar keinen Werth bei, zumal gerade solche Truppen, die mit „Nein" gestimmt, brav gegen die Aufrührer gefochten hatten; er schrieb dem Marschall Canrobert einen Brief, worin er ihn aufforderte, den ihm untergebenen Truppen mitzutheilen, daß er gegenüber den lächerlichen und übertriebenen Gerüchten über die Ab¬ stimmung der Soldaten gänzlich unerschüttert sei in seinem Zutrauen in den guten Geist derselben; ja er fuhr sogar in die Caserne „Prinz Eugen" und wurde daselbst wie auch in anderen Casernen enthusiastisch empfangen. — In¬ deß schickte der Kriegsminister doch die frondirenden Zöglinge der Militär¬ schule als Gemeine in ein Regiment und versetzte viele Unterofficiere aus Paris nach Afrika; und auf den Boulevards witzelte man, als Loosung und Feldgeschrei seien in den Tuilerien ein für allemal „Liberalismus und Chasse- pot" ausgegeben worden. Am 29. Juni fragte der Marineminister bei dem Seepräfecten von Cherburg an, welche Vorräthe dort für eine Flotten-Expedition nach der Nord- und Ost-See aufgehäuft seien. — Tags darauf wurde im ge¬ setzgebenden Körper dasContingentgesetz votirt. Glais-Bizoin verlangte eine Herabsetzung auf 80,000 Mann; Graf Latour wollte wieder auf 100.000 zurückkehren; Leboeuf stimmte ihm bei, erklärte sich schließlich aber wie im vorigen Jahre mit 90,000 zufrieden und Ollivier proclamirte, daß zu keiner Zeit die Regierung eine freimüthigere Friedenspolitik befolgt habe, daß nie¬ mals der europäische Friede weniger bedroht gewesen sei, als jetzt. — Das Contingent von 90,000 Mann wurde bewilligt, und die Fran¬ zosen waren überzeugt, daß sie in Frieden schlafen könnten hinter einer Armee, die allerdings viel Geld kostete und die sie contre-coeur bezahlten, die sie jedoch als eine mag'utique s,rin6s priesen. „Sonderbarer Widerspruch! denn im Grunde verachteten sie diese Armee und machten somit ihr Palladium aus einer Einrichtung, welche sie weder achteten noch kannten."*) Am 6. Juli 1870 reichte Leboeuf dem Kaiser folgende „Note somwairo Kur ig, Situation ac l'iirmkö" ein. „Fünfzehn Tage nach einem vom Kaiser ertheilten Befehle würde man zwei Ar¬ meen zu »50,000 Mann aller Waffengattungen und 875 Feuerschlünde mit 1. und 2. Munitionsapprovisionirung ins Feld gestellt haben. Außerdem blieben noch: im Innern 161.500 Mann, in Algerien 50,000 Mann, in Civita-Vecchia 6500 Mann, also im Ganzen 238.000 Mann, die mit den obigen 350,000 Mann 588,000 für den Krieg verwendbare Leute ergeben. Zahlt man dazu die Nichtcombattanten mit 74,546 Mann, so erhält man 662,546 Mann als den Stand der regulären Armee. ") 1,öttres et'un prisounior a. a. O.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/157>, abgerufen am 22.07.2024.