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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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die Wehrkräfte Frankreichs allmählig wesentlich zu verstärken. Seine An¬
wendung verminderte schon in den Jahren 1868 und 1869 die Ausfälle des
Contingents. In 1868 stieg die xrsmiöi-e xortion (von 23,000) auf 40.000
im folgenden sogar auf 60,490 also auf über die Hälfte des Contingents.
Wenn das Gesetz 9 Jahre, also bis Juli 1876, wirken konnte, und wenn der
gesetzgebende Körper in jedem dieser Jahre 100,000 Mann bewilligte, so hätte
es die active Armee mit Einschluß der Reserve wol auf die Stärke von
800,000 Mann gebracht, von denen nur noch 130,000 Mann etwa Krümper
der äöuxiömö portion gewesen wären. Mit dem preußischen Wehrsystem
konnte es aber auch dann noch nicht concurriren; denn nicht nur verfügte Nord¬
deutschland mit seiner 12jährigen Waffenpflicht auf alle Fälle über drei Jahr¬
gänge mehr, sondern es stellte auch jährlich 90 bis 100,000 Mann factisch
ein und bildete sie gründlich aus. Bis zum Jahre 1870 bestand die ganze
Vermehrung der dienstgeübten Mannschaft Frankreichs, die ihm das neue Ge¬
setz verschaffte, lediglich in den 17,000 und 27,000 Recruten, die 1868 und
1869 über das frühere Maß hinaus eingestellt wurden. Nimmt man dazu
die zwei ältesten Reservejahrgänge (Einstellung von 1861 und 1862) von je
2!),000 Mann, die durch das neue Gesetz der Armee zugelegt waren, so hat
man mit der ungefähren Zahl von 90,000 Mann die gesammte Ver¬
mehrung an dienstgeübter Mannschaft, welche bis 1870 die fran¬
zösische Armee seit 1866 gewonnen hatte. -- Wenn sich die französischen Macht¬
haber diese Lage vergegenwärtigten, so mußte sie ernste Sorge erfüllen. Sie
sahen voraus, daß die Wehrkraft Norddeutschlands von Jahr zu Jahr in
Dimensionen anwuchs, mit denen sie nicht Schritt halten konnten. Waren
die'neuen Provinzen einmal völlig assimilirt, das Reserve- und Landwehrsystem
auch hier und in den Kleinstaaten ein Jahrzehnt durchgeführt, so war gar
keine Aussicht mehr, gegen die ungeheure Macht auszukommen. Diese Be¬
trachtungen sind.es unzweifelhaft gewesen, welche grade im Kriegsministerium
jene Stimmungen nährten, die von Tag zu Tage entschiedener hindrängten
auf den Krieg mit Preußen.

Am 22. Jan. 1868 beseitigte der Kaiser eine altberühmte Institution der
französischen Armee; es erfolgte die Aufhebung der Elite-Compag¬
nien. Sämmtliche Grenadiere und Voltigeure wurden in die Compagnies du
Centre eingereiht, in denen dafür eine Anzahl von Gefreiten (s<Mg.es et"z Premier"
ciasKv) ernannt wurden und die das lange angestrebte bisher den Elite-Compag¬
nien vorbehaltene Recht bekamen, die rothen Epauletten der Grenadiere und
das bisherige vornehme Abzeichen der Elitesoldaten, den Kinnbart tragen zu
dürfen. -- Den älteren Trnppenofficieren gefiel die Aufhebung der Elite-
eompagnien durchaus nicht; die jüngeren, welche mit der Maßregel einver¬
standen waren, rechneten es dem Marschall zum besonderen Verdienst an, daß


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die Wehrkräfte Frankreichs allmählig wesentlich zu verstärken. Seine An¬
wendung verminderte schon in den Jahren 1868 und 1869 die Ausfälle des
Contingents. In 1868 stieg die xrsmiöi-e xortion (von 23,000) auf 40.000
im folgenden sogar auf 60,490 also auf über die Hälfte des Contingents.
Wenn das Gesetz 9 Jahre, also bis Juli 1876, wirken konnte, und wenn der
gesetzgebende Körper in jedem dieser Jahre 100,000 Mann bewilligte, so hätte
es die active Armee mit Einschluß der Reserve wol auf die Stärke von
800,000 Mann gebracht, von denen nur noch 130,000 Mann etwa Krümper
der äöuxiömö portion gewesen wären. Mit dem preußischen Wehrsystem
konnte es aber auch dann noch nicht concurriren; denn nicht nur verfügte Nord¬
deutschland mit seiner 12jährigen Waffenpflicht auf alle Fälle über drei Jahr¬
gänge mehr, sondern es stellte auch jährlich 90 bis 100,000 Mann factisch
ein und bildete sie gründlich aus. Bis zum Jahre 1870 bestand die ganze
Vermehrung der dienstgeübten Mannschaft Frankreichs, die ihm das neue Ge¬
setz verschaffte, lediglich in den 17,000 und 27,000 Recruten, die 1868 und
1869 über das frühere Maß hinaus eingestellt wurden. Nimmt man dazu
die zwei ältesten Reservejahrgänge (Einstellung von 1861 und 1862) von je
2!),000 Mann, die durch das neue Gesetz der Armee zugelegt waren, so hat
man mit der ungefähren Zahl von 90,000 Mann die gesammte Ver¬
mehrung an dienstgeübter Mannschaft, welche bis 1870 die fran¬
zösische Armee seit 1866 gewonnen hatte. — Wenn sich die französischen Macht¬
haber diese Lage vergegenwärtigten, so mußte sie ernste Sorge erfüllen. Sie
sahen voraus, daß die Wehrkraft Norddeutschlands von Jahr zu Jahr in
Dimensionen anwuchs, mit denen sie nicht Schritt halten konnten. Waren
die'neuen Provinzen einmal völlig assimilirt, das Reserve- und Landwehrsystem
auch hier und in den Kleinstaaten ein Jahrzehnt durchgeführt, so war gar
keine Aussicht mehr, gegen die ungeheure Macht auszukommen. Diese Be¬
trachtungen sind.es unzweifelhaft gewesen, welche grade im Kriegsministerium
jene Stimmungen nährten, die von Tag zu Tage entschiedener hindrängten
auf den Krieg mit Preußen.

Am 22. Jan. 1868 beseitigte der Kaiser eine altberühmte Institution der
französischen Armee; es erfolgte die Aufhebung der Elite-Compag¬
nien. Sämmtliche Grenadiere und Voltigeure wurden in die Compagnies du
Centre eingereiht, in denen dafür eine Anzahl von Gefreiten (s<Mg.es et«z Premier«
ciasKv) ernannt wurden und die das lange angestrebte bisher den Elite-Compag¬
nien vorbehaltene Recht bekamen, die rothen Epauletten der Grenadiere und
das bisherige vornehme Abzeichen der Elitesoldaten, den Kinnbart tragen zu
dürfen. — Den älteren Trnppenofficieren gefiel die Aufhebung der Elite-
eompagnien durchaus nicht; die jüngeren, welche mit der Maßregel einver¬
standen waren, rechneten es dem Marschall zum besonderen Verdienst an, daß


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[0153] die Wehrkräfte Frankreichs allmählig wesentlich zu verstärken. Seine An¬ wendung verminderte schon in den Jahren 1868 und 1869 die Ausfälle des Contingents. In 1868 stieg die xrsmiöi-e xortion (von 23,000) auf 40.000 im folgenden sogar auf 60,490 also auf über die Hälfte des Contingents. Wenn das Gesetz 9 Jahre, also bis Juli 1876, wirken konnte, und wenn der gesetzgebende Körper in jedem dieser Jahre 100,000 Mann bewilligte, so hätte es die active Armee mit Einschluß der Reserve wol auf die Stärke von 800,000 Mann gebracht, von denen nur noch 130,000 Mann etwa Krümper der äöuxiömö portion gewesen wären. Mit dem preußischen Wehrsystem konnte es aber auch dann noch nicht concurriren; denn nicht nur verfügte Nord¬ deutschland mit seiner 12jährigen Waffenpflicht auf alle Fälle über drei Jahr¬ gänge mehr, sondern es stellte auch jährlich 90 bis 100,000 Mann factisch ein und bildete sie gründlich aus. Bis zum Jahre 1870 bestand die ganze Vermehrung der dienstgeübten Mannschaft Frankreichs, die ihm das neue Ge¬ setz verschaffte, lediglich in den 17,000 und 27,000 Recruten, die 1868 und 1869 über das frühere Maß hinaus eingestellt wurden. Nimmt man dazu die zwei ältesten Reservejahrgänge (Einstellung von 1861 und 1862) von je 2!),000 Mann, die durch das neue Gesetz der Armee zugelegt waren, so hat man mit der ungefähren Zahl von 90,000 Mann die gesammte Ver¬ mehrung an dienstgeübter Mannschaft, welche bis 1870 die fran¬ zösische Armee seit 1866 gewonnen hatte. — Wenn sich die französischen Macht¬ haber diese Lage vergegenwärtigten, so mußte sie ernste Sorge erfüllen. Sie sahen voraus, daß die Wehrkraft Norddeutschlands von Jahr zu Jahr in Dimensionen anwuchs, mit denen sie nicht Schritt halten konnten. Waren die'neuen Provinzen einmal völlig assimilirt, das Reserve- und Landwehrsystem auch hier und in den Kleinstaaten ein Jahrzehnt durchgeführt, so war gar keine Aussicht mehr, gegen die ungeheure Macht auszukommen. Diese Be¬ trachtungen sind.es unzweifelhaft gewesen, welche grade im Kriegsministerium jene Stimmungen nährten, die von Tag zu Tage entschiedener hindrängten auf den Krieg mit Preußen. Am 22. Jan. 1868 beseitigte der Kaiser eine altberühmte Institution der französischen Armee; es erfolgte die Aufhebung der Elite-Compag¬ nien. Sämmtliche Grenadiere und Voltigeure wurden in die Compagnies du Centre eingereiht, in denen dafür eine Anzahl von Gefreiten (s<Mg.es et«z Premier« ciasKv) ernannt wurden und die das lange angestrebte bisher den Elite-Compag¬ nien vorbehaltene Recht bekamen, die rothen Epauletten der Grenadiere und das bisherige vornehme Abzeichen der Elitesoldaten, den Kinnbart tragen zu dürfen. — Den älteren Trnppenofficieren gefiel die Aufhebung der Elite- eompagnien durchaus nicht; die jüngeren, welche mit der Maßregel einver¬ standen waren, rechneten es dem Marschall zum besonderen Verdienst an, daß Gmizdotm >,V. 19

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/153>, abgerufen am 22.07.2024.