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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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L. Daß die Dauer des Dienstes im activen Heere 5 Jahre sei, nach deren Ablauf
jeder Soldat noch vier Jahr in der Reserve zu dienen habe.
4. Daß die Dauer des Dienstes der zweiten, nicht ins active Heer eingestellten Hälfte
4 Jahr in der Reserve und 5 Jahr in der mobilen Nationalgarde betrage.
5. Daß die Dienstzeit in der activen Armee wie in der Reserve nicht mehr vom I.
Jan., sondern vom 1. Juli des Aushebuugsjahres gerechnet werde.

Dieser Gesetzentwurf legte also für den Kriegsfall allen Franzosen ge¬
wisser Altersklassen die Dienstpflicht im Heere oder in der Mobilgarde auf;
für den Frieden aber behielt er die Exoneration bei. -- Unter Verkürzung
der activen Dienstpflicht um 2 Jahr (welche factisch ja immer stattgefunden
hatte) sollten vier Jahrgänge ausgebildeter Reserven gewonnen werden, wäh¬
rend gleichzeitig vier Jahrgänge der äLuxi<mi<z Portion verfügbar wären. --
Diese Aufstellung der Mobilgarde endlich sollte gestatten, die gesammte Armee
im freien Felde zu gebrauchen.

Wenn Niet gehofft hatte, seine Gesetzesvorlage von dem gesetzgebenden
Körper noch in der laufenden Session votirt zu sehn, so hatte er sich geirrt.
Die sonst so fügsame Legislative zeigte sich in durchaus ablehnender Stim¬
mung, und namentlich Ollivier trat dem Entwurf gleich am ersten Tage
mit Heftigkeit entgegen. Nur das wurde wiederhergestellt, was man vor zwei
Jahren (durch die Reduction von 1866) zerstört, und zugleich ein Credit für
bessere Bewaffnung ") und Befestigung eröffnet, mit dessen Hilfe Niet die
Armee sofort um 200 Compagnien^), 25 Batterien, 20,000 Pferde vermehrte
und die durch den mexikanischen Krieg furchtbar geleerten Zeughäuser und
Magazine wieder mit Rüstungs- und Bekleidungsstücken und Materialien
füllte. -- Die Berathung des Wehrgesetz-Entwurfs wurde dagegen auf die
Herbst-Session hinausgeschoben. -- Unterdeß begann eine gewaltige Agitation
gegen denselben, und namentlich aus Arbeiterkreisen erhielt der Kaiser eine
große Zahl von Petitionen, in welchen es hieß: "Wir können eine so schwere
Last wie die allgemeine Wehrpflicht nicht tragen. Das flache Land ist schon
entvölkert, dem Ackerbau mangeln die Hände; wir können unsre Kinder nicht
entbehren! Das vorgeschlagene Gesetz erfüllt uns mit Schmerz und Schrecken;
unsere Grenzen sind ja nicht bedroht; wäre das der Fall, wir würden uns
Alle in Masse erheben! Möge der Kaiser unsren Besorgnissen, daß alle unsre




') Schon am Ü0. Aug. hatte der Kaiser ein Decret unterzeichnet, nach welchem die
Schußwaffen der Armee sofort in Zündnadclgcwchrc nach dem System Chassepot umge¬
wandelt werden sollten. Man berechnete, daß diese Umgestaltung der Schußwaffen mindestens
18 Monate in Anspruch nehmen würde und fand hierin den Hauptgrund, daß Napoleon vor
tausig eine" Krieg mit Preußen vermiede.
") Die 40.V0Y Mann dieser 20" Compagnie" waren kurzgcübte Reservisten, welche in das
stehende Heer eingereiht wurden, wodurch Niet eigenmächtig das noch nicht votirte neue Hee¬
resgesetz anticipirte.
L. Daß die Dauer des Dienstes im activen Heere 5 Jahre sei, nach deren Ablauf
jeder Soldat noch vier Jahr in der Reserve zu dienen habe.
4. Daß die Dauer des Dienstes der zweiten, nicht ins active Heer eingestellten Hälfte
4 Jahr in der Reserve und 5 Jahr in der mobilen Nationalgarde betrage.
5. Daß die Dienstzeit in der activen Armee wie in der Reserve nicht mehr vom I.
Jan., sondern vom 1. Juli des Aushebuugsjahres gerechnet werde.

Dieser Gesetzentwurf legte also für den Kriegsfall allen Franzosen ge¬
wisser Altersklassen die Dienstpflicht im Heere oder in der Mobilgarde auf;
für den Frieden aber behielt er die Exoneration bei. — Unter Verkürzung
der activen Dienstpflicht um 2 Jahr (welche factisch ja immer stattgefunden
hatte) sollten vier Jahrgänge ausgebildeter Reserven gewonnen werden, wäh¬
rend gleichzeitig vier Jahrgänge der äLuxi<mi<z Portion verfügbar wären. —
Diese Aufstellung der Mobilgarde endlich sollte gestatten, die gesammte Armee
im freien Felde zu gebrauchen.

Wenn Niet gehofft hatte, seine Gesetzesvorlage von dem gesetzgebenden
Körper noch in der laufenden Session votirt zu sehn, so hatte er sich geirrt.
Die sonst so fügsame Legislative zeigte sich in durchaus ablehnender Stim¬
mung, und namentlich Ollivier trat dem Entwurf gleich am ersten Tage
mit Heftigkeit entgegen. Nur das wurde wiederhergestellt, was man vor zwei
Jahren (durch die Reduction von 1866) zerstört, und zugleich ein Credit für
bessere Bewaffnung ") und Befestigung eröffnet, mit dessen Hilfe Niet die
Armee sofort um 200 Compagnien^), 25 Batterien, 20,000 Pferde vermehrte
und die durch den mexikanischen Krieg furchtbar geleerten Zeughäuser und
Magazine wieder mit Rüstungs- und Bekleidungsstücken und Materialien
füllte. — Die Berathung des Wehrgesetz-Entwurfs wurde dagegen auf die
Herbst-Session hinausgeschoben. — Unterdeß begann eine gewaltige Agitation
gegen denselben, und namentlich aus Arbeiterkreisen erhielt der Kaiser eine
große Zahl von Petitionen, in welchen es hieß: „Wir können eine so schwere
Last wie die allgemeine Wehrpflicht nicht tragen. Das flache Land ist schon
entvölkert, dem Ackerbau mangeln die Hände; wir können unsre Kinder nicht
entbehren! Das vorgeschlagene Gesetz erfüllt uns mit Schmerz und Schrecken;
unsere Grenzen sind ja nicht bedroht; wäre das der Fall, wir würden uns
Alle in Masse erheben! Möge der Kaiser unsren Besorgnissen, daß alle unsre




') Schon am Ü0. Aug. hatte der Kaiser ein Decret unterzeichnet, nach welchem die
Schußwaffen der Armee sofort in Zündnadclgcwchrc nach dem System Chassepot umge¬
wandelt werden sollten. Man berechnete, daß diese Umgestaltung der Schußwaffen mindestens
18 Monate in Anspruch nehmen würde und fand hierin den Hauptgrund, daß Napoleon vor
tausig eine» Krieg mit Preußen vermiede.
") Die 40.V0Y Mann dieser 20» Compagnie» waren kurzgcübte Reservisten, welche in das
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resgesetz anticipirte.
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[0144] L. Daß die Dauer des Dienstes im activen Heere 5 Jahre sei, nach deren Ablauf jeder Soldat noch vier Jahr in der Reserve zu dienen habe. 4. Daß die Dauer des Dienstes der zweiten, nicht ins active Heer eingestellten Hälfte 4 Jahr in der Reserve und 5 Jahr in der mobilen Nationalgarde betrage. 5. Daß die Dienstzeit in der activen Armee wie in der Reserve nicht mehr vom I. Jan., sondern vom 1. Juli des Aushebuugsjahres gerechnet werde. Dieser Gesetzentwurf legte also für den Kriegsfall allen Franzosen ge¬ wisser Altersklassen die Dienstpflicht im Heere oder in der Mobilgarde auf; für den Frieden aber behielt er die Exoneration bei. — Unter Verkürzung der activen Dienstpflicht um 2 Jahr (welche factisch ja immer stattgefunden hatte) sollten vier Jahrgänge ausgebildeter Reserven gewonnen werden, wäh¬ rend gleichzeitig vier Jahrgänge der äLuxi<mi<z Portion verfügbar wären. — Diese Aufstellung der Mobilgarde endlich sollte gestatten, die gesammte Armee im freien Felde zu gebrauchen. Wenn Niet gehofft hatte, seine Gesetzesvorlage von dem gesetzgebenden Körper noch in der laufenden Session votirt zu sehn, so hatte er sich geirrt. Die sonst so fügsame Legislative zeigte sich in durchaus ablehnender Stim¬ mung, und namentlich Ollivier trat dem Entwurf gleich am ersten Tage mit Heftigkeit entgegen. Nur das wurde wiederhergestellt, was man vor zwei Jahren (durch die Reduction von 1866) zerstört, und zugleich ein Credit für bessere Bewaffnung ") und Befestigung eröffnet, mit dessen Hilfe Niet die Armee sofort um 200 Compagnien^), 25 Batterien, 20,000 Pferde vermehrte und die durch den mexikanischen Krieg furchtbar geleerten Zeughäuser und Magazine wieder mit Rüstungs- und Bekleidungsstücken und Materialien füllte. — Die Berathung des Wehrgesetz-Entwurfs wurde dagegen auf die Herbst-Session hinausgeschoben. — Unterdeß begann eine gewaltige Agitation gegen denselben, und namentlich aus Arbeiterkreisen erhielt der Kaiser eine große Zahl von Petitionen, in welchen es hieß: „Wir können eine so schwere Last wie die allgemeine Wehrpflicht nicht tragen. Das flache Land ist schon entvölkert, dem Ackerbau mangeln die Hände; wir können unsre Kinder nicht entbehren! Das vorgeschlagene Gesetz erfüllt uns mit Schmerz und Schrecken; unsere Grenzen sind ja nicht bedroht; wäre das der Fall, wir würden uns Alle in Masse erheben! Möge der Kaiser unsren Besorgnissen, daß alle unsre ') Schon am Ü0. Aug. hatte der Kaiser ein Decret unterzeichnet, nach welchem die Schußwaffen der Armee sofort in Zündnadclgcwchrc nach dem System Chassepot umge¬ wandelt werden sollten. Man berechnete, daß diese Umgestaltung der Schußwaffen mindestens 18 Monate in Anspruch nehmen würde und fand hierin den Hauptgrund, daß Napoleon vor tausig eine» Krieg mit Preußen vermiede. ") Die 40.V0Y Mann dieser 20» Compagnie» waren kurzgcübte Reservisten, welche in das stehende Heer eingereiht wurden, wodurch Niet eigenmächtig das noch nicht votirte neue Hee¬ resgesetz anticipirte.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/144>, abgerufen am 04.07.2024.