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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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war ja bereits auf das Schlimmste gefaßt, man war gewohnt, Bayern als
das Land der Experimente zu betrachten. So sehr die Stimmung durch das
lange vergebliche Warten getrübt worden war, so rasch bellte sie sich auf, als
die Nachricht kam, daß man sich noch in elfter Stunde eines Besseren be¬
sonnen und daß dem Lande das klägliche Schauspiel eines Rückfalles erspart
sei. Denn wenn auch die Namen, die zum Besitze der vacanten Portefeuilles
berufen waren, kein sehr entschiedenes Vorgehen in nationaler Richtung ver¬
bürgten, so gaben sie doch andererseits die Garantie, daß sie nicht den Stand¬
punkt der Reservatrechte zur Grundlage ihrer Politik machen würden. Beide,
Herr v. Pfretzschner sowohl als der neue Finanzminister Berr haben im Bun¬
desrath rege Fühlung mit den Interessen und der Politik des Reiches erlangt,
die Art, wie sie Bayern dort vertraten, gab ihnen außerdem ein großes per¬
sönliches Ansehen.

Aber die wesentlichste Bürgschaft für die Richtung einer neuen Negie¬
rung liegt nicht in den Personen, sondern in den Verhältnissen, unter denen
sie ihr Amt verwalten. Gerade hier indessen hat die Krisis in wohlthuendster
Weise gewirkt, indem sie die Gegensätze schärfer ausprägte und eine Reihe
von Dingen ins Licht setzte, die man früher nur unklar beurtheilt hatte.
Wir haben oben bereits erwähnt, daß die öffentliche Meinung nichts mit
jenem particularistischen Versuch gemein hatte; aber wir dürfen noch mehr
versichern, daß der Particularismus durch denselben geradezu gelitten hat,
weil man ihn gegen den Wunsch und die Interessen des Landes in Scene
gesetzt hatte. Die Gründe für diesen umgekehrten Erfolg sind leicht zu er¬
rathen. Denn während man Anfangs gar nicht daran dachte, die eigentlich
klerikalen Elemente zur Candidatur heranzuziehen, ergab es sich doch unter
der Hand, daß diese sich alsbald der Gelegenheit bemächtigten und den Be¬
strebungen, um die es sich handelte, einen ultramontanen Character gaben.
Mit diesem Namen wenigstens bezeichnete die Menge das bevorstehende Mi¬
nisterium, und mußte es das ganze Odium, das die Thätigkeit dieser Partei
verdient, bereits als Pathengeschenk in Kauf nehmen. Viele ließen sich da¬
durch abhalten, in die Candidatenliste einzutreten, andere bestätigten eben da¬
durch, daß sie eintraten, diesen Ruf. Doch wir haben oben bereits darauf
hingewiesen.

Ein anderer Grund, warum diese Gelegenheit das Ansehen der anti¬
nationalen Richtung schädigte, war die furchtbare Zwietracht, welche sich eben
in Folge dessen zwischen den beiden Hälften der clericalen Partei entspann.
Es ist bekannt, daß dieselben schon geraume Zeit im Streite liegen, weil die
Extremen sich ganz aus den römischen Standpunkt stellen, während die ge¬
mäßigte Partei wenigstens die Thatsachen acceptirt und das Reich als Vater¬
land anerkennt. Den inneren (bayrischen) Angelegenheiten gegenüber bestand


war ja bereits auf das Schlimmste gefaßt, man war gewohnt, Bayern als
das Land der Experimente zu betrachten. So sehr die Stimmung durch das
lange vergebliche Warten getrübt worden war, so rasch bellte sie sich auf, als
die Nachricht kam, daß man sich noch in elfter Stunde eines Besseren be¬
sonnen und daß dem Lande das klägliche Schauspiel eines Rückfalles erspart
sei. Denn wenn auch die Namen, die zum Besitze der vacanten Portefeuilles
berufen waren, kein sehr entschiedenes Vorgehen in nationaler Richtung ver¬
bürgten, so gaben sie doch andererseits die Garantie, daß sie nicht den Stand¬
punkt der Reservatrechte zur Grundlage ihrer Politik machen würden. Beide,
Herr v. Pfretzschner sowohl als der neue Finanzminister Berr haben im Bun¬
desrath rege Fühlung mit den Interessen und der Politik des Reiches erlangt,
die Art, wie sie Bayern dort vertraten, gab ihnen außerdem ein großes per¬
sönliches Ansehen.

Aber die wesentlichste Bürgschaft für die Richtung einer neuen Negie¬
rung liegt nicht in den Personen, sondern in den Verhältnissen, unter denen
sie ihr Amt verwalten. Gerade hier indessen hat die Krisis in wohlthuendster
Weise gewirkt, indem sie die Gegensätze schärfer ausprägte und eine Reihe
von Dingen ins Licht setzte, die man früher nur unklar beurtheilt hatte.
Wir haben oben bereits erwähnt, daß die öffentliche Meinung nichts mit
jenem particularistischen Versuch gemein hatte; aber wir dürfen noch mehr
versichern, daß der Particularismus durch denselben geradezu gelitten hat,
weil man ihn gegen den Wunsch und die Interessen des Landes in Scene
gesetzt hatte. Die Gründe für diesen umgekehrten Erfolg sind leicht zu er¬
rathen. Denn während man Anfangs gar nicht daran dachte, die eigentlich
klerikalen Elemente zur Candidatur heranzuziehen, ergab es sich doch unter
der Hand, daß diese sich alsbald der Gelegenheit bemächtigten und den Be¬
strebungen, um die es sich handelte, einen ultramontanen Character gaben.
Mit diesem Namen wenigstens bezeichnete die Menge das bevorstehende Mi¬
nisterium, und mußte es das ganze Odium, das die Thätigkeit dieser Partei
verdient, bereits als Pathengeschenk in Kauf nehmen. Viele ließen sich da¬
durch abhalten, in die Candidatenliste einzutreten, andere bestätigten eben da¬
durch, daß sie eintraten, diesen Ruf. Doch wir haben oben bereits darauf
hingewiesen.

Ein anderer Grund, warum diese Gelegenheit das Ansehen der anti¬
nationalen Richtung schädigte, war die furchtbare Zwietracht, welche sich eben
in Folge dessen zwischen den beiden Hälften der clericalen Partei entspann.
Es ist bekannt, daß dieselben schon geraume Zeit im Streite liegen, weil die
Extremen sich ganz aus den römischen Standpunkt stellen, während die ge¬
mäßigte Partei wenigstens die Thatsachen acceptirt und das Reich als Vater¬
land anerkennt. Den inneren (bayrischen) Angelegenheiten gegenüber bestand


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/123>, abgerufen am 25.07.2024.