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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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wenn es ihm nicht zu sauer wird. General Trochu gesteht ein. daß der Geist
der militärischen Hierarchie und Subordination im französischen Heere im
Verschwinden, ja fast schon erloschen sei, wie das auch in den höchst nachlässig
oder gar nicht erwiesenen Honneurs äußerlich zu Tage trete. "I,K violvnce
"lang un eluzk autorise Jo murwurv ein sudoi'ämmü" -- das ist eine allgemein
verbreitete Maxime, und gerade deshalb muß die Disciplinar-Strafgewalt
so außerordentlich umfassend und stark sein. Während bei uns in Deutsch¬
land der Vorgesetzte nur über die direkten Untergebenen Strafgewalt hat
und zwar erst vom Compagniechef an (3 Tage Arrest), hat in Frankreich
jeder Vorgesetzte über jeden Untergebenen Strafgewalt. Schon der Ser¬
geant kann über den Corpora! und dieser über den Gemeinen 4 Tage Ca-
sernenarrest oder 2 Tage salls alö police- verhängen.

Die Seele der französischen Armee auf der einen, das revolutionäre Ele¬
ment derselben auf der andern Seite sind die Unter offieiere. Sie befinden
sich in dem unglücklichen Stadium des Ueberganges, sind alle mit ihrer "Zwit¬
terstellung" nicht zufrieden, brennen vor Ehrgeiz und wollen Officier werden
um jeden Preis. Diese halbgebildeter Leute, welche in allen Casernen eigene
Lesezimmer und Bibliotheken haben, lesen außer Dienst mit Leidenschaft die
Geschichte Frankreichs und mit Borliebe natürlich die der Revolution, weil
das Brutale, Volkstümliche derselben ihnen zunächst liegt und am meisten
zusagt. Da nähren sie sich nun mit revolutionären Vorstellungen und mit
der Hoffnung, unter ähnlichen Verhältnissen auch einmal ihr Glück zu machen,
wie so viele der Männer, von denen die Bücher erzählen. Und so sehnt sich
der Unteroffizier nach Kampf, sei es ein äußerer oder ein innerer; die Mittel
sind ihm gleich -- er will Officier werden/) Nicht wenige Unterofficiere von
den zurückgebliebenen Regimentern haben während des Knmkricges auf ihre
Galons verzichtet, um als Gemeine mit zu Felde zu ziehen. -- Diese Avance¬
mentssucht der Unterofficiere hat ihren vornehmsten Grund in der socialen
Vermischung des Officierstandes mit dem ihrigen, welche ungemein schädlich
wirkt. Fast die Hälfte der Lieutenants und Capitains ist aus dem Stande
der Unterofficiere hervorgegangen, und obgleich vor diesen weder die alten
Troupiers, noch diejenigen Unterofficiere viel Respect haben, welche selbst ihren
ehemaligen Cameraden in die Officiercharge nachzufolgen hoffen, so drängt der
Ehrgeiz jeden Einzelnen doch mit großer Gewalt vorwärts. Dadurch aber, daß
die befähigsten Unterofficiere in so großer Zahl zu Officieren avanciren, wird
das Unterosficiercorps in seiner Gesammtheit geschädigt: es verliert seine besten
Elemente. Namentlich bei der Artillerie und dem Genie erwachsen eigenthüm-



') Hunde von Hafften-Tnrowo: Militärisch-politische Berichte über die französische
Armee und das französische Volk. Berlin 1859/1870.

wenn es ihm nicht zu sauer wird. General Trochu gesteht ein. daß der Geist
der militärischen Hierarchie und Subordination im französischen Heere im
Verschwinden, ja fast schon erloschen sei, wie das auch in den höchst nachlässig
oder gar nicht erwiesenen Honneurs äußerlich zu Tage trete. „I,K violvnce
«lang un eluzk autorise Jo murwurv ein sudoi'ämmü" — das ist eine allgemein
verbreitete Maxime, und gerade deshalb muß die Disciplinar-Strafgewalt
so außerordentlich umfassend und stark sein. Während bei uns in Deutsch¬
land der Vorgesetzte nur über die direkten Untergebenen Strafgewalt hat
und zwar erst vom Compagniechef an (3 Tage Arrest), hat in Frankreich
jeder Vorgesetzte über jeden Untergebenen Strafgewalt. Schon der Ser¬
geant kann über den Corpora! und dieser über den Gemeinen 4 Tage Ca-
sernenarrest oder 2 Tage salls alö police- verhängen.

Die Seele der französischen Armee auf der einen, das revolutionäre Ele¬
ment derselben auf der andern Seite sind die Unter offieiere. Sie befinden
sich in dem unglücklichen Stadium des Ueberganges, sind alle mit ihrer „Zwit¬
terstellung" nicht zufrieden, brennen vor Ehrgeiz und wollen Officier werden
um jeden Preis. Diese halbgebildeter Leute, welche in allen Casernen eigene
Lesezimmer und Bibliotheken haben, lesen außer Dienst mit Leidenschaft die
Geschichte Frankreichs und mit Borliebe natürlich die der Revolution, weil
das Brutale, Volkstümliche derselben ihnen zunächst liegt und am meisten
zusagt. Da nähren sie sich nun mit revolutionären Vorstellungen und mit
der Hoffnung, unter ähnlichen Verhältnissen auch einmal ihr Glück zu machen,
wie so viele der Männer, von denen die Bücher erzählen. Und so sehnt sich
der Unteroffizier nach Kampf, sei es ein äußerer oder ein innerer; die Mittel
sind ihm gleich — er will Officier werden/) Nicht wenige Unterofficiere von
den zurückgebliebenen Regimentern haben während des Knmkricges auf ihre
Galons verzichtet, um als Gemeine mit zu Felde zu ziehen. — Diese Avance¬
mentssucht der Unterofficiere hat ihren vornehmsten Grund in der socialen
Vermischung des Officierstandes mit dem ihrigen, welche ungemein schädlich
wirkt. Fast die Hälfte der Lieutenants und Capitains ist aus dem Stande
der Unterofficiere hervorgegangen, und obgleich vor diesen weder die alten
Troupiers, noch diejenigen Unterofficiere viel Respect haben, welche selbst ihren
ehemaligen Cameraden in die Officiercharge nachzufolgen hoffen, so drängt der
Ehrgeiz jeden Einzelnen doch mit großer Gewalt vorwärts. Dadurch aber, daß
die befähigsten Unterofficiere in so großer Zahl zu Officieren avanciren, wird
das Unterosficiercorps in seiner Gesammtheit geschädigt: es verliert seine besten
Elemente. Namentlich bei der Artillerie und dem Genie erwachsen eigenthüm-



') Hunde von Hafften-Tnrowo: Militärisch-politische Berichte über die französische
Armee und das französische Volk. Berlin 1859/1870.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/103>, abgerufen am 22.07.2024.