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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band.

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zarts Oper posi lau kutes zum ersten Male aufführte, konnte Goethe 1801
noch immer mit gutem Fug sagen: "Ich lebe in keiner musikalischen Sphäre.
Wir reproduciren das ganze Jahr hindurch bald diese bald jene Musik, aber
wo keine Production ist, kann eine Kunst auch nicht lebendig empfunden
werden." Die Wirkung fremder Künstler war nicht nachhaltig; nur im
Theater fand man mit Ausbildung der Oper*) Musik, und die im Anfang
des Jahrhunderts sich ausbildenden Liebhaberconcerte waren lange mittel¬
mäßiger Natur. Bezeichnend ist wenigstens ihre Begründung, der schon am
nächsten Tage unter Mitwirkung aller Dilettanten (1801) die Aufführung
folgte. Ungünstig wirkte auf Ausbildung des musikalischen Sinnes das
völlige Hingeben an die unvollkommene Guitarre, die recht eigentlich dem Zuge
der Zeit, dem überHand nehmenden Dichten und Singen auf leichte Weise
entsprach. Falls Neujahrswunsch charakterisirt dies, indem er 1805 sagt:


Was Mod' ist und was Mode war
In der vergangenen Periode
Das sing ich Euch zum neuen Jahr
Denn Singen, das ist jetzt -- in Weimar Mode.
Schon steigt in diesem ersten Jahr,
Ich sag es blos als Episode,
Auf 95 unsre Dichterschaar.

So darf uns das Urtheil unserer musikalisch gebildeten Großfürstin nicht
Wunder nehmen, welches Fräulein von Goechhciusen uns übermittelt hat: "Es
ist nicht zu leugnen, daß der Zustand der hiesigen Musik der Großfürstin
keine Freude macht, sie hat dies deutlich ausgesprochen; daß sie für diese
Kunst etwas thun wird, ist gewiß, doch gehört Zeit dazu, denn das Vortreff¬
liche ist immer selten."

Nur langsam ging es vorwärts. Die Rente'sche Singakademie, die 1814
70 Theilnehmer zählte, die Einführung regelmäßiger Kirchenconcerte und die
Ausbildung der Oper übten bedeutenden Einfluß. Unendlich viel dankt Wei¬
mar dem Meister Johann Nepomuk Hummel, dessen Streben es nach fast 10-
jähriger Wirksamkeit gelungen war. die Musik aus den geweihten Räumen
des Theaters auf das allgemeinere Gebiet zu verpflanzen. 1823 zum ersten
Male hörte Weimar seine glänzenden Abonnementsconeerte**) und es leistete
deshalb Großes, weil es das Vortreffliche den großen Kreisen nicht allein zu-




") Die Oper wurde noch in den ersten Decennien durch den am Flügel sitzenden Cechcll-
meister geleitet. Der eigens angestellte Notenumwendcr erhielt für den Abend 4 Groschen; es
war eine schmächtige Person, von der man behauptete, sie wäre zu diesem Dienst deshalb aus-
ersehen. weil sie wenig Schallen bei der schlechten Theaterbeleuchrnng verursache.
Hier ,"in ersten Mate die "iniVmm, ^rio", ganz.
Grenzboten IN. 1872. 9

zarts Oper posi lau kutes zum ersten Male aufführte, konnte Goethe 1801
noch immer mit gutem Fug sagen: „Ich lebe in keiner musikalischen Sphäre.
Wir reproduciren das ganze Jahr hindurch bald diese bald jene Musik, aber
wo keine Production ist, kann eine Kunst auch nicht lebendig empfunden
werden." Die Wirkung fremder Künstler war nicht nachhaltig; nur im
Theater fand man mit Ausbildung der Oper*) Musik, und die im Anfang
des Jahrhunderts sich ausbildenden Liebhaberconcerte waren lange mittel¬
mäßiger Natur. Bezeichnend ist wenigstens ihre Begründung, der schon am
nächsten Tage unter Mitwirkung aller Dilettanten (1801) die Aufführung
folgte. Ungünstig wirkte auf Ausbildung des musikalischen Sinnes das
völlige Hingeben an die unvollkommene Guitarre, die recht eigentlich dem Zuge
der Zeit, dem überHand nehmenden Dichten und Singen auf leichte Weise
entsprach. Falls Neujahrswunsch charakterisirt dies, indem er 1805 sagt:


Was Mod' ist und was Mode war
In der vergangenen Periode
Das sing ich Euch zum neuen Jahr
Denn Singen, das ist jetzt — in Weimar Mode.
Schon steigt in diesem ersten Jahr,
Ich sag es blos als Episode,
Auf 95 unsre Dichterschaar.

So darf uns das Urtheil unserer musikalisch gebildeten Großfürstin nicht
Wunder nehmen, welches Fräulein von Goechhciusen uns übermittelt hat: „Es
ist nicht zu leugnen, daß der Zustand der hiesigen Musik der Großfürstin
keine Freude macht, sie hat dies deutlich ausgesprochen; daß sie für diese
Kunst etwas thun wird, ist gewiß, doch gehört Zeit dazu, denn das Vortreff¬
liche ist immer selten."

Nur langsam ging es vorwärts. Die Rente'sche Singakademie, die 1814
70 Theilnehmer zählte, die Einführung regelmäßiger Kirchenconcerte und die
Ausbildung der Oper übten bedeutenden Einfluß. Unendlich viel dankt Wei¬
mar dem Meister Johann Nepomuk Hummel, dessen Streben es nach fast 10-
jähriger Wirksamkeit gelungen war. die Musik aus den geweihten Räumen
des Theaters auf das allgemeinere Gebiet zu verpflanzen. 1823 zum ersten
Male hörte Weimar seine glänzenden Abonnementsconeerte**) und es leistete
deshalb Großes, weil es das Vortreffliche den großen Kreisen nicht allein zu-




") Die Oper wurde noch in den ersten Decennien durch den am Flügel sitzenden Cechcll-
meister geleitet. Der eigens angestellte Notenumwendcr erhielt für den Abend 4 Groschen; es
war eine schmächtige Person, von der man behauptete, sie wäre zu diesem Dienst deshalb aus-
ersehen. weil sie wenig Schallen bei der schlechten Theaterbeleuchrnng verursache.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/73>, abgerufen am 25.08.2024.