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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band.

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schon die Bemerkung, daß es von c. 30 jungen Damen, darunter viele vom
Stande, andere den besten bürgerlichen Classen angehörend, besucht werde.
Später hatte die Theilnahme so zugenommen, daß man auch zur Erzielung
eines bessern Unterrichtes (18l6) begann, das Institut in Classen abzutheilen.
Eine hohe Bedeutung hatte früh die vom Hofe und Goethe gepflegte öffent¬
liche Bibliothek, die weitaus den Bedürfnissen Weimars entsprach und
im Auslande schon damals eines bedeutenden Rufes sich erfreute. Sie war
zugleich die Stätte für meteorologische Beobachtungen, die die Bibliothekare
veröffentlichten, Doch stand dem größern Publicum damals die Benutzung
der Bibliothek noch fern. Wer sie 1808 sehen wollte, mußte sich eine Stunde
vorher ansagen lassen. Später traf Goethe die Einrichtung, daß kleine Kreise
gegen Eintrittskarte sich zusammenfanden, denen so zu sagen in systematischer
Folge die großen Schätze gezeigt wurden, welche die klassische Zeit Weimars
zusammengebracht hatte. Seit 1825 verallgemeinerte Karl August den Besuch,
und regte namentlich die Landbevölkerung in nicht zu unterschätzender Weise
zum freien Besuche der Bibliothek an.

Einen bedeutenden Fortschritt bekundet die Geschichte des Weimarischen
Museums. Vor dem Schloßbrande (1774) gab es zwar im Schloß eine
Bilderkammer, aber von Einheimischen war sie kaum benutzt und Fremde zog
sie nicht an, weil sie so dunkel war, daß man noch 1772 einen guten Theil der
Kunstproducte nicht sehen konnte. Der Director erfreute sich als Hofmaler
zugleich eines Gehaltes von ISO Thaler und charakteristisch ist sein Diensteid,
der ihm vorschrieb, sich eines stillen christlichen Lebenswandels zu befleißigen,
unanständige Gesellschaft zu meiden, unnöthiges Geschwätz zu unterlassen, alles
was er bei Hofe höre, bis in seine Grube geheim zu halten, insonderheit und
daneben aber auch die ihm anvertraute Bilderkammer zu bewahren und Nie¬
manden daraus abcopiren zu lassen. Nach dem Schloßbrande waren Kunst-
und Naturaliensammlung noch gemeinsam verwaltet; letztere glaubte steif und
fest neben vielen Merkwürdigkeiten (während der größte Theil der Bilder¬
kammer im Schloßbrande untergegangen war), einen Schuh unserer Apostel
zu besitzen. Ihr derzeitiger Director Heinsius spricht nur von 11 geretteten
Gemälden und von 403 Kupferstichen. Wir sehen, daß auch hier in Weimar
von vorn angefangen werden mußte, so daß die heutigen Sammlungen nicht
einmal eine hundertjährige Geschichte für sich haben. Karl August, Amalia,
Goethe schufen die ersten nennenswerthen Anfänge und wenn man bedenkt,
daß die Bedürfnisse der Hofhaltung Karl August's jährlich mit 41 bis 160,000
Thaler bestritten, und der Lage der Sache nach, ein wesentlicher Theil
der Culturaufgaben Weimars mit diesen karg bemessenen Mitteln gelöst
worden ist, so darf man gewiß nur mit Genugthuung und Freude den heutigen
Bestand der Kunstsammlungen betrachten.


schon die Bemerkung, daß es von c. 30 jungen Damen, darunter viele vom
Stande, andere den besten bürgerlichen Classen angehörend, besucht werde.
Später hatte die Theilnahme so zugenommen, daß man auch zur Erzielung
eines bessern Unterrichtes (18l6) begann, das Institut in Classen abzutheilen.
Eine hohe Bedeutung hatte früh die vom Hofe und Goethe gepflegte öffent¬
liche Bibliothek, die weitaus den Bedürfnissen Weimars entsprach und
im Auslande schon damals eines bedeutenden Rufes sich erfreute. Sie war
zugleich die Stätte für meteorologische Beobachtungen, die die Bibliothekare
veröffentlichten, Doch stand dem größern Publicum damals die Benutzung
der Bibliothek noch fern. Wer sie 1808 sehen wollte, mußte sich eine Stunde
vorher ansagen lassen. Später traf Goethe die Einrichtung, daß kleine Kreise
gegen Eintrittskarte sich zusammenfanden, denen so zu sagen in systematischer
Folge die großen Schätze gezeigt wurden, welche die klassische Zeit Weimars
zusammengebracht hatte. Seit 1825 verallgemeinerte Karl August den Besuch,
und regte namentlich die Landbevölkerung in nicht zu unterschätzender Weise
zum freien Besuche der Bibliothek an.

Einen bedeutenden Fortschritt bekundet die Geschichte des Weimarischen
Museums. Vor dem Schloßbrande (1774) gab es zwar im Schloß eine
Bilderkammer, aber von Einheimischen war sie kaum benutzt und Fremde zog
sie nicht an, weil sie so dunkel war, daß man noch 1772 einen guten Theil der
Kunstproducte nicht sehen konnte. Der Director erfreute sich als Hofmaler
zugleich eines Gehaltes von ISO Thaler und charakteristisch ist sein Diensteid,
der ihm vorschrieb, sich eines stillen christlichen Lebenswandels zu befleißigen,
unanständige Gesellschaft zu meiden, unnöthiges Geschwätz zu unterlassen, alles
was er bei Hofe höre, bis in seine Grube geheim zu halten, insonderheit und
daneben aber auch die ihm anvertraute Bilderkammer zu bewahren und Nie¬
manden daraus abcopiren zu lassen. Nach dem Schloßbrande waren Kunst-
und Naturaliensammlung noch gemeinsam verwaltet; letztere glaubte steif und
fest neben vielen Merkwürdigkeiten (während der größte Theil der Bilder¬
kammer im Schloßbrande untergegangen war), einen Schuh unserer Apostel
zu besitzen. Ihr derzeitiger Director Heinsius spricht nur von 11 geretteten
Gemälden und von 403 Kupferstichen. Wir sehen, daß auch hier in Weimar
von vorn angefangen werden mußte, so daß die heutigen Sammlungen nicht
einmal eine hundertjährige Geschichte für sich haben. Karl August, Amalia,
Goethe schufen die ersten nennenswerthen Anfänge und wenn man bedenkt,
daß die Bedürfnisse der Hofhaltung Karl August's jährlich mit 41 bis 160,000
Thaler bestritten, und der Lage der Sache nach, ein wesentlicher Theil
der Culturaufgaben Weimars mit diesen karg bemessenen Mitteln gelöst
worden ist, so darf man gewiß nur mit Genugthuung und Freude den heutigen
Bestand der Kunstsammlungen betrachten.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/67>, abgerufen am 25.08.2024.