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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band.

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folgendermaßen lautete: "Für die Nationalwürde sorgen, heißt für das Heer
sorgen, dessen edle und uneigennützige Vaterlandsliebe so oft verkannt wurde.
Unter Beibehaltung der Grundgesetze, auf welchen unsere Hee¬
resverfassung beruht, ist es nöthig, daß die Bürde der Dienst¬
pflicht erleichtert, nicht erschwert werde. Es ist nothwendig, für die
Gegenwart und die Zukunft, nicht nur der Officiere, sondern auch der Un-
terofficiere und Soldaten zu sorgen und den Männern, welche lange unter
der Fahne gestanden, eine gesicherte Existenz zu bereiten." -- Dies Wahlma¬
nifest bezog sich auf die Präsidentenwahl, zu welcher sich Louis Napoleon
als Candidat gemeldet. Man sollte es für unmöglich halten, daß eine große
Nation, welche eben eine furchtbare Krisis überstanden, zum Leiter ihrer Ge¬
schicke einen Menschen wählt, der ein "Nichts" ist, von dem man nichts kennt,
als seinen Namen und zwei Abenteuer, durch die er sich unsterblich blamirt.
Aber man wählte auch nicht ihn, sondern eben seinen Namen. -- Abgesehen
von einer geringen Anzahl von Voden, die sich auf Ledru Rollin, Raspail
und Lamartine vertheilten, erhielt Cavaignac: 1,448,107, Louis Napoleon
5,434,226 Stimmen. Cavaignac, der treue Soldat der Republik, hatte die
absolute Majorität in alt-legitimistischen Departements: Var, Rhonemündungen.
Morbihan, Finistere; Louis Napoleon, der Neffe des Onkels, in den am
meisten socialistisch gesinnten Departements: Saone und Loire, Creuse, Haute-
Vienne, Jsere und Drone. Louis Napoleon war Präsident der Re¬
publik.

Cavaignac legte die oberste Gewalt in die Hände Napoleon's nieder.
Er hatte diese Wendung vorausgesehen. Schrieb man ihm doch die Aeußer¬
ung zu: "Die Franzosen sind so wenig Republikaner, daß sie im Nothfall
Hanswurst I. wählen würden, um nur wieder zur Monarchie zu kommen.
Diese stand nun vor der Thür. Ihre Einführung konnte aber nur durch die
Armee geschehen. Es handelte sich darum, daß der Präsident der Republik
diesen Groß-Ceremonienmeister für sich gewann und ihm begreiflich machte,
daß der Vortheil der Armee mit dem Vortheil der Dynastie Napoleon iden¬
tisch sei. Konnte das schwer halten?!




Iriese aus Aerttn.

"Nach Allem Großen das wir erlebt, würde ich nichts dagegen haben
wenn die Weltgeschichte eine Weile stehen zu bleiben schiene." Dieses Wort,


folgendermaßen lautete: „Für die Nationalwürde sorgen, heißt für das Heer
sorgen, dessen edle und uneigennützige Vaterlandsliebe so oft verkannt wurde.
Unter Beibehaltung der Grundgesetze, auf welchen unsere Hee¬
resverfassung beruht, ist es nöthig, daß die Bürde der Dienst¬
pflicht erleichtert, nicht erschwert werde. Es ist nothwendig, für die
Gegenwart und die Zukunft, nicht nur der Officiere, sondern auch der Un-
terofficiere und Soldaten zu sorgen und den Männern, welche lange unter
der Fahne gestanden, eine gesicherte Existenz zu bereiten." — Dies Wahlma¬
nifest bezog sich auf die Präsidentenwahl, zu welcher sich Louis Napoleon
als Candidat gemeldet. Man sollte es für unmöglich halten, daß eine große
Nation, welche eben eine furchtbare Krisis überstanden, zum Leiter ihrer Ge¬
schicke einen Menschen wählt, der ein „Nichts" ist, von dem man nichts kennt,
als seinen Namen und zwei Abenteuer, durch die er sich unsterblich blamirt.
Aber man wählte auch nicht ihn, sondern eben seinen Namen. — Abgesehen
von einer geringen Anzahl von Voden, die sich auf Ledru Rollin, Raspail
und Lamartine vertheilten, erhielt Cavaignac: 1,448,107, Louis Napoleon
5,434,226 Stimmen. Cavaignac, der treue Soldat der Republik, hatte die
absolute Majorität in alt-legitimistischen Departements: Var, Rhonemündungen.
Morbihan, Finistere; Louis Napoleon, der Neffe des Onkels, in den am
meisten socialistisch gesinnten Departements: Saone und Loire, Creuse, Haute-
Vienne, Jsere und Drone. Louis Napoleon war Präsident der Re¬
publik.

Cavaignac legte die oberste Gewalt in die Hände Napoleon's nieder.
Er hatte diese Wendung vorausgesehen. Schrieb man ihm doch die Aeußer¬
ung zu: „Die Franzosen sind so wenig Republikaner, daß sie im Nothfall
Hanswurst I. wählen würden, um nur wieder zur Monarchie zu kommen.
Diese stand nun vor der Thür. Ihre Einführung konnte aber nur durch die
Armee geschehen. Es handelte sich darum, daß der Präsident der Republik
diesen Groß-Ceremonienmeister für sich gewann und ihm begreiflich machte,
daß der Vortheil der Armee mit dem Vortheil der Dynastie Napoleon iden¬
tisch sei. Konnte das schwer halten?!




Iriese aus Aerttn.

„Nach Allem Großen das wir erlebt, würde ich nichts dagegen haben
wenn die Weltgeschichte eine Weile stehen zu bleiben schiene." Dieses Wort,


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[0514] folgendermaßen lautete: „Für die Nationalwürde sorgen, heißt für das Heer sorgen, dessen edle und uneigennützige Vaterlandsliebe so oft verkannt wurde. Unter Beibehaltung der Grundgesetze, auf welchen unsere Hee¬ resverfassung beruht, ist es nöthig, daß die Bürde der Dienst¬ pflicht erleichtert, nicht erschwert werde. Es ist nothwendig, für die Gegenwart und die Zukunft, nicht nur der Officiere, sondern auch der Un- terofficiere und Soldaten zu sorgen und den Männern, welche lange unter der Fahne gestanden, eine gesicherte Existenz zu bereiten." — Dies Wahlma¬ nifest bezog sich auf die Präsidentenwahl, zu welcher sich Louis Napoleon als Candidat gemeldet. Man sollte es für unmöglich halten, daß eine große Nation, welche eben eine furchtbare Krisis überstanden, zum Leiter ihrer Ge¬ schicke einen Menschen wählt, der ein „Nichts" ist, von dem man nichts kennt, als seinen Namen und zwei Abenteuer, durch die er sich unsterblich blamirt. Aber man wählte auch nicht ihn, sondern eben seinen Namen. — Abgesehen von einer geringen Anzahl von Voden, die sich auf Ledru Rollin, Raspail und Lamartine vertheilten, erhielt Cavaignac: 1,448,107, Louis Napoleon 5,434,226 Stimmen. Cavaignac, der treue Soldat der Republik, hatte die absolute Majorität in alt-legitimistischen Departements: Var, Rhonemündungen. Morbihan, Finistere; Louis Napoleon, der Neffe des Onkels, in den am meisten socialistisch gesinnten Departements: Saone und Loire, Creuse, Haute- Vienne, Jsere und Drone. Louis Napoleon war Präsident der Re¬ publik. Cavaignac legte die oberste Gewalt in die Hände Napoleon's nieder. Er hatte diese Wendung vorausgesehen. Schrieb man ihm doch die Aeußer¬ ung zu: „Die Franzosen sind so wenig Republikaner, daß sie im Nothfall Hanswurst I. wählen würden, um nur wieder zur Monarchie zu kommen. Diese stand nun vor der Thür. Ihre Einführung konnte aber nur durch die Armee geschehen. Es handelte sich darum, daß der Präsident der Republik diesen Groß-Ceremonienmeister für sich gewann und ihm begreiflich machte, daß der Vortheil der Armee mit dem Vortheil der Dynastie Napoleon iden¬ tisch sei. Konnte das schwer halten?! Iriese aus Aerttn. „Nach Allem Großen das wir erlebt, würde ich nichts dagegen haben wenn die Weltgeschichte eine Weile stehen zu bleiben schiene." Dieses Wort,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/514>, abgerufen am 22.07.2024.