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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band.

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Urne hervorgegangen, und obgleich der Träger desselben zunächst auf den Ein¬
tritt in die Versammlung verzichtete, so war seine Secte doch in beständigem
Wachsthum begriffen.

In der Nacht vom 22. zum 23. Juli organisirte sich der Aufstand der
"Arbeiter" und der Kampf begann gleichzeitig am Pantheon und an einer
Barrikade der Porte Se. Denis. Die Regierung war aufs Aeußerste vorbe¬
reitet, namentlich dadurch, daß sie allmählig wieder Truppen in die Hauptstadt
gezogen, ja sie hatte auch wol die Absicht, definitiv "ein Ende zu machen",
und ließ den Aufstand groß werden, um ihn dann mit einem gewaltigen
Schlage für immer zu vernichten. Den Oberbefehl führte der Ende Mai aus
Algier eingetroffene General Cavaignac, der auch das Kriegsministerium
übernommen hatte. Nach seiner Angabe standen zu Paris, Versailles und
Se. Germain 29.000 M ann Linientruppen. Einen Theil des Alpenheeres
hatte man der Hauptstadt genähert. Die Mobilgarde war 15,000, die Poli¬
zeimacht (nämlich die (?g,räe rvMdlieaine und die LergLimts ac pill<z) S000
Mann stark, und die Pariser Nationalgarde, welche Anfangs sehr saumselig
der Allarmtrommel folgte, kam durch den Ernst der Lage und in Erkenntniß,
daß es sich um ihre allereigensten Interessen handle, nach und nach in leiden¬
schaftliche Stimmung, namentlich als ländliche Nationalgarten der Umgegend
ihr mit gutem Beispiele vorangingen. Der Classenkrieg war ausgebrochen!
Als sich die ganze furchtbare Entschlossenheit der Jnsurrection herausstellte,
wurde Paris in Belagerungszustand erklärt und General Cavaignac mit der
Dictatur bekleidet. Die R egierungsgewalt war also in die Hand
eines Soldaten gelegt. Acht Jahre hatte es gedauert, bevor die erste
Republik sich unter die Militärdictatur beugte; die zweite Republik gelangte
binnen vier Monaten dahin. -- Nun wurde der Kampf mit höchster Energie
und beständig wachsender Erbitterung fortgeführt und gestaltete sich zu der
fürchterlichen, selbst in der französischen Geschichte bis dahin kaum erhörten Er¬
scheinung der Junisch lacht. Der Fanatismus der Aufständischen stieg bis
zur Raserei; sie wurden gut geführt, und es unterliegt wol keinem Zweifel,
daß die meisten Barrikadenhäuptlinge altgediente Soldaten waren. --- Die
Truppen fochten auch mit grenzenloser Wuth. Sie wollten ihre vom Pöbel
besudelten Fahnen reinwaschen im Blute der "Canaille." -- Die Mobilgarde,
auf deren Haltung man erst mit großer Sorge geblickt, hielt nicht nur treu
zur Regierung, sondern übertraf die Truppen sogar durch Mordzorn. Sie
wüthete Tigern gleich und machte erbarmungslos Alles nieder, was ihr vor die
Klinge kam. -- Die Insurgenten freilich überboten auch sie noch; sie verübten
an den Gefangenen, die sie hie und da machten, unaussprechliche Gräuel, die
man bisher nur unter Kannibalen für möglich gehalten hatte. Ein Schick¬
sal solcher Art traf u. A. den General Brea. Aber auch "die gute Bür-


Urne hervorgegangen, und obgleich der Träger desselben zunächst auf den Ein¬
tritt in die Versammlung verzichtete, so war seine Secte doch in beständigem
Wachsthum begriffen.

In der Nacht vom 22. zum 23. Juli organisirte sich der Aufstand der
„Arbeiter" und der Kampf begann gleichzeitig am Pantheon und an einer
Barrikade der Porte Se. Denis. Die Regierung war aufs Aeußerste vorbe¬
reitet, namentlich dadurch, daß sie allmählig wieder Truppen in die Hauptstadt
gezogen, ja sie hatte auch wol die Absicht, definitiv „ein Ende zu machen",
und ließ den Aufstand groß werden, um ihn dann mit einem gewaltigen
Schlage für immer zu vernichten. Den Oberbefehl führte der Ende Mai aus
Algier eingetroffene General Cavaignac, der auch das Kriegsministerium
übernommen hatte. Nach seiner Angabe standen zu Paris, Versailles und
Se. Germain 29.000 M ann Linientruppen. Einen Theil des Alpenheeres
hatte man der Hauptstadt genähert. Die Mobilgarde war 15,000, die Poli¬
zeimacht (nämlich die (?g,räe rvMdlieaine und die LergLimts ac pill<z) S000
Mann stark, und die Pariser Nationalgarde, welche Anfangs sehr saumselig
der Allarmtrommel folgte, kam durch den Ernst der Lage und in Erkenntniß,
daß es sich um ihre allereigensten Interessen handle, nach und nach in leiden¬
schaftliche Stimmung, namentlich als ländliche Nationalgarten der Umgegend
ihr mit gutem Beispiele vorangingen. Der Classenkrieg war ausgebrochen!
Als sich die ganze furchtbare Entschlossenheit der Jnsurrection herausstellte,
wurde Paris in Belagerungszustand erklärt und General Cavaignac mit der
Dictatur bekleidet. Die R egierungsgewalt war also in die Hand
eines Soldaten gelegt. Acht Jahre hatte es gedauert, bevor die erste
Republik sich unter die Militärdictatur beugte; die zweite Republik gelangte
binnen vier Monaten dahin. — Nun wurde der Kampf mit höchster Energie
und beständig wachsender Erbitterung fortgeführt und gestaltete sich zu der
fürchterlichen, selbst in der französischen Geschichte bis dahin kaum erhörten Er¬
scheinung der Junisch lacht. Der Fanatismus der Aufständischen stieg bis
zur Raserei; sie wurden gut geführt, und es unterliegt wol keinem Zweifel,
daß die meisten Barrikadenhäuptlinge altgediente Soldaten waren. -— Die
Truppen fochten auch mit grenzenloser Wuth. Sie wollten ihre vom Pöbel
besudelten Fahnen reinwaschen im Blute der „Canaille." — Die Mobilgarde,
auf deren Haltung man erst mit großer Sorge geblickt, hielt nicht nur treu
zur Regierung, sondern übertraf die Truppen sogar durch Mordzorn. Sie
wüthete Tigern gleich und machte erbarmungslos Alles nieder, was ihr vor die
Klinge kam. — Die Insurgenten freilich überboten auch sie noch; sie verübten
an den Gefangenen, die sie hie und da machten, unaussprechliche Gräuel, die
man bisher nur unter Kannibalen für möglich gehalten hatte. Ein Schick¬
sal solcher Art traf u. A. den General Brea. Aber auch „die gute Bür-


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[0512] Urne hervorgegangen, und obgleich der Träger desselben zunächst auf den Ein¬ tritt in die Versammlung verzichtete, so war seine Secte doch in beständigem Wachsthum begriffen. In der Nacht vom 22. zum 23. Juli organisirte sich der Aufstand der „Arbeiter" und der Kampf begann gleichzeitig am Pantheon und an einer Barrikade der Porte Se. Denis. Die Regierung war aufs Aeußerste vorbe¬ reitet, namentlich dadurch, daß sie allmählig wieder Truppen in die Hauptstadt gezogen, ja sie hatte auch wol die Absicht, definitiv „ein Ende zu machen", und ließ den Aufstand groß werden, um ihn dann mit einem gewaltigen Schlage für immer zu vernichten. Den Oberbefehl führte der Ende Mai aus Algier eingetroffene General Cavaignac, der auch das Kriegsministerium übernommen hatte. Nach seiner Angabe standen zu Paris, Versailles und Se. Germain 29.000 M ann Linientruppen. Einen Theil des Alpenheeres hatte man der Hauptstadt genähert. Die Mobilgarde war 15,000, die Poli¬ zeimacht (nämlich die (?g,räe rvMdlieaine und die LergLimts ac pill<z) S000 Mann stark, und die Pariser Nationalgarde, welche Anfangs sehr saumselig der Allarmtrommel folgte, kam durch den Ernst der Lage und in Erkenntniß, daß es sich um ihre allereigensten Interessen handle, nach und nach in leiden¬ schaftliche Stimmung, namentlich als ländliche Nationalgarten der Umgegend ihr mit gutem Beispiele vorangingen. Der Classenkrieg war ausgebrochen! Als sich die ganze furchtbare Entschlossenheit der Jnsurrection herausstellte, wurde Paris in Belagerungszustand erklärt und General Cavaignac mit der Dictatur bekleidet. Die R egierungsgewalt war also in die Hand eines Soldaten gelegt. Acht Jahre hatte es gedauert, bevor die erste Republik sich unter die Militärdictatur beugte; die zweite Republik gelangte binnen vier Monaten dahin. — Nun wurde der Kampf mit höchster Energie und beständig wachsender Erbitterung fortgeführt und gestaltete sich zu der fürchterlichen, selbst in der französischen Geschichte bis dahin kaum erhörten Er¬ scheinung der Junisch lacht. Der Fanatismus der Aufständischen stieg bis zur Raserei; sie wurden gut geführt, und es unterliegt wol keinem Zweifel, daß die meisten Barrikadenhäuptlinge altgediente Soldaten waren. -— Die Truppen fochten auch mit grenzenloser Wuth. Sie wollten ihre vom Pöbel besudelten Fahnen reinwaschen im Blute der „Canaille." — Die Mobilgarde, auf deren Haltung man erst mit großer Sorge geblickt, hielt nicht nur treu zur Regierung, sondern übertraf die Truppen sogar durch Mordzorn. Sie wüthete Tigern gleich und machte erbarmungslos Alles nieder, was ihr vor die Klinge kam. — Die Insurgenten freilich überboten auch sie noch; sie verübten an den Gefangenen, die sie hie und da machten, unaussprechliche Gräuel, die man bisher nur unter Kannibalen für möglich gehalten hatte. Ein Schick¬ sal solcher Art traf u. A. den General Brea. Aber auch „die gute Bür-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/512>, abgerufen am 22.12.2024.