Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

als die Untersuchung beginnen sollte, in Flammen auf, ohne daß es gelang,
den Brandstifter ausfindig zu machen. Der bisherige Kriegsminister, General
Cubieres, mußte wegen einer Bestechung mit Verlust der bürgerlichen Ehren¬
rechte und einer Geldbuße bestraft werden -- traurige Anzeichen einer auch
im Heere beständig wachsenden Corruption und Feilheit.

Die Kämpfe in Algier trugen nicht dazu bei, diesen Krebsschaden zu
heilen. Hier war nach dreijährigem ununterbrochenem Ringen mit Abtei Ka¬
der der General Bugeaud Oberbefehlshaber geworden. Seine energische Krieg¬
führung und der glückliche Ueberfall, durch welchen sich der Herzog von
Aumale der Smalcch des Emirs bemächtigte, förderte den Gang der Dinge
außerordentlich; die Franzosen reichten den Marokkanern die Hand, und end¬
lich ergab sich Abtei Kader, gegen das Versprechen freien Abzugs nach Aegyp-
ten oder Syrien, dem General Lamoriciere. Der Herzog von Aumale als
Gouverneur bestätigte den auf Treu und Glauben abgeschlossenen Bertrag;
die französische Regierung aber erkannte ihn nicht an und führte den Emir
vermöge eines schimpflichen Treubruchs zu Anfang d. I. 1848 als Gefange¬
nen in das Schloß von Pan.

Unterdeß war in Corruption und Verrottung das Frankreich der Juli-
Monarchie alt geworden; das Gewitter der Revolution stieg höher und höher
an seinem Himmel empor; endlich begann der Kehraus. -- Es war entschei¬
dend für den Verlauf des Februaraufstandes, daß die Nationalgarde,
das gepriesene Fundament des Bürgerkönigthums, sich auch als unzuverlässig
zeigte. Als am 22. Februar 1848 die Apelltrommeln rasselten, folgten die
konservativen Elemente der Nationalgarde nur spärlich und verdrossen ihrem
Ruf, die Mehrheit aber erwies sich reformlustig, d. h. feindlich. Indeß be¬
fanden sich zu Paris und Umgegend 30 bis 40,000 Mann Truppen. Diese
Soldaten aber, gewohnt, seit achtzehn Jahren vereint mit der Nationalgarde
dem Aufruhr gegenüber zu stehn, wurden durch die schwankende Haltung der
letzteren irre, so daß sich bald ein stillschweigendes Einverständniß zwischen
Insurgenten, Nationalgarten und Truppen ergab. Es half auch nichts, daß
der dem Hofe zwar verhaßte, doch energische Marschall Bugeaud zum Ober¬
befehlshaber ernannt ward; denn er fand keinen Gehorsam. "Hüten Sie sich
vor Allem zu unterhandeln, sonst sind Sie verloren!" das hatte der Marschall
seinen Unterführern ans Herz gelegt, und gleichwol ließen sich sogar Generale
an der Spitze ganzer Regimenter, wie Bedeau, auf Verhandlungen ein, die
mit schimpflichen Rückzüge der Truppen endeten. Bald war Bugeaud selbst
weg verhandelt und an seine Stelle der altersschwache Marschall Girard ge¬
setzt, nachdem schon General Lamoriciere Befehlshaber der Nationalgarde ge¬
worden. Unthätig und hungrig, demoralistrt und geschmäht, schlaff und ver¬
drossen, begannen die Truppen, sich mit dem Volke zu vermischen. Bald hier,


als die Untersuchung beginnen sollte, in Flammen auf, ohne daß es gelang,
den Brandstifter ausfindig zu machen. Der bisherige Kriegsminister, General
Cubieres, mußte wegen einer Bestechung mit Verlust der bürgerlichen Ehren¬
rechte und einer Geldbuße bestraft werden — traurige Anzeichen einer auch
im Heere beständig wachsenden Corruption und Feilheit.

Die Kämpfe in Algier trugen nicht dazu bei, diesen Krebsschaden zu
heilen. Hier war nach dreijährigem ununterbrochenem Ringen mit Abtei Ka¬
der der General Bugeaud Oberbefehlshaber geworden. Seine energische Krieg¬
führung und der glückliche Ueberfall, durch welchen sich der Herzog von
Aumale der Smalcch des Emirs bemächtigte, förderte den Gang der Dinge
außerordentlich; die Franzosen reichten den Marokkanern die Hand, und end¬
lich ergab sich Abtei Kader, gegen das Versprechen freien Abzugs nach Aegyp-
ten oder Syrien, dem General Lamoriciere. Der Herzog von Aumale als
Gouverneur bestätigte den auf Treu und Glauben abgeschlossenen Bertrag;
die französische Regierung aber erkannte ihn nicht an und führte den Emir
vermöge eines schimpflichen Treubruchs zu Anfang d. I. 1848 als Gefange¬
nen in das Schloß von Pan.

Unterdeß war in Corruption und Verrottung das Frankreich der Juli-
Monarchie alt geworden; das Gewitter der Revolution stieg höher und höher
an seinem Himmel empor; endlich begann der Kehraus. — Es war entschei¬
dend für den Verlauf des Februaraufstandes, daß die Nationalgarde,
das gepriesene Fundament des Bürgerkönigthums, sich auch als unzuverlässig
zeigte. Als am 22. Februar 1848 die Apelltrommeln rasselten, folgten die
konservativen Elemente der Nationalgarde nur spärlich und verdrossen ihrem
Ruf, die Mehrheit aber erwies sich reformlustig, d. h. feindlich. Indeß be¬
fanden sich zu Paris und Umgegend 30 bis 40,000 Mann Truppen. Diese
Soldaten aber, gewohnt, seit achtzehn Jahren vereint mit der Nationalgarde
dem Aufruhr gegenüber zu stehn, wurden durch die schwankende Haltung der
letzteren irre, so daß sich bald ein stillschweigendes Einverständniß zwischen
Insurgenten, Nationalgarten und Truppen ergab. Es half auch nichts, daß
der dem Hofe zwar verhaßte, doch energische Marschall Bugeaud zum Ober¬
befehlshaber ernannt ward; denn er fand keinen Gehorsam. „Hüten Sie sich
vor Allem zu unterhandeln, sonst sind Sie verloren!" das hatte der Marschall
seinen Unterführern ans Herz gelegt, und gleichwol ließen sich sogar Generale
an der Spitze ganzer Regimenter, wie Bedeau, auf Verhandlungen ein, die
mit schimpflichen Rückzüge der Truppen endeten. Bald war Bugeaud selbst
weg verhandelt und an seine Stelle der altersschwache Marschall Girard ge¬
setzt, nachdem schon General Lamoriciere Befehlshaber der Nationalgarde ge¬
worden. Unthätig und hungrig, demoralistrt und geschmäht, schlaff und ver¬
drossen, begannen die Truppen, sich mit dem Volke zu vermischen. Bald hier,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0506" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/128434"/>
          <p xml:id="ID_1677" prev="#ID_1676"> als die Untersuchung beginnen sollte, in Flammen auf, ohne daß es gelang,<lb/>
den Brandstifter ausfindig zu machen. Der bisherige Kriegsminister, General<lb/>
Cubieres, mußte wegen einer Bestechung mit Verlust der bürgerlichen Ehren¬<lb/>
rechte und einer Geldbuße bestraft werden &#x2014; traurige Anzeichen einer auch<lb/>
im Heere beständig wachsenden Corruption und Feilheit.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1678"> Die Kämpfe in Algier trugen nicht dazu bei, diesen Krebsschaden zu<lb/>
heilen. Hier war nach dreijährigem ununterbrochenem Ringen mit Abtei Ka¬<lb/>
der der General Bugeaud Oberbefehlshaber geworden. Seine energische Krieg¬<lb/>
führung und der glückliche Ueberfall, durch welchen sich der Herzog von<lb/>
Aumale der Smalcch des Emirs bemächtigte, förderte den Gang der Dinge<lb/>
außerordentlich; die Franzosen reichten den Marokkanern die Hand, und end¬<lb/>
lich ergab sich Abtei Kader, gegen das Versprechen freien Abzugs nach Aegyp-<lb/>
ten oder Syrien, dem General Lamoriciere. Der Herzog von Aumale als<lb/>
Gouverneur bestätigte den auf Treu und Glauben abgeschlossenen Bertrag;<lb/>
die französische Regierung aber erkannte ihn nicht an und führte den Emir<lb/>
vermöge eines schimpflichen Treubruchs zu Anfang d. I. 1848 als Gefange¬<lb/>
nen in das Schloß von Pan.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1679" next="#ID_1680"> Unterdeß war in Corruption und Verrottung das Frankreich der Juli-<lb/>
Monarchie alt geworden; das Gewitter der Revolution stieg höher und höher<lb/>
an seinem Himmel empor; endlich begann der Kehraus. &#x2014; Es war entschei¬<lb/>
dend für den Verlauf des Februaraufstandes, daß die Nationalgarde,<lb/>
das gepriesene Fundament des Bürgerkönigthums, sich auch als unzuverlässig<lb/>
zeigte. Als am 22. Februar 1848 die Apelltrommeln rasselten, folgten die<lb/>
konservativen Elemente der Nationalgarde nur spärlich und verdrossen ihrem<lb/>
Ruf, die Mehrheit aber erwies sich reformlustig, d. h. feindlich. Indeß be¬<lb/>
fanden sich zu Paris und Umgegend 30 bis 40,000 Mann Truppen. Diese<lb/>
Soldaten aber, gewohnt, seit achtzehn Jahren vereint mit der Nationalgarde<lb/>
dem Aufruhr gegenüber zu stehn, wurden durch die schwankende Haltung der<lb/>
letzteren irre, so daß sich bald ein stillschweigendes Einverständniß zwischen<lb/>
Insurgenten, Nationalgarten und Truppen ergab.  Es half auch nichts, daß<lb/>
der dem Hofe zwar verhaßte, doch energische Marschall Bugeaud zum Ober¬<lb/>
befehlshaber ernannt ward; denn er fand keinen Gehorsam.  &#x201E;Hüten Sie sich<lb/>
vor Allem zu unterhandeln, sonst sind Sie verloren!" das hatte der Marschall<lb/>
seinen Unterführern ans Herz gelegt, und gleichwol ließen sich sogar Generale<lb/>
an der Spitze ganzer Regimenter, wie Bedeau, auf Verhandlungen ein, die<lb/>
mit schimpflichen Rückzüge der Truppen endeten. Bald war Bugeaud selbst<lb/>
weg verhandelt und an seine Stelle der altersschwache Marschall Girard ge¬<lb/>
setzt, nachdem schon General Lamoriciere Befehlshaber der Nationalgarde ge¬<lb/>
worden. Unthätig und hungrig, demoralistrt und geschmäht, schlaff und ver¬<lb/>
drossen, begannen die Truppen, sich mit dem Volke zu vermischen. Bald hier,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0506] als die Untersuchung beginnen sollte, in Flammen auf, ohne daß es gelang, den Brandstifter ausfindig zu machen. Der bisherige Kriegsminister, General Cubieres, mußte wegen einer Bestechung mit Verlust der bürgerlichen Ehren¬ rechte und einer Geldbuße bestraft werden — traurige Anzeichen einer auch im Heere beständig wachsenden Corruption und Feilheit. Die Kämpfe in Algier trugen nicht dazu bei, diesen Krebsschaden zu heilen. Hier war nach dreijährigem ununterbrochenem Ringen mit Abtei Ka¬ der der General Bugeaud Oberbefehlshaber geworden. Seine energische Krieg¬ führung und der glückliche Ueberfall, durch welchen sich der Herzog von Aumale der Smalcch des Emirs bemächtigte, förderte den Gang der Dinge außerordentlich; die Franzosen reichten den Marokkanern die Hand, und end¬ lich ergab sich Abtei Kader, gegen das Versprechen freien Abzugs nach Aegyp- ten oder Syrien, dem General Lamoriciere. Der Herzog von Aumale als Gouverneur bestätigte den auf Treu und Glauben abgeschlossenen Bertrag; die französische Regierung aber erkannte ihn nicht an und führte den Emir vermöge eines schimpflichen Treubruchs zu Anfang d. I. 1848 als Gefange¬ nen in das Schloß von Pan. Unterdeß war in Corruption und Verrottung das Frankreich der Juli- Monarchie alt geworden; das Gewitter der Revolution stieg höher und höher an seinem Himmel empor; endlich begann der Kehraus. — Es war entschei¬ dend für den Verlauf des Februaraufstandes, daß die Nationalgarde, das gepriesene Fundament des Bürgerkönigthums, sich auch als unzuverlässig zeigte. Als am 22. Februar 1848 die Apelltrommeln rasselten, folgten die konservativen Elemente der Nationalgarde nur spärlich und verdrossen ihrem Ruf, die Mehrheit aber erwies sich reformlustig, d. h. feindlich. Indeß be¬ fanden sich zu Paris und Umgegend 30 bis 40,000 Mann Truppen. Diese Soldaten aber, gewohnt, seit achtzehn Jahren vereint mit der Nationalgarde dem Aufruhr gegenüber zu stehn, wurden durch die schwankende Haltung der letzteren irre, so daß sich bald ein stillschweigendes Einverständniß zwischen Insurgenten, Nationalgarten und Truppen ergab. Es half auch nichts, daß der dem Hofe zwar verhaßte, doch energische Marschall Bugeaud zum Ober¬ befehlshaber ernannt ward; denn er fand keinen Gehorsam. „Hüten Sie sich vor Allem zu unterhandeln, sonst sind Sie verloren!" das hatte der Marschall seinen Unterführern ans Herz gelegt, und gleichwol ließen sich sogar Generale an der Spitze ganzer Regimenter, wie Bedeau, auf Verhandlungen ein, die mit schimpflichen Rückzüge der Truppen endeten. Bald war Bugeaud selbst weg verhandelt und an seine Stelle der altersschwache Marschall Girard ge¬ setzt, nachdem schon General Lamoriciere Befehlshaber der Nationalgarde ge¬ worden. Unthätig und hungrig, demoralistrt und geschmäht, schlaff und ver¬ drossen, begannen die Truppen, sich mit dem Volke zu vermischen. Bald hier,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/506
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/506>, abgerufen am 23.07.2024.