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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band.

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nachtheilig auf die Recrutirung, den Geist des Heeres und die Moralität des
Volkes wirkt die Einrichtung der Stellvertretung. Es haben sich Specu-
lanten, zum Theil gewesene Militairs, zusammengethan, die ein
förmliches Geschäft aus dem Menschenkaufe machen und junge Leute durch
allerlei verabscheuungswürdige Mittel zu gewinnen wissen, gegen geringe
Summen sich ihnen als Vertreter zu verschreiben, welche sie dann für reiche
Conscribirte, die ihnen 4--6000 Francs zahlen müssen, in das Heer stellen.
Solche Gesellschaften oder Einzelunternehmer haben in fast allen Departe¬
ments ihre Bureaus, Agenten und Correspondenten und stehen mit den Be¬
amten und Militärchefs in genauer Verbindung. -- Besonders stark wird
dieser Menschenhandel in Elsaß und Lothringen betrieben." Angesichts
dieses Treibens war es denn auch, daß das Haupt der liberalen Partei, der
General Foy, zum erstenmale das Wort "Blutsteuer" (imM an sanZ) und
zwar in üblem Sinne ausgesprochen hat. Es ist falsch, eine moralische Ver¬
pflichtung zu materialisiren, falsch die Dienstleistung wie eine Contribution
anzusehen und den unsicheren Heerespflichtigen lediglich wie einen schlechten
Steuerzahler, den Deserteur wie einen Bankerottierer zu behandeln. Das
Verkennen des ethischen Momentes in der Leistung des Waffendienstes stellt
sich aber da, wo die allgemeine Wehrpflicht nicht besteht, nur allzu leicht ein,
' und in der von General Foy angeregten Debatte spuken schon- die Vorboten
der exollöi-Ätion des zweiten Kaiserreichs. -- Foy starb bald darauf und sein
Leichenbegängniß wurde gegenüber der Krönung Charles' X. von der
liberalen Partei zu einer Musterung ihrer Anhänger benutzt -- ein bedenk¬
liches Zeichen für die Verbindungen der Opposition mit den leitenden Kreisen
der Armee.

In der That war die Mißstimmung des Heeres wieder im Wachsen,
wozu der Einfluß der Jesuiten aus die Verwaltung nicht wenig beitrug.
"Frömmigkeit", oder in deren Ermangelung die Heuchelei, gaben einen gül¬
tigeren Anspruch auf Beförderung als militärische Tüchtigkeit, und viele Offi-
ciere fanden sich, durch unverdiente Zurücksetzung hinter die Günstlinge der
Congregation, veranlaßt, abzudanken.*) Noch vor seiner Krönung-hatte König
Charles 167 hohe Officiere des Kaiserreiches in den Ruhestand versetzt. Da¬
zu kam nun die Ernennung des Grafen Bourmont zum Kriegsminister im
Ministerium Polignac, eines Mannes, auf dessen Namen seine Desertion am
Vorabende von Waterloo als unauslöschlicher Flecken haftete. Allgemein be¬
gann es zu wieder zu gähren im Heer, die Nationalgarde aber zeigte bei
einer Revue im April 27 eine so feindliche Haltung, daß der König ihre Auf¬
lösung befahl.



') v. Rochau a. a. O.

nachtheilig auf die Recrutirung, den Geist des Heeres und die Moralität des
Volkes wirkt die Einrichtung der Stellvertretung. Es haben sich Specu-
lanten, zum Theil gewesene Militairs, zusammengethan, die ein
förmliches Geschäft aus dem Menschenkaufe machen und junge Leute durch
allerlei verabscheuungswürdige Mittel zu gewinnen wissen, gegen geringe
Summen sich ihnen als Vertreter zu verschreiben, welche sie dann für reiche
Conscribirte, die ihnen 4—6000 Francs zahlen müssen, in das Heer stellen.
Solche Gesellschaften oder Einzelunternehmer haben in fast allen Departe¬
ments ihre Bureaus, Agenten und Correspondenten und stehen mit den Be¬
amten und Militärchefs in genauer Verbindung. — Besonders stark wird
dieser Menschenhandel in Elsaß und Lothringen betrieben." Angesichts
dieses Treibens war es denn auch, daß das Haupt der liberalen Partei, der
General Foy, zum erstenmale das Wort „Blutsteuer" (imM an sanZ) und
zwar in üblem Sinne ausgesprochen hat. Es ist falsch, eine moralische Ver¬
pflichtung zu materialisiren, falsch die Dienstleistung wie eine Contribution
anzusehen und den unsicheren Heerespflichtigen lediglich wie einen schlechten
Steuerzahler, den Deserteur wie einen Bankerottierer zu behandeln. Das
Verkennen des ethischen Momentes in der Leistung des Waffendienstes stellt
sich aber da, wo die allgemeine Wehrpflicht nicht besteht, nur allzu leicht ein,
' und in der von General Foy angeregten Debatte spuken schon- die Vorboten
der exollöi-Ätion des zweiten Kaiserreichs. — Foy starb bald darauf und sein
Leichenbegängniß wurde gegenüber der Krönung Charles' X. von der
liberalen Partei zu einer Musterung ihrer Anhänger benutzt — ein bedenk¬
liches Zeichen für die Verbindungen der Opposition mit den leitenden Kreisen
der Armee.

In der That war die Mißstimmung des Heeres wieder im Wachsen,
wozu der Einfluß der Jesuiten aus die Verwaltung nicht wenig beitrug.
„Frömmigkeit", oder in deren Ermangelung die Heuchelei, gaben einen gül¬
tigeren Anspruch auf Beförderung als militärische Tüchtigkeit, und viele Offi-
ciere fanden sich, durch unverdiente Zurücksetzung hinter die Günstlinge der
Congregation, veranlaßt, abzudanken.*) Noch vor seiner Krönung-hatte König
Charles 167 hohe Officiere des Kaiserreiches in den Ruhestand versetzt. Da¬
zu kam nun die Ernennung des Grafen Bourmont zum Kriegsminister im
Ministerium Polignac, eines Mannes, auf dessen Namen seine Desertion am
Vorabende von Waterloo als unauslöschlicher Flecken haftete. Allgemein be¬
gann es zu wieder zu gähren im Heer, die Nationalgarde aber zeigte bei
einer Revue im April 27 eine so feindliche Haltung, daß der König ihre Auf¬
lösung befahl.



') v. Rochau a. a. O.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/451>, abgerufen am 22.07.2024.